Helmut Schlotterer:"Ohne Gewinn kein Überleben"

kombi Familienunternehmen

Marc Cain lässt sich auch von den Trends großer Modefirmen beeinflussen. Die aktuelle Herbst-Winterkollektion bleibt aber der Linie des Hauses treu und setzt stark auf Farbe und Drucke.

(Foto: Marc Cain)

1973 gründete Helmut Schlotterer Marc Cain. Damit rettete er auch die Strickfirma seines Vaters. Ein Gespräch über die harten Anfangsjahre und warum Männer sich anders verführen lassen als Frauen.

Interview von Katharina Wetzel

Helmut Schlotterer hat schon viele Preise bekommen, und darauf weist er gerne hin. Seine Firma Marc Cain macht 261 Millionen Euro Umsatz im Jahr, bei einem Jahresüberschuss nach Steuern von 18 Millionen Euro. So ein Ergebnis ist in der deutschen Modeindustrie derzeit etwas ganz Besonderes. Was macht den Erfolg der Marke aus? Vom Kleid bis zum Büromöbel stellt Marc Cain alles in der eigenen Produktion in Bodelshausen nahe Tübingen her. Schlotterer ist dieses Jahr 70 geworden. Doch die harten Anfangsjahre hat er nicht vergessen. Und von Modewellen lässt er sich schon gar nicht beeindrucken.

SZ: Wie schafft es eine Marke wie Marc Cain, begehrenswert zu bleiben?

Helmut Schlotterer: Das ist die Kernfrage schlechthin. Bedarf ist keiner da, die Kleiderschränke sind ja voll. Es geht somit um Begehrlichkeit. Was macht Mode für Frauen begehrenswert? Im Kern steckt Verführung dahinter, da reagiert jeder Konsument individuell: Männer mehr auf Autos, Frauen auf Mode mit Schuhen und Handtaschen.

Das müssen Sie näher erklären.

Erst die Begehrlichkeit, "ich will so ein Teil haben", setzt den Kaufimpuls. Wenn es zum Kauf kommt, darf keine Enttäuschung folgen über Qualität, Passform, Pflege. Da ist eine Marke wie Marc Cain anders positioniert als billige Labels. Wir operieren in einer anderen Preislage. Eine Kundin, die ihr gutes Geld ausgegeben hat, will auch einen nachhaltigen Wert. Marc Cain setzt auf Nachhaltigkeit.

Eine Reihe von Modefirmen wie Strenesse, Steilmann sind insolvent oder stecken in der Krise wie René Lezard oder Laurèl. Was haben die denn falsch gemacht?

Die deutschen Marken im sogenannten Premiumbereich waren vor circa 20 Jahren auf gleicher Augenhöhe. Seit 2000 hat Marc Cain ein fulminantes Wachstum vorzuweisen, während die Mitbewerber verloren haben. Woran liegt das? Wir sind nicht nur eine Vertriebsorganisation mit angeschlossener Designabteilung, wir sind Hersteller. Um das in Deutschland bleiben zu können, bedarf es permanenter Innovation wie zum Beispiel im Digitaldruck, Drei-dimensionales Stricken. Wenn die Beschaffung auf Zukauf bei fremden Produzenten beruht, ist deren Können das Limit.

Wie produzieren Sie?

Wir produzieren vorwiegend in Europa. Unsere Stoffe, Garne, Jerseys kommen aus Italien und werden hier in Bodelshausen noch weiter bearbeitet. Wir stricken, waschen, bedrucken, wir veredeln Stoffe. Gestrickt wird 24 Stunden am Tag, im Dreischichtbetrieb. Die Endkonfektion, also Zuschneiden und Nähen, findet dann hauptsächlich in Ungarn, Bulgarien und Rumänien statt. Wir sind nicht auf Billiglöhne in Asien angewiesen. Wir müssen letztlich aber auch unsere Mitarbeiter und Partner zufrieden- stellen und darauf achten, dass der Preis von der Konsumentin gezahlt wird. Bei uns kostet ein Blazer zwischen 199 bis 499 Euro. Und die "richtige" Mode haben wir geschaffen, wenn der Verkauf den gewünschten Erfolg bringt.

Wie hoch muss die Marge sein, damit sich das rechnet?

Die Kalkulation gliedert sich vertikal in drei Stufen: Herstellung, Vertrieb an Handelskunden und die Kalkulation des Modehandels. Im Einzelhandel verteuert sich ein Kleidungsstück meist um den Faktor 2,7 inklusive 19 Prozent Mehrwertsteuer.

Was kommt direkt bei Ihnen an?

Wir versuchen auf allen drei Stufen gute Erträge zu generieren, - ohne Gewinn kein Überleben. Im Handel ist der ständige Preisverfall durch Rabatte und Rotstiftaktionen das Elend. Wenn man sich die Aktionen des Handels ansieht, scheint es nur noch um den Preis zu gehen, Qualität und Service finden kaum noch Erwähnung. Wir hatten einen sehr heißen September. Der Handel hat teilweise schon versucht, frisch gelieferte Herbst-/Winterware mit Rabatten zu verkaufen, um das Geschäft bei 30 Grad zu beleben. Keine gute Idee.

Und dann machen auch noch Ketten wie Zara und internationale Designermarken dem Handel Druck.

Also Chanel, Prada und Gucci sind nicht unsere Mitbewerber, die spielen schon preislich in einer anderen Liga. Die sogenannten Vertikalen wie Zara, Mango, H&M haben ein anderes Geschäftsmodell, mit dem wir uns nicht vergleichen können.

Viele Innenstädte leiden doch heute unter einem Frequenzmangel.

Ja, für den innerstädtischen Handel ist der Rückgang der Frequenz ein Problem. Das Kaufverhalten hat sich geändert. Jeder Euro, der im Internet ausgegeben wird, der fehlt im stationären Handel.

Ist das Einzelhandelssterben für Sie schmerzhaft?

Nicht sehr. Es gilt, bei den Starken, den Händlern mit Zukunftspotenzial vertreten zu sein. Das gilt national wie international.

Hat denn der stationäre Handel überhaupt eine Überlebenschance?

Klar. Es wird nicht so kommen, dass es keine Geschäfte und keine Schaufenster mehr geben wird, dass die Kunden nur noch im Fernhandel kaufen, also zu Hause von der Couch aus bestellen. Das Kauferlebnis im Geschäft und das persönliche Gespräch wirken belebend und inspirierend. Nur muss das eben der Handel auch bieten.

Wie lösen Sie die Probleme im Handel?

Die Konsumenten sind heute auf allen Kanälen unterwegs: in stationären Geschäften der Innenstädte, in den Outlets und zunehmend im Internet. Dieses Modell nennen wir Omnichannel, wir müssen die Kunden erreichen, wo immer sie sich auch bewegen. Das Marktvolumen unserer Zielgruppe ist nicht größer geworden, es stagniert demografisch. Unser Wachstum beruht auf Verdrängungswettbewerb, die Besseren sind erfolgreicher. In den von unserem Fachorgan Textilwirtschaft beim Modehandel abgefragten Leistungsdaten wie Passform, Qualität, Attraktivität der Marke, Verdienstmöglichkeit des Handels und so weiter haben wir seit Jahren eine überragende Spitzenposition. Zusätzlich sind wir auf neuen Exportmärkten stark gewachsen.

In Russland laufen derzeit aber die Geschäfte nicht so gut, oder?

Wir haben wegen der Wirtschaftskrise Einbußen erlebt, aber wir konnten uns auf hohem Niveau halten. Wir haben russisch sprechende Mitarbeiter, die in kyrillischer Schrift ihre E-Mails schreiben. Zusätzlich haben wir noch eine Tochter in Russland gegründet, um näher am Markt zu sein. Aber generell ist die politische und wirtschaftliche Entwicklung nicht erfreulich - ich sehe leider keine Wende.

Was sind Ihre Hauptabsatzmärkte?

Die EU - da aber immer weniger die Südeuropäer. Die dortige Zahlungsmoral ist nicht akzeptabel, die Struktur des Einzelhandels ist 40 Jahre hinter Deutschland zurück. China ist seit 16 Jahren ein großer Markt für uns, Japan stagniert. Unser neuer Fokus ist auf Nordamerika gerichtet.

Ist die Zahlungsmoral in Deutschland besser?

Ja, unsere Marke ist so stark, dass wir unsere Partner aussuchen können.

Wie stellen Sie sicher, dass sich Ihre Kollektion gut verkauft?

Wir arbeiten auf großen Erfahrungswerten - und orientieren uns schon daran, was die ganz Großen im internationalen Modegeschäft vorgeben. Die Kunst ist dann, die richtige Übersetzung der Trends zu finden, in unserer Handschrift für unsere Kunden. Es ist ja nicht so, dass wir eine Mode machen, die die Welt noch nie gesehen hat - es ist eine ständige Wandlung in bestimmten Wellen der Farben und Silhouetten.

Ihr Ursprung kommt vom Strick.

Hier an unserem Standort war eine Strickregion mit Hunderten Betrieben, die in den Siebzigerjahren alle verschwunden sind. Mein Vater hatte auch so ein Strickwaren-Fabrikle. Auf väterlichen Druck hin habe ich Textiltechnik studiert und durfte dann für ein Jahr nach Paris gehen, zur Belohnung. Da merkte ich, Bodelshausen ist nicht mehr meine Welt. Nach dem BWL-Studium ging ich sofort nach Italien und habe Marc Cain gegründet. Nichts hat mich mehr ins Schwabenland gezogen. Doch es kam später anders, die Sanierung des väterlichen Betriebes brachte mich wieder zurück.

Sie haben die Firma Ihres Vaters vor der Insolvenz gerettet. Hat er Sie um Hilfe gebeten?

Nein, die Väter dieser Generation haben ihre Söhne nicht um Hilfe gebeten - und Dankesworte waren auch nicht üblich.

Doch Sie haben die Wende geschafft.

Mit sehr viel Fleiß und Besessenheit. Das waren wirklich fürchterliche Jahre: die Banken im Nacken, die Kollektion ungewiss, die ganze Zukunft unsicher, immer am Rande der Pleite entlang. 1976 war die Firma meines Vaters immens überschuldet.

Wie haben Sie das alles durchgestanden?

Ich hatte eine Vision, die mithilfe tüchtiger Mitarbeiter in Erfüllung ging.

Waren Sie schon immer Ihrer Zeit voraus?

Mit 40 hatte ich eine Midlife-Crisis. Denn ein Schwabe muss mit 40 ein Haus gebaut, ein Kind gezeugt und einen Baum gepflanzt haben. Ich hatte diese drei Schwabenziele nicht erfüllt, dafür aber ein paar Strickmaschinen. Doch es ging aufwärts. Als die erste digitale Revolution stattfand, waren wir dabei. In der Informatik, der Strick- und Druckereitechnik. Wir konnten immer wieder durch technische Entwicklungen den Produktionsstandort verteidigen, also durch permanente Investitionen und Innovation mit engagierten und fähigen Mitarbeitern den Erfolg sichern. Wir "nähen" heute Muster virtuell, stricken dreidimensional ohne Nähte. Auch in Vertriebs- und Marketingthemen waren wir der Zeit immer voraus. Der Prozess ist nie zu Ende, es geht immer weiter.

War es Ihr Traum, die Firma Ihres Vaters zu übernehmen?

Na ja, das Produkt meines Vaters fand ich nicht so prickelnd. Mein Traum war, Architektur zu studieren. Dazu kam es dann nicht, aus heutiger Sicht bin ich froh darum und zufrieden. Ab 2008 konnte ich dann meine architektonischen Träume bei Marc Cain verwirklichen. Ich habe hier in Bodelshausen einen weißen, ästhetisch sehr anspruchsvollen Gebäude- und Gartenkomplex gebaut. Das ist hier unser Hightech-Standort - eine weiße Fabrik. Diese hat mit einem normalen Textilbetrieb wenig gemein. Der Betrieb ist meine Familie, ich habe 964 Mitarbeiter allein in Deutschland, und die Leute wollen keinen Betriebsrat.

Sie investieren kräftig in "Marc Cain City" in Bodelshausen, oder?

Das letzte große Projekt war hier die Logistik mit 35 Millionen Euro letztes Jahr. Ich habe insgesamt an diesem Standort 140 Millionen Euro ausgegeben.

Und das finanzieren Sie wie?

Durch entsprechenden Ertrag, der nicht an Investoren oder weitverzweigte Familienstämme ausbezahlt werden muss. Nachdem ich den Sanierungskampf in den Siebzigerjahren überlebt hatte, schwor ich mir, dass ich von Bankern nicht mehr abhängig sein werde.

Wie viel erwirtschaften Sie?

Wenn wir dieses Jahr 16 Prozent Umsatzrendite erwirtschaften, haben wir unser Ziel erreicht.

Welche Marktposition wollen Sie noch erreichen?

In Deutschland und Nordeuropa sind wir Nummer eins im "Modern Premium"-Bereich. Wenn dann auch im Ausland alle Hausaufgaben gemacht sind, sage ich gerne im Scherz: Wenn mich der Wahnsinn befällt, mache ich eine Männerkollektion.

Haben Sie Ihre Nachfolge auch gelöst?

Ich habe meine soziale Stiftung als Erbe eingesetzt, weil meine Frau und ich keine Kinder haben. Ich denke aber auch an Mitarbeiterbeteiligungen. Verkaufen werde ich nie. Ich bekomme laufend Angebote von Investoren, aber Marc Cain steht nicht zum Verkauf.

Was haben Sie privat noch vor?

Gesund weiterleben und arbeiten. Ein guter Ehemann für meine Frau und weiterhin ein guter Chef zu sein. Mein Vater ist nur 72 geworden. Ich lebe jeden Tag sehr intensiv. Meine Bilanz ist bislang positiv.

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