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Vom Jobcenter in die Zeitarbeit – und wieder zurück?

Politikredakteur

Mitte 2018 hatten 37,8 Millionen Menschen in Deutschland eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Etwas mehr als eine Million von ihnen war bei Zeitarbeitsfirmen angestellt, das entspricht 2,7 Prozent.

Leiharbeit also ist kein großer Sektor auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Aber eine große Rolle spielt die Leiharbeit bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). Denn im vergangenen Jahr wurden 30 Prozent der Personen, denen die BA einen neuen Job besorgte, an Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Das lässt sich als Beleg für die Bedeutung dieser Branche bei der Arbeitsmarktintegration von Jobsuchenden deuten.

Fraglich ist, ob diese Integration von Dauer ist. Denn mit vielen der dortigen Anstellungen ist es schnell wieder vorbei. Im ersten Halbjahr 2018 hatte von den knapp 780.000 beendeten Beschäftigungsverhältnissen bei Zeitarbeitsfirmen ein Viertel nicht einmal einen Monat gedauert. Weniger als ein halbes Jahr war es bei insgesamt 59 Prozent der Fälle. Zwar wurden manche dieser Beschäftigten von den Entleiherfirmen übernommen. Aber weil dieser sogenannte Klebeeffekt nach Expertenschätzungen maximal 30 Prozent der Leiharbeiter betrifft, mussten sich die meisten nach dem Ende der Zeitarbeit einen neuen Job suchen.

Nicht gerade befriedigend ist dies aus Sicht des Bundesarbeitsministeriums, das sich von der Vermittlungstätigkeit der BA eigentlich eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration von Jobsuchenden verspricht. „Die Nachhaltigkeit von Beschäftigungsaufnahmen als Leiharbeitnehmer ist hinsichtlich der Beschäftigungsdauer durchschnittlich niedriger als im Durchschnitt über alle Branchen“, vermerkt Anette Kramme (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium.

Der Satz findet sich in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke. Die Arbeitsmarktpolitikerin erbittet seit 2013 Jahr für Jahr Auskunft über die Rolle der Zeitarbeit bei den BA-Vermittlungen. Damals hatte der frühere BA-Chef Frank-Jürgen Weise 2013 von „Fehlentwicklungen“ auf diesem Gebiet gesprochen, die es zu korrigieren gelte. Doch viel geändert hat sich nicht. Über die Jahre hinweg ist die Quote der Vermittlungen in die Leiharbeit mit jeweils rund 30 Prozent überproportional hoch geblieben. Für Müller-Gemmeke bedeutet dies, dass „die BA ihre Hausaufgaben noch immer nicht gemacht“ habe, wie die Grünen-Abgeordnete WELT sagte.

Allerdings liegt es für die Mitarbeiter in den Jobcentern durchaus nahe, die Arbeitssuchenden auf Zeitarbeitsfirmen zu verweisen. Denn die zeigen der BA viele offene Stellen an. Im Jahr 2018 kamen mehr als 30 Prozent der insgesamt knapp 800.000 Meldungen von offenen Stellen bei den Jobcentern aus der Leiharbeitsbranche. Ist aber diese, die für viele Unternehmen von großer Bedeutung ist, für Langzeitarbeitslose der richtige Ort beim Wiederbeginn? Eine detaillierte Untersuchung der Hamburger Universität aus dem Jahr 2011 jedenfalls kam zu dem Ergebnis, dass Personen mit längerer Arbeitslosigkeit in der Leiharbeit mit deren wechselnden Tätigkeitsfeldern besonders große Probleme haben, überhaupt wieder in die Strukturen beruflicher Tätigkeit hineinzufinden. 2018 sollten das rund 35 Prozent der insgesamt 60.000 von den Jobcentern aktiv vermittelten Hartz-IV-Empfänger versuchen.

Etwas geringer ist der Anteil bei denen, die zuvor Arbeitslosengeld I erhielten, also kürzer arbeitslos waren. Von ihnen wurden im vergangenen Jahr rund 28 Prozent zu Zeitarbeitsfirmen geschickt. Allerdings kann sich bei diesen Menschen die Frage stellen, ob sie bei Zeitarbeitsfirmen ihr Qualifikationsniveau halten können. Denn der Antwort der Bundesregierung zufolge arbeiten 28 Prozent der Arbeitnehmer in jenen Unternehmen unter dem Niveau ihrer anerkannten Berufsqualifikation. Bei dieser Gruppe spricht Staatssekretärin Kramme von einer „Überqualifizierung“. Müller-Gemmeke hingegen sieht bei jenen Menschen die Gefahr des Qualifikationsverlustes. „Viel zu viele Menschen“, so die Grüne, würden „in der Leiharbeit durch Helfertätigkeit dequalifiziert“. Daran zeige sich, dass „die Leiharbeit für viele kein Sprungbrett in den Arbeitsmarkt“ sei.

Hinzu kommen in der Regel finanzielle Einbußen. Aus den Daten des Arbeitsministeriums geht hervor, dass Leiharbeitnehmer schlechter verdienen als Personen, die auf gleichem Niveau in anderen Branchen beschäftigt sind. Das mittlere Monatsbruttoeinkommen (Median) von Fachkräften betrug im Jahr 2018 in der Zeitarbeitsbranche 2209 Euro, es lag damit mehr als 700 Euro unter dem entsprechenden Gehalt im Durchschnitt aller Branchen. Bei Helfern wird der Unterschied zwischen den Leiharbeitern und den vergleichbaren Beschäftigten des Gesamtspektrums in der Antwort der Bundesregierung mit 1594 zu 2117 Euro angegeben, bei Spezialisten mit 3579 zu 4210 Euro.

Müller-Gemmeke macht hieran weitreichende Forderungen fest, nämlich „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“. Mehr noch: Leiharbeitskräfte sollten nach Ansicht der Grünen „sogar noch einen zusätzlichen Bonus erhalten“. Müller-Gemmeke: „Das wäre gerecht, und über den Preis würde Leiharbeit dann betriebswirtschaftlich nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend Sinn machen“. Indes stellt sich beim Stichwort „vorübergehend“ im Zusammenhang mit den BA-Vermittlungen eine andere Frage: ob Zeitarbeit für ehemalige Arbeitslose eine vorübergehende Beschäftigung auf dem Weg zu einem Job woanders ist – oder ob Leiharbeit nur eine vorübergehende Unterbrechung der Arbeitslosigkeit ist.

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