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Dieselskandal VW-Kläger schreiben Drohbrief an Scheuer

Mangelnde Kontrolle, Wegsehen und zurückgehaltene Informationen werfen Anwälte von VW-Geschädigten der Bundesregierung vor. In einem Brief an Verkehrsminister Scheuer stellen sie eine Klageflut in Aussicht.
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer

Foto: John MACDOUGALL / AFP

Im Dieselskandal zielen die Anwälte von VW-Besitzern verstärkt auf die Politik und wollen die Bundesregierung in die Pflicht nehmen. In einem fünfseitigen Brief an Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) droht die Kanzlei Dr. Stoll & Sauer, die mehr als 15.000 Dieselgeschädigte vertritt, eine Flut von Klagen gegen die Bundesregierung an - sollte das Ministerium Kläger nicht stärker unterstützen.

Die Anwälte fahren schwere Geschütze auf. "Um es in deutliche Worte zu fassen, sehr geehrter Herr Minister Scheuer, wir werfen Ihnen und Ihrem Vorgänger Alexander Dobrindt persönlich Beihilfe zum Betrug vor und werden Sie deshalb in Anspruch nehmen", heißt es in dem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt.

Der Drohbrief an Scheuer kommt eineinhalb Wochen vor einem wichtigen Prozessstart. Am 30. September wird vor dem Oberlandesgericht Braunschweig erstmals die Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV) verhandelt. Dafür haben sich rund 430.000 VW-Besitzer ins Klageregister eingetragen. Der VZBV wird unter anderem von Stoll & Sauer vertreten.

"Der Staat hat zu oft weggesehen. Beihilfe ist jede Förderung einer Straftat", sagt Anwalt Ralph Sauer zu den Forderungen seiner Kanzlei. "Es hat sich längst gezeigt, wie stark der Staat verstrickt war in das Entstehen des Dieselskandals." Man habe nicht genau hingeschaut bei offensichtlichen Hinweisen für mögliche Manipulationen, habe Typgenehmigungen trotz erheblicher Zweifel an den Fahrzeugen erteilt, die entsprechende EU-Richtlinie nicht umgesetzt. "Wenn die Ansprüche gegen Volkswagen verjährt sind, haben wir mit dem Staat einen weiteren Anspruchsgegner", sagt Sauer.

Bundesregierung soll auf Verjährung bis 2021 verzichten

Die Kanzlei habe 350 Mandanten, für die sie Klagen auf Schadensersatz wegen Staatshaftung gegen die Bundesregierung einreichen sollen, schreiben die Anwälte. 44 Staatshaftungsklagen liefen bereits. Das Problem: Die Ansprüche verjähren Ende des Jahres. Daher wollen die Anwälte erreichen, dass der Staat auf die Verjährung der Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik bis Ende 2021 verzichtet. Die Bundesregierung solle den Bürgern zumindest diese Rechtssicherheit geben.

Das Ministerium und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hätten "in vorwerfbarer Weise die Kontroll- und Überwachungspflichten gegenüber den Automobilherstellern, beispielsweise Volkswagen, Audi oder Daimler, unzureichend ausgeübt", argumentieren die Anwälte. Außerdem weigerten sich die Behörden gesetzeswidrig, Informationen herauszugeben, die den Geschädigten helfen könnten, ihre Ansprüche gegen die Autohersteller durchzusetzen. So verweigere das KBA etwa Akteneinsicht mit dem Hinweis auf Betriebsgeheimnisse. Der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung könne jedoch kein Betriebsgeheimnis darstellen.

Das Ministerium solle dafür sorgen, dass das KBA den Klägern genaue Informationen über die Manipulationen zur Verfügung stellt. Details, die für die Gerichtsprozesse gegen die Autohersteller nötig wären, müssten die Geschädigten derzeit mühsam vor dem Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein mithilfe des Informationsfreiheitsgesetzes einklagen. Dies erwecke den Anschein der "Kumpanei" mit der Autoindustrie.

Das Bundesverkehrsministerium weist die Kritik der Anwälte, die diese am Vorgehen der Bundesregierung in den Staatshaftungsklagen vorbringen, zurück. Die vorgetragenen Argumente seien abwegig, so die Pressestelle des Ministeriums.

Ob Schadensersatzklagen gegen den Bund Aussicht auf Erfolg haben, sei dahingestellt. Den Anwälten dürfte es ohnehin vor allem um die Informationen gehen, um die Tausenden Klagen gegen VW zu untermauern. Einen Präzedenzfall, auf den sich die Kanzlei berufen kann, gibt es nicht. "Wir betreten hier Neuland", sagt selbst Sauer. "Aber es gab in dieser Dimension auch noch nichts Vergleichbares an Fehlverhalten bei Konzernen und keine derartige Unterstützung der Politik dabei."

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