Rems-Murr-Kreis

Go-Ahead: Ein Insider packt aus

Go-Ahead: Jetzt besser? Nun ja_0
Auch im Januar klagen Remsbahn-Pendler über vollgestopfte und zu kurze Go-Ahead-Züge. © ZVW/Benjamin Büttner (Archiv)

Rems-Murr.
Dass wir Fahrgäste stehen lassen müssen, kam tatsächlich immer wieder vor. Bitte steigen Sie nicht ein! Bitte raus, wir verkraften nicht so viel Gewicht! Viele Kunden kennen diese Durchsagen in überfüllten Zügen. Manchmal kommt es zu medizinischen Notfällen. Man unterschätzt das echt: Wenn zu viele drin sind, ist es so eng und warm – da kann es passieren, dass jemand einen Kreislaufkollaps erleidet oder kurz ohnmächtig wird.

Landtagsabgeordnete und Lokalpolitiker, der Go-Ahead-Pressesprecher und entnervte Kunden – viele sind in den vergangenen Wochen und Monaten zu Wort gekommen in der wogenden Debatte um die dauernden Nöte auf der Remsschiene und andernorts, wo Go-Ahead fährt. Eine Gruppe aber blieb weitgehend stumm: das Bodenpersonal, das Fußvolk; die Leute, die in den Zügen den Betrieb aufrechtzuerhalten suchen und täglich gegen das drohende Chaos ankämpfen; die KB und die TF – Kundenbetreuer und Triebfahrzeugführer. In diesem Text redet eine Person aus dieser Gruppe.

Überstunden im dreistelligen Bereich

Türstörungen an den Flirts? Das wird irgendwann laufen – es läuft jetzt schon recht gut! Manches lässt sich ja beheben und wurde auch behoben. Aber mit unser größtes Problem ist der Personalmangel. Wir könnten viel mehr Züge fahren lassen – aber uns fehlen einfach die TF, die Triebfahrzeugführer. Es gibt da auch einen riesigen Krankenstand, das ist der Wahnsinn. Und Überstunden im dreistelligen Bereich.

Damit Schichten überhaupt gefüllt werden können, gibt es Prämien. Anfangs gab’s das nicht, irgendwann gab es 75 Euro extra für Lokführer, die sich bereiterklären, an ihrem freien Tag trotzdem zur Arbeit zu kommen. Dann 150 Euro. Und in der Vorweihnachtszeit bis zu 500 Euro.

Ist dieser Mensch, der uns da Szenen aus dem Innenleben von Go-Ahead erzählt, vertrauenswürdig? Es gibt Indizien, die bei der Urteilsbildung helfen. Wenn uns jemand einen anonymen Brief schickt, ohne Klarnamen, muss das nicht heißen, dass die darin enthaltenen Behauptungen falsch sind – aber Vorsicht ist geboten: Denn dann können wir uns nicht nur kein Bild davon machen, mit wem wir es zu tun haben; wir können auch nicht nachhaken, Präzisierungen einfordern, Gegenargumente zur Debatte stellen. Der Mensch, mit dem wir gesprochen haben, ist kein Anonymus: Name, Adresse, ob er ein Mann oder ob sie eine Frau ist – all das ist der Redaktion bekannt. Dieser Mensch ging bereitwillig auf unsere Rückfragen ein, erzählte anschaulich und detailreich, nie klang dabei maßlos wütender Belastungseifer durch, allenfalls drängende Sorge. Die Quelle bat lediglich – aus naheliegenden Gründen – darum, dass ihr Name nicht in der Zeitung erscheine.

"Die Kundenbetreuer dürfen sich einiges anhören"

Auch mit den Kunden haben wir sehr große Probleme. Wobei, man kann’s den Kunden teils nicht verübeln. Es beginnt bei Kleinigkeiten: Wenn das WLAN nicht funktioniert oder das Klo unbenutzbar ist, dürfen die KB, die Kundenbetreuer, sich einiges anhören. Sie werden fast täglich beleidigt und bedroht. Es gab einen Kollegen, der mit einer Glasflasche angegriffen wurde. Er musste sich in den Führerstand zurückziehen. Oder ein Kunde gestikuliert mit der Hand am Hals und sagt: „Wenn wir uns das nächste Mal sehen ...“ Oder droht, einem ein Messer in den Hals zu stecken.

Die Leute sind offenbar auch keine Kontrollen mehr gewohnt – die Deutsche Bahn hat bei ihren Fahrten, bevor Go-Ahead die Strecken übernommen hat, am Ende nicht mehr regelmäßig kontrolliert. Es gibt Kollegen, die all das stark mitnimmt. Manche schreiben Beschwerdemails an Vorgesetzte: „Wir bekommen die ganze Wut der Bürger ab, es muss dringend was passieren!“

"Es ist einfach sehr viel unorganisiert"

Sind die Probleme, mit denen Go-Ahead zu kämpfen hat, Geburtswehen? Kinderkrankheiten? Werden sich die Abläufe irgendwann einspielen? Das ist schwer einzuschätzen. Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber angesichts der vielen Krisensymptome ist Skepsis angebracht.

Das Geld wurde bisher immer pünktlich bezahlt, und der Zusammenhalt untereinander ist immer noch enorm. Aber es ist einfach sehr viel unorganisiert.

Es gibt Reibungen bei den Schichtübergängen. Die gesetzlichen Ruhezeiten werden nicht immer beachtet. Dienstpläne kommen zu spät, obwohl das eigentlich tarifvertraglich geregelt ist. Viele machen deshalb Ausdrucke, Screenshots, Fotos von ihren Plänen. Es kann vorkommen, dass die geplanten Zuglängen im Laufe des Tages wieder umgeplant werden müssen, weil ein Triebwagen kurzfristig auf einer anderen Strecke eingesetzt wird.

Auch das den Kundenbetreuern zur Verfügung gestellte Arbeitsmaterial funktioniert nur unvollständig. Einige Tickets können derzeit noch nicht eingelesen werden. Die Kundenbetreuer sind angehalten, einfach so zu tun, als wäre die Karte gültig. Immer wieder sieht man Mitarbeiter, denen die Arbeitskleidung, Hosen oder Westen, fehlt.

Auf der Strecke RE 90 Stuttgart-Nürnberg, der Murrbahn, fährt offiziell Go-Ahead – nur halt durch einen Subunternehmer, die WFL Logistik. Die fahren für uns – nur wohl für besseres Geld. Manche Kollegen wollen deshalb dorthin wechseln. Andere überlegen, zur Deutschen Bahn zu gehen. Die Frustration ist groß.

Hier geht es zur Stellungnahme von Go-Ahead

Rems-Murr.
Dass wir Fahrgäste stehen lassen müssen, kam tatsächlich immer wieder vor. Bitte steigen Sie nicht ein! Bitte raus, wir verkraften nicht so viel Gewicht! Viele Kunden kennen diese Durchsagen in überfüllten Zügen. Manchmal kommt es zu medizinischen Notfällen. Man unterschätzt das echt: Wenn zu viele drin sind, ist es so eng und warm – da kann es passieren, dass jemand einen Kreislaufkollaps erleidet oder kurz ohnmächtig