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Mehrwertsteuersenkung Jeder Fünfte erwägt größere Anschaffung

Was bringt die niedrigere Mehrwertsteuer Verbrauchern und Firmen? Die meisten Deutschen erwarten wenig, zeigt eine SPIEGEL-Umfrage. Doch ihre Pläne deuten durchaus auf einen Konsumschub hin.
Einkaufsstraße in Köln: Vier Prozent der Deutschen können sich vorstellen, im zweiten Halbjahr ungeplant Geld für Elektronik auszugeben

Einkaufsstraße in Köln: Vier Prozent der Deutschen können sich vorstellen, im zweiten Halbjahr ungeplant Geld für Elektronik auszugeben

Foto: Henning Kaiser/ dpa

Eine große Mehrheit der Menschen in Deutschland erwartet von der befristeten Mehrwertsteuersenkung höchstens einen geringen Effekt: Viele Unternehmen, so die weit überwiegende Meinung, würden die Senkung nicht an die Kunden weiterreichen - und schon gar nicht in einem Maß, das für die Verbraucher auch einen spürbaren Effekt habe. Andererseits kann sich jede und jeder Fünfte vorstellen, die niedrigere Steuer nun für eine ungeplante größere Anschaffung zu nutzen.

Damit legt eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag des SPIEGEL unter rund 5000 Menschen in Deutschland eine Vermutung nahe: Die von führenden Vertretern der Großen Koalition als Herzstück bezeichnete Maßnahme ihres Corona-Konjunkturpakets könnte stärker wirken, als es die meisten Bürgerinnen und Bürger erwarten. Vom 1. Juli bis zum Ende des Jahres soll der reguläre Steuersatz von 19 auf 16 und der ermäßigte von sieben auf fünf Prozent gesenkt werden.

Allerdings sind die Erwartungen auch relativ einfach zu übertreffen. Nur 19 Prozent der Befragten glauben, dass die Deutschen aufgrund der niedrigeren Mehrwertsteuer mehr konsumieren werden. Sieben Prozent sind sogar der Ansicht, dass sie den Konsum bremst. Die große Mehrheit von 72 Prozent ist der Ansicht, dass sie schlicht keine Wirkung auf das Kaufverhalten haben wird.

Der Grund dafür liegt offenbar vor allem in der weitverbreiteten Annahme, dass die Preise gar nicht sinken werden. Knapp zwei Drittel der Befragten denken nicht, dass Unternehmen die niedrigere Steuer an die Verbraucher weiterreichen werden, nur jede und jeder Fünfte erwartet das schon.

Dabei ist die Skepsis im Osten deutlich stärker ausgeprägt - zwischen Wismar und Zittau rechnen nur elf Prozent mit kleineren Preisen, im Rest der Republik sind es doppelt so viele. Allerdings rechnen auch im Westen fast zwei Drittel der Verbraucher damit, dass die Unternehmen ihre Margen erhöhen, statt die Preise zu senken.

Doch selbst unter jenen, die mit günstigeren Waren und Dienstleistungen rechnen, erwarten viele nur minimale Preissenkungen - so klein, dass sie nicht einmal bemerkt werden. Denn befragt danach, ob die Senkung zu spürbar niedrigeren Preisen führen werde, verneinen das 79 Prozent. Nur zwölf Prozent glauben das Gegenteil. Hier zeigt sich im Übrigen kein großer Unterschied zwischen den Verbraucherinnen in West- und in Ostdeutschland.

Hinter dieser Diskrepanz zwischen der allgemeinen Erwartung von Preissenkungen und deren spürbaren Effekten könnte die Überlegung vieler Befragter stehen, dass die Mehrwertsteuersenkung bei einzelnen Artikeln wenig Ersparnis bringt - bei einem Becher Joghurt nur ein oder zwei Cent oder bei einer Markenjeans zwei Euro.

Berechnungen des DIW-Ökonomen Stefan Bach zeigen hingegen, dass sich die Entlastung für die Verbraucher am Ende durchweg zu spürbaren Beträgen summieren könnte - vorausgesetzt, sie wird von den Unternehmen vollständig weitergegeben, woran auch viele Ökonomen zweifeln.

Zu erwarten ist allerdings, dass die Mehrwertsteuersenkung bei größeren Anschaffungen weitergegeben wird. Wer sich ein neues Auto oder eine Küche kauft, wird bei seinem Händler darauf pochen. Darauf beruht auch ein großer Teil der Hoffnung, den die Bundesregierung in die befristete Absenkung setzt: dass die Bürger in der zweiten Jahreshälfte viel Geld für teure Waren und Dienstleistungen ausgeben. Selbst wenn sie diese ohnehin für einen späteren Zeitpunkt geplant hatten, würde dies den durch die Coronakrise hart getroffenen Unternehmen nun das schnelle Umsatzwachstum bescheren, das sie benötigen.

Noch besser und nachhaltiger wäre die Wirkung, wenn Verbraucher nun sogar ungeplant größere Anschaffungen erwägen. Das scheint immerhin bei jedem und jeder Fünften der Fall zu sein: Mehr als 20 Prozent der Befragten gaben an, sich das nun vorstellen zu können - und bei einigen könnten es gleich mehrere solcher Anschaffungen sein. Darüber könnten sich Handwerker freuen, denn ihre Dienstleistungen wurden von den Befragten am häufigsten genannt (5,0 Prozent). Auch Möbel und Elektronik stehen weit oben auf der Wunschliste. Ein neues Auto könnten sich immerhin noch 3,4 Prozent der Befragten vorstellen - bei mehr als 40 Millionen Haushalten in Deutschland wären das mehr als 1,3 Millionen Fahrzeuge, die wegen der gesunkenen Mehrwertsteuer zusätzlich verkauft würden.

Würden die Verbraucher ihre Erwägungen auch in konkrete Käufe umsetzen, bekäme der Binnenkonsum im zweiten Halbjahr einen starken Anschub. Statistisch könnte der im Vergleich zum ohnehin katastrophalen ersten Halbjahr sogar noch stärker ausfallen, weil die angekündigte Mehrwertsteuersenkung kurzfristig einen negativen Effekt hat: Gut 14 Prozent der Menschen in Deutschland haben offenbar eine geplante größere Anschaffung verschoben, um von der Senkung profitieren zu können. Auch hier stehen Handwerksleistungen und Möbel weit oben auf der Rangliste.

Gut möglich also, dass die Geschäftszahlen vieler Unternehmen in Handel und Industrie sowie bei Handwerkern in diesem Juni außerordentlich negativ ausfallen werden. Umso beeindruckender könnte dann der Boom ab dem 1. Juli aussehen.

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