Das Bohrschiff «Yavuz» wird bei seiner Überfahrt auf dem Marmarameer von einer Marine-Einheit eskortiert. (Bild: Lefteris Pitarakis / AP)

Das Bohrschiff «Yavuz» wird bei seiner Überfahrt auf dem Marmarameer von einer Marine-Einheit eskortiert. (Bild: Lefteris Pitarakis / AP)

Vor Zypern werden grosse Erdgasvorräte vermutet. Dass sie je gefördert werden, ist aber keineswegs sicher

Die Türkei veranstaltet im östlichen Mittelmeer Störmanöver, um die Förderung der Energievorkommen vor Zypern zu behindern. Doch stellen sich über die politischen Probleme hinaus Fragen zur Nachhaltigkeit des zypriotischen Gas-Fiebers.

Volker Pabst, Nikosia
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Erdgas ist flüchtig, und es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der zypriotische Traum vom grossen Geld dank den vermuteten Erdgasvorkommen wieder verflüchtigen wird. Doch bevor es so weit ist, wird der Streit um die Ansprüche auf die ungehobenen Schätze noch viel zu reden geben. Denn Gas ist auch explosiv. Im konfliktbeladenen Kontext der geteilten Mittelmeerinsel gilt das erst recht.

Türkische Störmanöver

Im östlichen Mittelmeer werden beträchtliche Erdgasreserven vermutet. In den Wirtschaftszonen Israels (Leviathan-Feld, 620 Mrd. m3) und insbesondere Ägyptens (Zohr, 850 Mrd. m3) wurden im vergangenen Jahrzehnt relevante Funde gemacht. Südlich von Zypern wurden ebenfalls Lagerstätten entdeckt, wenn auch in kleinerem Umfang (Aphrodite, 200 Mrd. m3, und Calypso, dessen Volumen noch nicht gesichert ist).

Erdgasfieber im östlichen Mittelmeer

Erdgasfieber im östlichen Mittelmeer

Die Erkundungsarbeiten gehen weiter, insgesamt 13 Blöcke hat die Regierung in Nikosia für internationale Rohstoffkonzerne zur Exploration ausgeschrieben. Auf einen Teil des Gebiets erhebt aber auch die Türkei beziehungsweise die international nicht anerkannte Türkische Republik Nordzypern Anspruch. Die nordzypriotische Regierung hat ebenfalls Bohrlizenzen vergeben, an das staatliche türkische Energieunternehmen TPAO. Zudem unternimmt Ankara seit Beginn des zypriotischen Gas-Fiebers Störmanöver gegen die Ausbeutung der Vorkommen.

Im vergangenen Jahr hinderte die türkische Marine ein Bohrschiff des italienischen Konzerns Eni an der Fahrt in zypriotische Gewässer. Nun markiert die Türkei bereits seit mehreren Monaten mit Bohr- und Erkundungsschiffen sowie militärischem Begleitschutz in Gebieten Präsenz, die Nikosia zur eigenen Wirtschaftszone zählt. Die EU verurteilt das türkische Vorgehen und hat kürzlich sogar erste Sanktionen erlassen. Ankara zeigt sich darob aber demonstrativ unbeeindruckt und will bald ein viertes Schiff vor die Küste Zyperns entsenden.

Der Türkei geht es um das ganze Mittelmeer

Laut dem Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia, Hubert Faustmann, steht für Ankara dabei weit mehr auf dem Spiel als Gas. Tatsächlich bohrt die Türkei bis jetzt in Gebieten, wo es kaum Hinweise auf Vorkommen gibt. «Es geht hier um die türkische Machtposition im Mittelmeer. Ankara markiert auch mit Blick auf den Streit um die Seegrenzen mit Griechenland Präsenz.» Die Hoheitszone um die Ägäisinseln ist ein ewiger Streitpunkt zwischen den beiden Erzfeinden, ebenso Griechenlands östlichster Fleck, das Eiland Kastelorizo. Eine grosszügige Auslegung der griechischen Ansprüche um diese Inseln würde die Türkei entlang eines Grossteils ihrer Küste vom direkten Zugang zu internationalen Gewässern trennen.

Dass dies für die Türkei inakzeptabel ist, bestätigt auch Ahmed Sözen, ein Experte für türkische Aussenpolitik in Famagusta in Nordzypern. «Die Türkei wird niemals klein beigeben. Die Störmanöver werden weitergehen.» Innenpolitisch ist diese Linie weitgehend unbestritten. Trotz der starken Polarisierung der türkischen Politlandschaft unterstützen mit Ausnahme der prokurdischen HDP alle Parlamentsfraktionen die Regierungspolitik im östlichen Mittelmeer ausdrücklich. «Die Gasvorkommen hätten eigentlich das Potenzial, als Katalysator für die Lösung des Zypernkonflikts zu dienen. Stattdessen wirken sie als Brandbeschleuniger.»

Der Streit hat aber auch direkte ökonomische Auswirkungen: Jeder Eskalationsschritt treibt die Versicherungsprämien für die Fördergesellschaften in die Höhe. Dabei ist die Wirtschaftlichkeit der Gasförderung vor Zypern angesichts des gegenwärtigen Preisniveaus ohnehin fraglich. Und das ist Nikosias zweites Problem.

Wohin mit dem Erdgas?

Die Monetarisierung der zypriotischen Vorkommen ist in jedem Fall anspruchsvoll, wie der Energieexperte Charles Ellinas erklärt, der früher dem nationalen Unternehmen für Öl und Gas, Kretyk, vorstand und heute eine Beratungsfirma in Nikosia leitet. Dies habe mit der relativ aufwendigen Bohrung in grosser Tiefe zu tun sowie mit den gegebenen Exportmöglichkeiten. «Zur Debatte stehen drei Optionen, und alle sind teuer – vor allem bei den gegenwärtigen Fundmengen und dem bestehenden Überangebot auf den Märkten. Selbst Israel, das über viel grössere Vorkommen verfügt, ist es bisher nicht gelungen, sein Gas zu exportieren.»

Ein Szenario für Zypern ist der Bau einer Verflüssigungsanlage an der Südküste, um das Gas zu verschiffen. «Selbst bei idealen Bedingungen und wenn noch viel mehr Gas gefunden würde, ist dabei mit einem Endpreis von 7 bis 8 $ zu rechnen. Das ist ein Mehrfaches davon, was man zurzeit in Europa bezahlt. Zudem müssen Sie zuerst einmal ein Unternehmen finden, das überhaupt bereit ist, eine solch teure Anlage zu bauen.»

Dass grosse Energiefirmen wie Eni, Total oder ExxonMobil in Zypern Bohrrechte erstehen und Erkundungsarbeiten durchführen, heisst laut Ellinas nicht, dass sie in jedem Fall auch bereit sind, in den nächsten Jahren Milliardeninvestitionen zu tätigen. «Dafür müssten die Ertragsaussichten viel besser sein. Was zurzeit getätigt wird, sind Investitionen mit einem Horizont von Jahrzehnten, die durchaus auch wieder abgeschrieben werden können.»

Die ebenfalls im Gespräch stehende EastMed-Pipeline, die zypriotisches und israelisches Gas über Kreta und das griechische Festland nach Italien und somit ins europäische Verteilnetz bringen soll, bezeichnet der Energie-Experte als noch weniger realisierbar, und dies nicht nur, weil Rom zurzeit bremst. «Die technischen Herausforderungen sind gewaltig, so etwas wurde noch nie gebaut. Kostenexplosionen sind da vorprogrammiert.»

Am realistischsten sei der Verkauf des Gases nach Ägypten über eine noch zu erstellende Pipeline, wie es für die Vorkommen aus dem Aphrodite-Feld vorgesehen ist. Das Land am Nil sei dank den eigenen Funden zwar in wenigen Jahren nicht mehr auf Importe angewiesen. Doch könne das zypriotische Gas in einer der beiden bestehenden Anlagen verflüssigt und dann auf dem Weltmarkt weiterverkauft werden, idealerweise nach Süd- und Südostasien, wo es weniger Konkurrenz durch billiges russisches Gas gibt. Dass Zypern dadurch Einkommen von 9 bis 10 Mrd. $ erzielen wird, wie es einige Politiker behaupten, hält Ellinas aber für unrealistisch. «Hier werden Erwartungen geschürt, die mit der Realität nichts zu tun haben.»

Ohne Konfliktlösung keine Förderung

Am wirtschaftlichsten wäre es freilich, das Gas in die nahe gelegene Türkei zu liefern, wo es eine grosse Binnennachfrage gibt sowie ein Pipeline-Netzwerk für den Export nach Europa. Unter den gegebenen politischen Umständen ist dies allerdings unvorstellbar, Nikosia und Ankara unterhalten nicht einmal diplomatische Beziehungen. Dennoch glaubt Ellinas, dass Ankara diese Option im gegenwärtigen Machtspiel mit einkalkuliert. «Die Türkei muss in den nächsten fünf Jahren ihre langfristigen Abnahmeverträge erneuern. Mehrere potenzielle Lieferanten zu haben, erhöht den Verhandlungsspielraum.»

Unabhängig von diesem Szenario sind sich im Süden wie im Norden der geteilten Insel die meisten Beobachter einig, dass die Monetarisierung der Gasvorräte von Fortschritten in der Lösung des Zypernkonflikts abhängt. Über die Reihenfolge der Schritte gehen die Meinungen aber auseinander. Die türkischzypriotische Seite und Ankara fordern eine Regelung über die Aufteilung der Bodenschätze, bevor die politischen Probleme zwischen den beiden Seiten gelöst werden.

«Wir sehen den Ressourcenreichtum jedoch als Anreiz für die andere Seite, für eine Lösung Hand zu bieten», erklärt Tasos Tzionis, der höchste Beamte im Aussenministerium in Nikosia. «Diesen Trumpf aus der Hand zu geben, wäre unklug.» Zudem sind Zugeständnisse an Ankara – und als solche werden die meisten Kompromisse mit den Türkischzyprioten betrachtet – in der Bevölkerung im Süden nicht mehrheitsfähig.

Ein heisser Sommer

Angesichts der türkischen Interessenlage, über die sich keine nordzypriotische Regierung hinwegsetzen kann, ist aber ohnehin fraglich, wie gross der Anreiz zurzeit tatsächlich ist. Hinzu kommen innenpolitische Umstände im Norden der geteilten Insel, die einer Entspannung im Weg stehen könnten. Im Frühjahr finden Präsidentschaftswahlen statt. Die Aussicht, dass der kompromissbereite Amtsinhaber Akinci abgewählt und durch einen Vertreter einer härteren Linie ersetzt wird, ist real.

Der deutsche Zypern-Experte Faustmann rechnet deshalb für die nächste Zeit nicht mit nennenswerten Fortschritten, trotz einer neuerlichen Initiative für Friedensgespräche, in die auch die Schweiz involviert ist. «Es sei denn, es werden wirklich grosse Gasvorkommen entdeckt.» Falls eine amerikanische Firma einen bedeutenden Fund machen würde, könnte das die Ausgangslage grundlegend ändern. «Wenn der Konflikt ein Milliardengeschäft von ExxonMobil gefährdet, wird Washington politisch ganz anders auftreten, um eine Lösung zu finden.»

Doch auch der Diplomat Tzionis ist der Ansicht, dass sich die Fronten zwischen Zypern und der Türkei im Gasstreit vorerst wohl weiter verhärten werden. «Ich glaube zwar nicht, dass es zu einer Eskalation mit gewaltsamen Zwischenfällen kommt. Aber unser Sommer wird heiss bleiben.»

Wem gehören die Gewässer um Zypern?

pab. · Seit dem türkischen Einmarsch von 1974 ist der Inselstaat Zypern de facto zweigeteilt in einen türkisch besiedelten Norden und einen griechischen Süden. Zwischen den beiden Gebieten existiert eine entvölkerte Pufferzone, die von der Uno kontrolliert wird. 1983 wurde im Norden die Türkische Republik Nordzypern (TRNC) ausgerufen, die mit Ausnahme der Türkei von keinem Staat der Erde anerkannt wird. Völkerrechtlich ist die Regierung der Republik Zypern die einzige legitime Vertretung der gesamten Insel. Folglich kann auch nur die Republik Zypern ein Hoheitsgebiet und eine ausschliessliche Wirtschaftszone (AWZ) um die Insel besitzen. Die diesbezüglichen Ansprüche der TRNC haben im internationalen Recht keinen Bestand. Auf seinem Hoheitsgebiet verfügt ein Staat über souveräne Rechte, in der AWZ kann er auf der alleinigen wirtschaftlichen Ausbeutung der Ressourcen (Fischfang, Öl- und Gasvorkommen) bestehen. 

Weniger eindeutig ist die Ausgangslage in den Gebieten, auf die neben der Republik Zypern auch die Türkei Anspruch erhebt. Zwar orientiert sich Nikosia mit seinen Forderungen an der gängigen Praxis: ein Hoheitsgebiet, das sich über die ersten 12 Seemeilen der Küstengewässer erstreckt (einschliesslich Anschlusszone 24 Meilen), sowie eine ausschliessliche Wirtschaftszone von 200 Seemeilen. Wo innerhalb der 200 Meilen auch andere Staaten Ansprüche geltend machen können, wird zur Abgrenzung die Median-Linie gezogen, so dass die Grenze in gleichem Abstand zur jeweiligen Küste der beiden Länder liegt. Allerdings erkennt die Türkei die zypriotische AWZ nicht an. Das internationale Recht definiert nur die maximale Ausdehnung der Wirtschaftszone, die jeweilige Festlegung erfolgt in der Regel über bilaterale Abkommen. Solange ein solches zwischen Zypern und der Türkei nicht existiert, bestehen in der Frage zwei verschiedene Rechtsauffassungen – und besteht jede Menge Raum für Konflikte. 

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