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Urteil zur Beschneidung von Jungen Muslime fühlen sich kriminalisiert

Wer Jungen aus religiösen Gründen beschneidet, macht sich strafbar - dieses Urteil des Landgerichts Köln stößt auf scharfe Kritik. Die Religionsgemeinschaft des Islam sieht Grundrechte verletzt, auch der Zentralrat der Juden ist empört. Der Vorwurf: Die Betroffenen würden diskriminiert.

Stuttgart - Die Religionsgemeinschaft des Islam warnt nach dem Urteil zur Strafbarkeit der Beschneidung von Jungen vor der Kriminalisierung von Eltern und Ärzten. "Das ist ein harmloser Eingriff mit Tausende Jahre alter Tradition und hohem Symbolwert", sagte der Vorsitzende Ali Demir.

Das Urteil des Kölner Landgerichts, wonach die religiöse Beschneidung von Jungen rechtswidrig und strafbar ist, sei ein unangemessener Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit. "Das Urteil empfinde ich als integrationsfeindlich und diskriminierend für die Betroffenen", sagte Demir.

Er verwies darauf, dass die Entfernung der männlichen Vorhaut hygienische Vorteile habe und die Übertragung von Infektionen vermindere. Überdies werde ein Verbot nichts bringen: "Dann werden wir Beschneidungstourismus in die europäischen Nachbarländer bekommen", sagte der Muslim.

Der Zentralrat der Juden hatte das Urteil bereits am Dienstag als beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften kritisiert. Zentralratspräsident Dieter Graumann sagte: "Diese Rechtsprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt."

"Eingriff in Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) äußerte sich ähnlich. Man sehe in dem Urteil "einen eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht", teilte der Verband mit. Religionsfreiheit sei ein sehr hohes Gut und dürfe nicht Spielball einer eindimensionalen Rechtsprechung sein, die bestehende Vorurteile und Klischees weiter verfestige, sagte der ZMD-Vorsitzende Aiman Mazyek.

Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) äußerte sich kritisch zu dem Urteil. Die Beschneidung von Jungen sei seit Jahrhunderten religiöse Praxis bei Juden und Muslimen, die nun in Frage gestellt werde, teilte die Gemeinde mit. Sie geht davon aus, dass eine höhere Instanz das Urteil korrigieren werde.

Die TGD äußerte Verständnis für die Reaktionen des Zentralrats der Juden und muslimischer Organisationen. Die Gemeinde äußerte die Befürchtung, bei Jungen könnte es nun zu unerlaubten und fachfremden medizinischen Eingriffen kommen, die die Gesundheit der Kinder noch mehr in Gefahr bringen könnten.

Die Grünen regten gesetzliche Regeln zur Stärkung der Religionsfreiheit an. "Mir scheint diese Rechtsprechung mehr als fragwürdig", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck. "Wir müssen uns darüber Gedanken machen, ob wir die Religionsfreiheit der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft besser schützen müssen."

Die Frauenrechtsorganisation Terres des Femmes nannte das Urteil dagegen wegweisend. Es zeige deutlich, "dass die körperliche Unversehrtheit von Kindern nicht mit religiösen Argumenten verletzt werden darf", sagte die Vorstandsvorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk. Der Verein setzt sich für die körperliche Unversehrtheit von Mädchen ein, vor allem gegen die Praktik der weiblichen Genitalverstümmelung.

ulz/dpa