Das Kreuz mit der Ethik: Mangelnde Alternativen zum...

Manche Eltern möchten nicht, dass ihr Kind den Religionsunterricht in der Schule besucht. Ihnen mangelt es an Alternativen. Foto: André Hirtz
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Kirchensteuer zahlt Martin G., zweifacher Familienvater, schon seit dem Studienende nicht mehr. Er bezeichnet sich als Atheisten. Jetzt wird er für seine Überzeugung trotzdem...

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DARMSTADT. Kirchensteuer zahlt Martin G., zweifacher Familienvater, schon seit dem Studienende nicht mehr. Er bezeichnet sich als Atheisten. Jetzt wird er für seine Überzeugung trotzdem zur Kasse gebeten.

Weil er eines seiner Kinder nicht mehr in den Religionsunterricht schicken will, die Grundschule aber keinen Ethik-Unterricht anbietet, soll Familie G. (Namen von Redaktion geändert) für die "Extra-Betreuung" während dieser Stunden zahlen. 150 Euro pro Jahr. "Keine Unsumme", sagt Martin G., findet das Ansinnen trotzdem "doppelt frech".

Denn Ethik-Unterricht hat das Land Hessen Eltern wie dem Ehepaar G. schon vor zehn Jahren als Alternative versprochen; den aber finden sie an Darmstädter Grundschulen bis heute nicht. Stattdessen gibt's in Bessungen "Spiel- und Beschäftigungsangebote" durch die Arbeiterwohlfahrt, parallel zu den Religionsstunden, und zwar gegen Gebühr. Im Klartext: Atheismus kostet extra.

Dass der freie Träger der Schulbetreuung, die AWO, dafür ab dem kommenden Schuljahr Geld verlangt, ist eine Ausnahme in der Schullandschaft. Und nicht statthaft, sagt das Kultusministerium auf Anfrage: "Es ist Unterrichtszeit," somit nicht kostenpflichtig. Aber es wirft ein Schlaglicht auf das Dilemma, das viele Schulen und zunehmend viele Familien beschäftigt.

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Dass "immer mehr Eltern ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden, die Schule aber für diese Kinder keinen gesonderten Ethik-Unterricht anbieten kann", behauptet nicht nur die AWO in ihrem Anschreiben an die Bessunger Eltern. Viele Grundschulen spüren diesen Druck. Entsprechend sinkt die Nachfrage nach dem althergebrachten christlichen Religionsunterricht. Das Land Hessen hat den Trend längst erkannt.

2007 hat das Kultusministerium getönt, alternativ einen Ethik-Unterricht "an allen Schulformen" anzubieten. Seit 2011/12 gibt es ein Kern-Curriculum auch für die Grundschulen. Themen wie "Ich und die Anderen" und "Natur und Umwelt" sollen dort behandelt werden. Seither zieht es sich. In den Grundschulen soll das Angebot ab diesem Spätsommer "sukzessive eingeführt werden", beginnend mit den Erstklässlern, teilt das Staatliche Schulamt Darmstadt auf Anfrage mit. Bis zum Schuljahr 2021/22 ist Ethik in allen Jahrgangsstufen einzurichten.

Für Familie G. käme das etwas spät. Deswegen haben die Eltern - zähneknirschend, wie der Vater sagt - ihr Kind bisher doch in den evangelischen Religionsunterricht geschickt. In der Hoffnung, "dass da auch über allgemeine Werte gesprochen wird". So steht es auch im Religions-Erlass des Kultusministeriums. "In einer immer komplizierteren Welt" soll die Schule den Kindern "Hilfen zur Orientierung in ethischen, moralischen und religiösen Fragen" geben. Damit könnte Familie G. sich arrangieren. Was die Eltern mitbekamen, war hingegen "häufig Bibelunterricht und auch Beten", sagt Mutter Clara.

Es gibt auch andere Wahrnehmungen. Elternvertreterin Jasmine Plechatsch hat Religion an der Bessunger Schule als "etwas sehr Offenes erlebt", wo "auch gesellschaftliche Werte eine Rolle spielen." Die Qualität des Unterrichts will Clara G. auch gar nicht bewerten. Aber sie sehe im Fach Religion doch eine andere Form der Werteerziehung als in Ethik und würde deshalb gerne wechseln. Geht aber nicht - nicht in Bessungen, auch an vielen anderen Grundschulen der Stadt nicht. Die Gründe sind vielfältig.

Für die Leiterin der Heinrich-Hoffmann-Schule, Margarete Rotter ist es schlicht ein personelles Problem. Zurzeit wisse sie noch gar nicht, wie sie den Unterricht in den Kernfächern abdecken soll. "Eltern haben sicherlich kein Verständnis dafür, wenn Ethik neu eingeführt wird, Mathe aber ausfällt." Sie bietet den nicht-christlichen Schülern in den betreffenden Stunden beispielsweise Deutsch-Förderkurse an, andere Kinder bekommen "differenzierte Angebote". An der Schillerschule gibt es seit einigen Jahren "Religionsersatzunterricht" mit weltanschaulichen Fragen. An der Goetheschule wie an der Heinrich-Schwamb-Schule sind derzeit immerhin zwei Kräfte unterwegs, um sich extern als Ethik-Lehrer schulen zu lassen.

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An der Bessunger Schule, sagt Schulleiterin Gisela Moser, "wählen die meisten Eltern immer noch den konfessionellen Unterricht, auch die, die nicht in der Kirche sind." Wer weder zur Religionsstunde noch in die Betreuung geht, "kann zuhause bleiben". Die Stunden seien bewusst an den Rand gelegt.

Das ist zum einen nicht im Sinne des Erfinders. Die Schulen, so der Erlass des Landes, müssten dafür sorgen, dass der Religionsunterricht "in der Regel" nicht in den "Eckstunden" erteilt wird. Zum anderen arbeiten viele Eltern während dieser Zeiten. Mutter Clara G. findet, "dass so durch die Hintertür Druck aufgebaut wird, dass man die Kinder doch lieber in den Religionsunterricht schickt. "Ein bisschen Bibelkenntnisse schaden ja nicht", sagt sie. Aber im Grunde "werden den Kindern zwei Wochenstunden Unterricht vorenthalten."

Was sie im nächsten Schuljahr machen, wissen die Eltern noch nicht. Den Versprechungen des Landes trauen sie längst nicht mehr. Die Alternativen: zuhause bleiben, noch mehr Bibelstunden und Gebete fürs Kind - oder zahlen.