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Wurden in Dänemark Unschuldige wegen falscher Telefondaten verurteilt?

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Schockiert ob seiner Polizei: Justizminister Nik Haekkerup.
Schockiert ob seiner Polizei: Justizminister Nik Haekkerup. © afp

Die Polizei verursacht mittels Vorratsdatenspeicherung in Dänemark möglicherweise massig Fehlurteile. Nun soll es seine unabhängige Untersuchung geben.

Die flächendeckende Überwachung der Telekommunikation aller seiner Bürger hat Dänemarks Justiz den wohl größten Skandal ihrer Geschichte beschert. Die oberste Polizeiführung musste nämlich just einräumen, dass mehr als 10 000 Prozesse wegen schwerer Vergehen möglicherweise mit Justizirrtümern endeten. Warum? Die als Beweismittel eingesetzten Telefondaten sind wohl praktisch alle schlicht falsch gewesen. Erst hieß es, eigene Tests hätten ergeben, dass etwa ein Drittel der von Telefon-Anbietern gelieferten Daten, etwa über die Bewegungsmuster von Handy-Besitzern im eigenen System „fehlerhaft konvertiert“ wurden. Später wurde noch nachgeschoben, dass schon die „Rohdaten“ in vielen Fällen „mangelhaft“ gewesen seien.

„Es geht hier um das Vertrauen in unser Rechtssystem“, sagte der nach den Wahlen im Juni gerade frisch ins Amt gekommene Justizminister Nick Hækkerup und sprach von einer „sehr ernsten Situation“. Im Klartext bedeutet das Eingeständnis der Polizei, dass womöglich in Mordprozessen Unschuldige verurteilt worden sind, weil die Gerichte keinen Zweifel hegten an den von allen als entscheidend eingestuften elektronischen Daten über Aufenthaltsorte dank Handy-Signalen. Genauso denkbar ist auch der umgekehrte Fall mit Freisprüchen für tatsächlich Schuldige, weil ihre falschen Daten ihnen ein Alibi verschafften.

Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung sind in Dänemark umstritten

Die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung sind in Dänemark genauso umstritten wie in Deutschland, reichen aber viel weiter. Bei den Skandinaviern müssen die Telekommunikationsanbieter zwei Jahre lang digitale Daten aller Kunden wie Signalstandorte, Nummern und Zeiten von Anrufen und SMS-Verkehr vorhalten und auf Antrag der Polizei ausliefern. Voraussetzung für die Offenlegung ist ein zu erwartendes Strafmaß von sechs Jahren Haft für das betreffende Vergehen. Auch ein klares Urteil des Europäischen Gerichtshofes von 2014 gegen derart umfassende Überwachung in der EU als unverhältnismäßig hatte Kopenhagen bisher nicht zu Änderungen der eigenen Gesetzeslage veranlasst.

Justizminister Hækkerup verordnet der Polizei jetzt in scharfer Tonlage eine unabhängige Untersuchung von außen. Es sei schon „bemerkenswert“, sagt der Sozialdemokrat, dass die Polizeispitze mehr als drei Monate nach der internen Entdeckung der fehlerhaften Datenverarbeitung schwieg und alles weiterlaufen ließ. Sie wartete wohl ganz einfach die Wahl am 5. Juni ab, der dann das Aus für Hækkerups konservativen Vorgänger Søren Pape Poulsen brachte, einen ausgeprägten Law- and-Order-Politiker.

Vorratsdatenspeicherung rückt in immer schlechteres Licht

Die immer neuen Details stellen die Big-Brother-Überwachung in ein immer schlechteres Licht; sie erscheint fehlerhaft und mit dem Prinzip von Rechtssicherheit unvereinbar – und nebenbei sieht sie auch noch ziemlich veraltet aus. So wurden bislang die neueren Kommunikationswege über WhatsApp, Messenger-Dienste und Ähnliches überhaupt nicht in den Vorschriften zur Datenspeicherung erfasst.

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Das ist umso merkwürdiger, wenn man bedenkt, dass die Polizei etwa bei der Aufklärung eines in Dänemark stark beachteten Mordes an der 16-Jährigen Emilie Meng im Sommer 2016 die Auswertung sämtlicher Telefondaten in Tatortnähe als absolut zentral bei ihrer – bislang erfolglosen – Fahndung erklärte. Der Fall wurde gern auch als einschlägiges Argument für die Notwendigkeit flächendeckender Vorratsspeicherung angeführt. Jetzt mussten die Fahnder zugeben, dass auch da „Konvertierungsfehler“ die gigantischen Datenlisten verfälscht haben.

Nicht viel besser steht die Polizei vor der nun fälligen Suche nach Fehlern und deren Korrektur da. Die Tele-Operateure haben ihre „Rohdaten“ längst gelöscht – die, die also zur Korrektur von Konvertierungsfehlern in den Polizeisystemen gebraucht werden. „Wenn ich das höre, bekomme ich eine Gänsehaut“, kommentierte Birgitte Arena Eiriksson vom juristischen Thinktank „Justitia“ in der Zeitung „Berlingske“. Und der Datenschutz-Expertin Hanne Marie Motzfeldt fehlten „erst mal die Worte“, als sie hörte, dass Dänemarks Polizei die Gerichte monatelang weiter mit den ominösen Überwachungsdaten belieferte, obwohl sie längst wusste, dass denen nicht mehr zu trauen ist.

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