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Muslime in Niedersachsen

Attacken auf Moscheen und Friedhöfe

Wir fahnden in alle Richtungen“, sagt die Polizei. Aber die Täter der Grabschändungen in Northeim sind noch nicht ermittelt.

Wir fahnden in alle Richtungen“, sagt die Polizei. Aber die Täter der Grabschändungen in Northeim sind noch nicht ermittelt.

Hannover. Sie kamen im Schutz der Dunkelheit und hinterließen ein beschmiertes Friedhofsareal. Sie schändeten bewusst den muslimischen Teil des Northeimer Stadtfriedhofes, jenen Teil am Ostrand der alten Gräberstätte, wo seit einigen Jahren auch Moslems ihre Angehörigen bestatten können. In Niedersachsen – und nicht in jenem Teil der Türkei, wo sie oder ihre Vorfahren einst hergekommen waren. „Das ist schon ein ziemlich krasser Angriff“, sagt der Landtagsabgeordnete Belit Onay von den Grünen. Denn es sei doch ein deutliches Signal der Integration, wenn türkischstämmige Deutsche ihre Angehörigen in der Wahlheimat bestatteten. Und dann das.

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Fahndung in alle Richtungen

„Wir fahnden in alle Richtungen“, sagt Northeims Polizeisprecher Uwe Falkenhain. Aber das ist gar nicht so einfach, denn die Täter, die in der Nacht zum Sonntag über den Northeimer Friedhof zogen, haben widersprüchliche Signale hinterlassen. So sprühten sie mit roter Farbe nicht nur Hakenkreuze über die Grabplatten, sondern auch ein Symbol der „Antifa“, der antifaschistischen Linken. Die Täter schändeten zwölf der vierzehn Grabplatten auf dem 2011 eröffneten Areal, das als Symbol der Integration gefeiert wurde. Doch wer hat hier zugeschlagen? „Wir haben eine umfangreiche Beweissicherung gemacht, aber noch keine konkrete Spur“, sagt Polizist Falkenhain.

Dass Fremdenhass ein Motiv sein könnte, genauer Islamfeindlichkeit, scheint wahrscheinlich. „Die Islamfeindlichkeit nimmt zu, keine Frage“, sagen sowohl Recep Bilgen, Vorsitzender der unabhängigen Schura-Moscheegemeinden, als auch Yilmaz Kilic von den an der Türkei orientierten Ditib-Gemeinden. Die Gräberschändung war nicht das einzige Ereignis, das in diesem Jahr die muslimischen Moscheegemeinden in Niedersachsen erschrecken ließ.

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So wurde eine Ditib-Moschee in Nordenham im September dieses Jahres von unbekannten Tätern heimgesucht, zum zweiten Mal. Sie beschmierten das Gotteshaus mit rechtsextremen Parolen und warfen Schweinefleischteile auf die Moschee – ein besonders ekliger Ausdruck von Hass. Anfang des Jahres waren die Scheiben in der Ditib-Moschee in Stade eingeschlagen worden. Taten wie diese hinterlassen bei den deutschen Moslems oft nur noch stillen Zorn. „Wir sagen unseren Mitgliedern: Bleibt ruhig“, sagt Yilmaz Kilic. Natürlich würden die Kameras an den Gebäuden überprüft und derartige Angriffe möglichst schnell zur Anzeige gebracht. Doch das heilt nicht den seelischen Schaden, den die Angriffe bei den Muslimen hinterlassen.

Studie: Islamfurcht weit verbreitet

Dass die Ablehnung des Islam in Deutschland weit verbreitet ist, zeigt auch eine aktuelle Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach dieser Erhebung, an der 2012 Interviewte teilnehmen, verneinten 53,7 Prozent die Frage, ob der Islam in die deutsche Gesellschaft passe, während 33 Prozent sie bejahten. Gleichzeitig beteuerten 69,1 Prozent der Befragten, dass Muslime zum Alltagsleben der Menschen in Deutschland zählten, während 23, 9 Prozent diese Frage ablehnten. Es sei auch gefragt worden, berichtet die Sozialwirtin Petra-Angela Ahrens, ob der Islam als Religion eher bedrohlich oder bereichernd sei. „Fast die Hälfte der Befragten empfindet den Islam als Religion eher oder sehr bedrohlich. Mit einem guten Drittel nimmt ihn nur eine Minderheit als bereichernd wahr“, schreibt die Wissenschaftlerin. Positiver seien die Einschätzungen, wenn Menschen direkten Kontakt mit Muslimen hätten. Allerdings reiche das nicht, den Islam selbst als einen Bestandteil der Gesellschaft wahrzunehmen.

Niedersachsens Verfassungsschutz betrachtet die Entwicklung mit Sorge. „Die Islamfeindlichkeit als eine Form der Fremdenfeindlichkeit und zugleich als politisches Aktionsfeld im Rechtsextremismus hat in den vergangenen Jahren nachweislich an Bedeutung gewonnen“, sagt Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger. Dabei stünden der Islam und die in Deutschland lebenden Muslime zunehmend im Mittelpunkt rechtsextremistischer wie auch rechtspopulistischer Kampagnen. „Die Angst vor einer angeblichen Islamisierung der Gesellschaft dient hier als „Türöffner-Thema“, um Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen und auch um Mitglieder, Anhänger und Unterstützer zu gewinnen.“

Islam- beziehungsweise muslimfeindliche Orientierungen würden dabei mit asylfeindlichen Haltungen sowie mit bereits bestehenden Ressentiments in Teilen der Bevölkerung verbunden. „Flüchtlinge und Muslime werden auf diese Weise gleichgesetzt und pauschal als Gewalttäter oder Terroristen diffamiert“, beklagen die Verfassungsschützer. In diesem Zusammenhang habe Islamfeindlichkeit als Mobilisierungs- und Kampagnenthema nach wie vor eine hohe Bedeutung für rechtsextremistische wie rechtspopulistische Gruppierungen.

Immer mehr im Alltag präsent

Die Islamfeindlichkeit bekomme man jedenfalls zunehmend im Alltag zu spüren, berichtet Recep Bilgen vom Moscheeverband Schura. „Eine Schülerin, die sechs Jahre ohne Probleme mit Kopftuch am Sportunterricht teilgenommen hat, bekommt plötzlich in ihrer Schule Schwierigkeiten.“ Andere junge Frauen mit Kopftuch würden in der Straßenbahn auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule angepöbelt, berichtet der Schura-Vorsitzende. „Wir spüren auch, dass solche Vorgänge zunehmen“, sagt Yilmaz Kilic. Es sei hoffähig geworden, nur noch negativ über den Islam zu sprechen und Frauen mit Kopftuch zu verspotten. Recep Bilgen glaubt, dass auch die Politik an dieser Entwicklung Anteil habe. „Es wird einfach zu viel auf die Populisten geschaut, dabei können die großen Parteien von den Populisten nichts gewinnen.“

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Von Michael B. Berger

HAZ

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