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Das Vinyl-Revival im Faktencheck

Come back and stay?

Die Deloitte Experten Klaus Böhm und Ralf Esser erklären im Interview, warum sich die Schallplatte bei Medienkonsumenten heute wieder besonderer Beliebtheit erfreut. Wie kann der Handel das Vinyl-Revival am besten monetarisieren und wie nachhaltig können sich die analogen Tonträger in der Gunst der Käufer behaupten?

Hat Sie das Comeback der Schallplatte überrascht?

KLAUS BÖHM: In diesem Ausmaß kommt das Revival von Vinyl für mich schon überraschend. Schließlich hören fast 40 Prozent der Deutschen inzwischen wieder Schallplatte, 12 Prozent tun dies mindestens einmal in der Woche. Offensichtlich ist bei vielen Mediennutzern der Wunsch nach einem „echten“ Nutzungserlebnis vorhanden, gewissermaßen als Gegenentwurf zu digitalen Angeboten, die Content immer und überall verfügbar machen.
 

Wer hört denn die schwarzen Scheiben?

RALF ESSER: Interessanterweise sind es nicht nur ältere Konsumenten, die aus einer Nostalgie heraus die Schallplatte wiederentdeckt haben. Stattdessen ist die Popularität von Vinyl in allen Alterssegmenten konstant hoch. Lediglich sehr junge Mediennutzern hören weniger Schallplatte. Der Vergleich mit den Ergebnissen der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2016 zeigt besonders eindrucksvolle Zuwächse in den mittleren Altersgruppen.
 

Ist das Phänomen „Vinyl-Revival“ einzigartig oder gibt es ähnliche Entwicklungen auch in anderen Mediengattungen?

KLAUS BÖHM: Die Ergebnisse unseres aktuellen Media Consumer Survey zeigen in der Tat eine Renaissance weiterer haptischer, zum Teil schon totgeglaubter Medienprodukte. So blieb trotz der steigenden Akzeptanz von E-Paper und Online-News die Zahl der Leser gedruckter Tageszeitungen zuletzt stabil. Ähnliches ist im Zeitschriften-Segment zu beobachten. Und die Nutzung gedruckter Bücher nahm sogar in den vergangenen beiden Jahren in fast allen Altersgruppen zu.
 

Was bedeutet dieser Trend für digitale Medienangebote?

KLAUS BÖHM: Digitale Angebote boomen weiter, völlig unabhängig von einem „zurück zur Haptik“ bei einzelnen Medienprodukten. Auch das geht eindeutig aus unseren Marktforschungsergebnissen hervor. Bei der Frage nach digitaler versus traditioneller Mediennutzung stehen die Zeichen auf „sowohl als auch“. Schließlich ergänzen sich Digital und Analog ideal: So ermöglichen Streaming-Dienste den flexiblen Zugriff auf ein gefühlt unbegrenztes Content-Angebot und sind ideale Begleiter für den Medienkonsum unterwegs. Zu Hause schätzen zahlreiche Streaming-Nutzer dagegen die Lektüre der gedruckten Zeitung am Frühstückstisch oder genießen eine Schallplatte bei einem Glas Wein am Abend.
 

Wie können die entsprechenden Marktteilnehmer den Trend zur Schallplatte monetarisieren?

RALF ESSER: Schallplatten werden inzwischen nicht mehr nur als Tonträger vermarktet, sondern sind häufig auch ein Fanprodukt. Musikliebhaber haben dabei oft die Qual der Wahl zwischen unterschiedlichen Paketen für unterschiedliche Budgets. Mit aufwendigen Covers und Booklets, farbigem Vinyl, zusätzlichen Tonträgern mit Bonus-Track oder Download-Codes für das mp3-Album existieren zahlreiche Möglichkeiten der Paketierung von Alben. Limitierte Editionen sorgen für zusätzliche Exklusivität. Für diese Angebote wird in der Regel ein Mehrfaches des Preises von CD oder mp3-Download aufgerufen und auch bezahlt, sehr zur Freude von Künstlern und Plattenfirmen.
 

Die aktuelle Deloitte-Studie heißt „Come back and stay“. Ist Vinyl wirklich wiedergekommen, um zu bleiben, oder ist das Comeback vielleicht doch nur ein temporäres Phänomen?

RALF ESSER: Das Comeback der Schallplatte ist kein vorübergehendes Intermezzo. Vinyl hat sich innerhalb der Musikindustrie als das neue Premiumsegment etabliert. Wir gehen derzeit von einer adressierbaren Zielgruppe in Deutschland von rund sieben Millionen Konsumenten über 15 Jahren aus. Allerdings stehen nach Jahren stetigen Wachstums die Zeichen nun erst einmal auf Konsolidierung. Die beteiligten Akteure sollten das weitere Potenzial daher realistisch einschätzen. Denn eines steht fest: Die große Masse der Mediennutzer wird weiterhin andere Zugänge zu Musik bevorzugen als die Schallplatte.