Die neue Einkaufsnormalität in Europa

Die COVID-19-Pandemie hat viele Konsumtrends beschleunigt – Einzelhändler müssen diese Entwicklung berücksichtigen, um zukunftsfähig zu bleiben.

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Dr. Christian Wulff

Dr. Christian Wulff
Consumer Markets Leader PwC Deutschland und EMEA
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Die COVID-19-Pandemie ist die größte Herausforderung für den Handel und die Konsumgüterindustrie seit Jahrzehnten. Während die Lebensmittelhändler vor allem in Zeiten des Lockdowns weitgehend von der Pandemie profitiert haben, erholt sich der Non-Food-Einzelhandel nur langsam von den Auswirkungen der Corona-bedingten Beschränkungen. Der Onlinehandel ist klarer Sieger bei der Anpassung an die neue Situation und verzeichnete zweistellige Wachstumsraten im zweiten Quartal 2020.

40 Prozent der europäischen Verbraucher mussten im Zusammenhang mit der Pandemie einen Rückgang ihres Haushaltseinkommens verkraften. Daher planen 38 Prozent, ihre Ausgaben in den nächsten Monaten zu senken. Vor allem Verbraucher in den am stärksten von der Pandemie betroffenen Ländern wollen weniger ausgeben: 56 Prozent in Spanien, 43 Prozent in Großbritannien und 42 Prozent in Italien. Das bedeutet, dass Konsumenten nicht notwendige Ausgaben aufschieben oder gar nicht tätigen und dass sie zudem verstärkt nach kostengünstigen Angeboten Ausschau halten.

COVID-19 hat nicht nur unser Leben grundlegend verändert, sondern auch die Arbeitswelt und die Konsumgewohnheiten. Einzelhändler und Konsumgüterhersteller haben nun die Chance, von diesen sich rasant verändernden Verbrauchertrends zu profitieren. Die Erkenntnisse aus der Finanzkrise 2007/08 lassen darauf schließen, dass einige der Verhaltensänderungen während der Pandemie auch danach bestehen bleiben werden.

In diesem Artikel betrachten wir, wie COVID-19 sich auf die Konsumtrends ausgewirkt hat. Unsere Erkenntnisse basieren auf Konsumentenbefragungen, die wir vor und nach dem Ausbruch des Coronavirus in sieben europäischen Ländern durchgeführt haben.

Durchbruch für Online-Lebensmittelhandel

Während des Lockdowns ist der Online-Einkauf von Gütern des täglichen Bedarfs rasant angestiegen, obwohl Lebensmittelgeschäfte und Drogerien die ganze Zeit über geöffnet waren. Mehr als ein Viertel aller europäischen Verbraucher in städtischen Regionen (28 Prozent) hat Lebensmittel hauptsächlich online gekauft. Das entspricht einem Anstieg von 10 Prozentpunkten im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie. Die Mehrheit der Verbraucher, die Lebensmittel online eingekauft haben, hat ihren Warenkorb außerdem deutlich vergrößert. Die Hälfte der deutschen Online-Lebensmittelkäufer (52 Prozent) hat während des Lockdowns mehr gekauft, bei den Franzosen, Spaniern und Italienern waren es sogar 70 Prozent. Mehr als 80 Prozent der Konsumenten, die während der Pandemie erstmals Lebensmittel online gekauft haben, wollen dies auch weiterhin tun. Insbesondere die Neulinge auf diesem Gebiet haben positive Erfahrungen mit dem Lieferkomfort und der Qualität frischer Lebensmittel gemacht. Das hat dazu beigetragen, dass sie ihre Qualitätsbedenken überwinden konnten, die sie bisher vom Online-Einkauf abgeschreckt hatten.

In Deutschland hat auch die Bedeutung von Lebensmittel-Lieferdiensten deutlich zugenommen. Vor der Pandemie bezogen 28 Prozent der deutschen Verbraucher ein sogenanntes Kochboxen-Abo und 85 Prozent von ihnen haben die Ausgaben dafür während der Pandemie beibehalten oder sogar erhöht. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, weil viele Menschen weiterhin von zu Hause arbeiten und frische Lebensmittel für die Konsumente zum wesentlichen Bestandteil von Gesundheit und Wohlbefinden geworden sind.

Für Lebensmitteleinzelhändler, die ein profitables Onlinegeschäft aufbauen wollen, ist es jetzt an der Zeit, von den Vorreitern im Online-Lebensmittelhandel zu lernen, ihre Prozesse zu überdenken und zusätzliche Analysekapazitäten aufzubauen. Online-Lebensmittelhändler setzen bei der Zusammenstellung der Lieferungen auf automatisierte Warenlager und nutzen Digital Analytics zur Berechnung der Nachfrage sowie zur automatischen Anpassung des Warenbestands in ihren Onlineshops. Ein relevanter Aspekt ist auch, dass weniger als 10 Prozent der europäischen Verbraucher beim Lebensmittel-E-Commerce eine kostenlose Lieferung erwarten. Trotzdem sind die Konsumenten sehr anspruchsvoll. Sie zeigen die höchste Zahlungsbereitschaft bei Lebensmittellieferungen, die innerhalb von einer und sechs Stunden nach der Bestellung eintreffen.

Gesundheit und Wohlbefinden

Persönliche Gesundheit und das eigene Wohlbefinden hatten bereits vor dem Ausbruch von COVID-19 eine hohe Priorität bei den Konsumenten. Fast die Hälfte der europäischen Verbraucher greift bei der Ernährung mittlerweile mehr zu pflanzlichen Lebensmitteln und verringert den Einsatz bestimmter Nahrungsmittelbestandteile wie zum Beispiel Gluten, Milchprodukte oder Zucker. Die Bedeutung von Gesundheit und Ernährung hat seit dem Ausbruch der Pandemie zugenommen. Mehr als 60 Prozent der europäischen Verbraucher legen seitdem mehr Wert auf mentale Gesundheit und Wohlbefinden, sowie auf körperliche Gesundheit und Fitness.

Dieser Trend gibt Unternehmen die Chance, ihr Portfolio an Gesundheits- und Wellnessprodukten zu erweitern, die Positionierung dieser Produkte im Geschäft und online neu zu gestalten und die Preismodelle anzupassen. Obwohl ein wesentlicher Teil der Verbraucher plant, die Gesamtausgaben zu senken, ist die Bereitschaft zum Kauf von Hygiene- und Gesundheitsprodukten unverändert hoch.

Ebenso wie Konsumgüterproduzenten müssen auch Händler über neue Marketingkanäle und -formate nachdenken, wenn sie ihr Geschäft im Bereich Gesundheit und Wohlbefinden weiterentwickeln wollen. Soziale Medien und insbesondere die Zusammenarbeit mit Influencern, die Gesundheits- und Wellness-Themen authentisch repräsentieren, können Bekanntheit und Umsatz erheblich steigern.

 

Kontaktloses Einkaufen

Der Onlinehandel hat in der ersten Jahreshälfte 2020 deutlich zugenommen, insbesondere bei Produkten des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Haustierbedarf und Arzneimitteln. Selbst nachdem die Regeln zum Social Distancing gelockert wurden, blieb die Online-Nachfrage nach schnelldrehenden Konsumgütern im zweiten Quartal 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 deutlich erhöht. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Die Verbraucher schätzen Komfort und Sicherheit des Onlineshoppings und arbeiten nun häufiger von zu Hause aus, wo sie problemlos Lieferungen entgegennehmen können.

COVID-19 hat Einzelhändlern den finalen Anstoß gegeben, ihr Omnichannel-Geschäft voranzubringen, den Bedarf ihrer Kunden noch besser zu verstehen und ihnen während des gesamten Einkaufs ein hervorragendes Erlebnis zu bieten. In unserer Beratungstätigkeit sehen wir, dass Onlinehändler während der Pandemie weiter in die Optimierung ihrer Abläufe und Systeme investiert haben. Sie werden gestärkt aus dieser Krise hervorgehen. Aus diesem Grund gilt der Druck besonders Einzelhändlern, die ihre Basis im stationären Geschäft haben.

Fast die Hälfte der europäischen Verbraucher (49 Prozent) kauft seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie seltener im Laden ein. Wegen der hohen Hygiene- und Sicherheitsstandards vermeiden viele Verbraucher immer noch ausgedehnte Einkaufstouren. Der Einsatz von digitalen Technologien in den Geschäften kann jedoch dazu beitragen, die Verbraucher wieder in die Geschäfte zu locken.

Händler können dadurch nicht nur das Einkaufserlebnis verbessern und die Kundenbindung stärken, sondern auch den gestiegenen Erwartungen ihrer Kunden an Hygiene und Gesundheitsschutz gerecht werden.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie legten europäische Verbraucher Wert auf neue Technologien im Geschäft. Zu den wichtigsten Maßnahmen für eine Verbesserung des stationären Einkaufserlebnisses zählt der automatisierte Checkout (34 Prozent), gefolgt von personalisierten Angeboten, die beim Betreten des Geschäfts auf das Smartphone des Kunden gesendet werden (29 Prozent) und Navigationshilfen im Laden (21 Prozent). Insbesondere junge Konsumenten und solche, die täglich Lebensmittelgeschäfte für sogenannte Microtrips von wenigen Minuten aufsuchen, erwarten zeitsparende Checkout-Möglichkeiten. Gesundheitliche Bedenken und Abstandsregeln haben den Bedarf an einem kontaktlosen Einkauf im Geschäft erhöht. Selbst unter deutschen Verbrauchern, bei denen sich mobile Anwendungen im Laden langsamer durchsetzen als bei anderen europäischen Verbrauchern, hat das kontaktlose Bezahlen seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie einen Aufschwung erfahren. Für Einzelhändler sind automatisierte Kassen und kontaktlose Zahlungsoptionen nicht mehr nur ein optionaler Service, sondern ein klares Muss.

Bewusstes Konsumverhalten

In Krisenzeiten haben Gesundheit und finanzielle Sicherheit oberste Priorität für europäische Verbraucher. Trotzdem sind wir davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit auch in Zukunft nicht nur ein wesentlicher Faktor bei der Kaufentscheidung bleiben, sondern noch wichtiger werden wird. Vor der Pandemie war es europäischen Verbrauchern vor allem wichtig, Plastik zu vermeiden und Verpackungen zu reduzieren. Dieses Thema wird voraussichtlich in nächster Zeit ein Stück in den Hintergrund rücken, da Hygieneanforderungen in Zeiten der Pandemie immens an Bedeutung gewinnen.

Während des Lockdowns hatten die Verbraucher Zeit zur Reflexion und haben festgestellt, dass sie viel weniger brauchten und ihnen andere Dinge wichtig wurden, als sie vor der Pandemie dachten. Da viele europäische Verbraucher aufgrund geringerer Haushaltseinkommen während der Krise gezwungen sind, ihre Ausgaben zu reduzieren, werden sie sich nunmehr genauer überlegen, was und wo sie einkaufen.

Schon vor dem Ausbruch der Pandemie hatten die Verbraucher klare Nachhaltigkeitsanforderungen an Händler und Konsumgüterhersteller. 43 Prozent der europäischen Verbraucher erwarten, dass Unternehmen die Verantwortung für ihren ökologischen Fußabdruck übernehmen, und ein Viertel der Verbraucher achtet beim Einkauf auf Nachhaltigkeitsaspekte – unter anderem im Hinblick auf die Umwelt, die soziale Verantwortung und Transparenz bei der Herkunft der Produkte. Durch eine konsequente Umsetzung von Nachhaltigkeitsaspekten können Händler und Konsumgüterhersteller nicht nur ihre Lieferketten resilienter gestalten, sondern sich gleichzeitig auch von ihren Wettbewerbern differenzieren und so ihre Kunden dauerhaft von sich zu überzeugen.

COVID-19 hat die Bedeutung von Nachhaltigkeit an der Schnittstelle von Gesundheit und Compliance in den Vordergrund gerückt. Die Rückverfolgbarkeit der Produktherkunft und Transparenz der Geschäftspraktiken sind zu Schlüsselfaktoren für nachhaltige und widerstandsfähige Lieferketten geworden. Die europäischen Verbraucher sehen in erster Linie die Regierungen in der Verantwortung bei der Umsetzung nachhaltiger Verhaltensweisen. Sowohl in der Europäischen Union mit ihrer Green-Deal-Initiative als auch auf Ebene nationaler Regierungen werden Programme zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards vorangetrieben und so die Verantwortung von Einzelhändlern und Konsumgüterproduzenten für ihre globalen Lieferketten ausgeweitet.

Methodik

Für die europäische Ausgabe des PwC Global Consumer Insights Survey 2020 wurden europäische Konsumenten in Großstädten in zwei Studien zu ihrem Kaufverhalten befragt. Die erste Umfrage wurde vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie durchgeführt. An ihr nahmen 6.185 Verbraucher aus 22 Städten in 7 europäischen Ländern teil. Die zweite Umfrage erfolgte im April und Mai 2020, nach dem Ausbruch der Pandemie. An ihr nahmen 3.400 Verbraucher aus 7 Ländern teil (Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien). Wir haben Konsumenten in Großstädten befragt, weil Millionen von Menschen in Städten leben und diese Bevölkerungskonzentration eine neue Ära des Konsumverhaltens geprägt hat. Städte sind pulsierende Bildungs- und Innovationszentren und Keimzellen für neue Ideen. Wir wollten das Verhalten dieser relevanten Konsumentengruppe verstehen und daraus Handlungsempfehlungen für Unternehmen ableiten.

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Head of Business Development, PwC Germany

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