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Meinung Künast-Urteil

Auf solche Richter kann man bei Hasskommentaren nicht mehr zählen

Gerichtsurteil bringt Renate Künast in Rage

Das Berliner Landgericht hat geurteilt, dass die Beschimpfungen gegen die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast zulässig sind. Die Politikerin ist mit dem Urteil aber überhaupt nicht einverstanden, sieht sogar die Demokratie gefährdet.

Quelle: WELT/Achim Unser

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Ein Berliner Gericht hat entschieden, dass schlimmste Beschimpfungen gegen Renate Künast legitim sind. Wie es scheint, wirkt sich der Fachkräftemangel auch auf die Justiz aus. Denn dies ist ein Fehlurteil – mit vier fatalen Botschaften.

Wer sind die RichterInnen der 27. Zivilkammer des Berliner Landgerichts? Wie heißen sie, was lesen sie, was glauben sie, wie sehen sie aus? In welchen Kneipen, Golf- oder Swingerklubs könnte man sie treffen, um sie auf ihr Urteil in der Causa Renate Künast anzusprechen? Denn das ist ein bemerkenswertes Urteil.

Die Richter halten Bezeichnungen wie „Drecksfotze“, „Sondermüll“ oder „Stück Scheiße“ (um hier nur die harmloseren zu nennen) für sachbezogene Kritik an der Grünen-Politikerin. Für „Kritik“, die vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sei.

Künasts Pech: Bei der „Sache“ handelt es sich um eine Debatte aus den unterbelichteten Zeiten vor mehr als 30 Jahren, als die Grünen von Kommunisten, pädophilen Indianerstämmen und noch allen möglichen anderen Irren unterwandert waren – und damit alles andere als intelligent umgingen.

Aber seither haben sie diese Phase ihrer Geschichte längst überwunden; haben sie ihre Wirrungen von dem renommierten Politikwissenschaftler Franz Walter aufarbeiten lassen; seither hat Renate Künast sich von absurden Positionen der damaligen Zeit mehrfach distanziert. Und das uralte Zitat, das ihr jetzt Hetzkampagnen auf Twitter und Facebook bescherte (darum drehte sich der Rechtsstreit), ist falsch, aus dem Zusammenhang gerissen, verdreht. Renate Künast ist nicht und war nie für Pädokriminalität.

All dies könnte eine Kammer aus Richtern des höheren öffentlichen Dienstes durchaus herausgefunden haben, denn diese Informationen sind öffentlich zugänglich. Aber entweder bekommt der Staatsdienst auch nicht mehr ausschließlich intelligente Mitarbeiter (die Fachkräftekrise ist ja überall), oder es ging darum, nur meine Meinung, einer Grünen mal zu zeigen, wo der Volksempfindenshammer hängt.

Das ist leider problematisch. Denn erstens signalisiert das Urteil den vielen Verantwortungsträgern und öffentlich sichtbaren Menschen, die von Internethass betroffen sind, dass sie auf Gerichte nicht hoffen dürfen. Zweitens lautet die fatale Botschaft dieses hoffentlich schleunigst zu kassierenden Urteils, dass man bei uns inzwischen alles sagen darf. Dass man drittens ziemlich lebensmüde sein muss, wenn man in politische Ämter strebt.

Und dass wir viertens mit der Frage allein bleiben: Was ist denn, um Himmels Willen, in Zukunft überhaupt noch eine rechtswirksame Beleidigung? „Sachbezogen“ auf das Künast-Urteil zum Beispiel: „Du Richter am Landgericht Berlin, du!“

Die Autorin ist SPD-Mitglied und war von 2012 bis 2013 Oberbürgermeisterin von Kiel.

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