Ein Kommunalpolitiker tritt zurück, weil er sich rechtsextremer Hetze ausgesetzt sieht. Markus Nierth, Ortsbürgermeister von Tröglitz in Sachsen-Anhalt, wollte in seiner Gemeinde Flüchtlinge unterbringen. Die NPD drohte, vor seinem Haus zu demonstrieren. Nierth sorgte sich um seine Familie und gab sein Amt auf. Ein Extrembeispiel? „In dieser Form ist es ein Einzelfall“, sagt der Berliner Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke. „Aber es gab in den vergangenen Jahren immer wieder solche Fälle.“ Und Alexander Häusler vom Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus der Fachhochschule Düsseldorf meint: „Es ist kein Einzelfall, allerdings ist es insofern ein herausragendes Beispiel, weil hier ein Bürgermeister tatsächlich zurückgetreten ist.“
Im Januar brannte das Auto des Berliner Linken-Politikers Hans Erxleben. Der Bezirksverordnete von Treptow-Köpenick tritt seit Jahren gegen Rechtsextremismus ein. Erxleben sagte nach der Tat, seitdem er sich für Flüchtlinge und eine Willkommenskultur engagiere, sei er wieder verstärkt in den Fokus von Rechtsextremisten gerückt. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau erhielt zuletzt wegen ihres Einsatzes für eine Flüchtlingsunterkunft in ihrem Berliner Wahlkreis über 40 Mord- und Gewaltdrohungen. Der Oberbürgermeister von Magdeburg, Lutz Trümper (SPD), steht aktuell unter Personenschutz, weil er drei Morddrohungen erhielt. In einem der Briefe stand laut „Magdeburger Volksstimme“ der Satz: „Ein Baum, ein Strück, Trümper“.
Das lange Ringen um ein Verbot der NPD
Die Karlsruher Richter stellen das erste Verbotsverfahren gegen die NPD ein. Grund sind zahlreiche Verbindungsleute (V-Männer) des Verfassungsschutzes in NPD-Führungsgremien. Das Verbot hatten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat Anfang 2001 unter dem Eindruck zunehmender Gewalt rechtsextremer Täter beantragt.
Eine Hetzjagd von Jugendlichen auf acht Inder in der sächsischen Stadt Mügeln belebt die Debatte um ein NPD-Verbot neu. Der Vorstoß des damaligen SPD-Chefs Kurt Beck, ein neues Verfahren prüfen zu lassen, stößt in anderen Parteien aber auf Skepsis.
Die SPD-Innenminister kommen zu dem Schluss, vor einem NPD-Verbot müssten zunächst nachrichtendienstliche Zugänge „abgeschaltet“ und dann erneut Erkenntnisse über die Partei gesammelt werden. Die Union lehnt einen neuen Anlauf weiter ab.
Die Innenminister der Länder beschließen, wieder systematisch Beweise gegen die rechtsextreme Partei zu sammeln und auf V-Leute in der NPD-Führung zu verzichten.
Die NPD will beim Verfassungsgericht ihre Verfassungstreue prüfen lassen. Ihre Argumentation: Die Partei werde durch die Behauptung, sie sei verfassungswidrig, in ihren Rechten verletzt. Die Richter weisen den Vorstoß im März 2013 ab.
Der Bundesrat beschließt, ein neues Verbotsverfahren einzuleiten. Nur Hessen enthält sich.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung verzichtet darauf, sich dem Antrag der Länder anzuschließen. Im April stimmt auch der Bundestag gegen einen eigenen Verbotsantrag.
Die Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz hat die Beweismittel zusammengetragen und den Verbotsantrag fertiggestellt, wie Baden-Württembergs Innenministerium mitteilt.
Der Bundesrat reicht den Verbotsantrag ein.
Die Länder legen vom Verfassungsgericht angeforderte neue Beweise zur Abschaltung von Geheimdienstinformanten vor.
Der Bundesrat reicht weitere Beweisunterlagen ein, die unter anderem belegen sollen, dass die NPD seit 2013 besonders aggressiv gegen Asylbewerber vorgehe.
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt ab dem 1. März drei Tage lang über ein Verbot der rechtsextremen NPD. Dabei prüfen die Karlsruher Richter auf Antrag des Bundesrats, ob die rund 5200 Mitglieder starke Partei nach den strengen Maßgaben des Grundgesetzes verfassungswidrig ist.
Und immer wieder werden Bürgermeister kleinerer Städte oder Gemeinden zur Zielscheibe. In Ratzeburg (Schleswig-Holstein) tauchten 2012 an mehreren Gebäuden Morddrohungen gegen den parteilosen Bürgermeister Rainer Voß auf. Die Täter wurden im rechten Lager vermutet, Voß hatte zuvor in einem Bündnis gegen Rechts mitgewirkt. In Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) beschmierten Unbekannte 2013 das Wohnhaus des parteilosen Bürgermeisters Arne Schuldt mit der Parole „Lichtenhagen kommt wieder“. Rechtsextreme hatten in dem Ort zuvor massiv gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft mobil gemacht. Heinrich Jüttner, Bürgermeister im brandenburgischen Schöneiche, berichtet von Rechten, die ihn anfeindeten, weil er deren Attacken auf jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nicht zulassen wollte. Junge Männer traten nachts vor seinem Haus den Zaun ein.
Simone Rafael von der Amadeu-Antonio-Stiftung vermutet eine gezielte Strategie hinter solchen Angriffen: „Das ist eine ganz klare Taktik, mit der die Nazis versuchen, anderen Menschen Angst zu machen und so zu erreichen, dass ihre politischen Ziele erfüllt werden.“ Sie spricht von verschiedenen Eskalationsstufen. Drohungen auf Demonstrationen seien das eine. „Wenn es Angriffe auf das eigene Parteibüro sind, wird es schon persönlicher, weil man weiß: Jemand hat sich die Mühe gemacht, die Adresse herauszufinden“, sagt sie. „Und noch viel schlimmer wird es natürlich, wenn es sich um das persönliche Wohnhaus handelt, was eigentlich für jeden Menschen der Rückzugsort ist.“
In Dortmund wollten Anhänger der Partei „Die Rechte“ im vergangenen Dezember vor dem Wohnhaus von Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) und zwei weiteren Privatadressen demonstrieren. Der Polizeipräsident Gregor Lange untersagte das. Aber immer wieder gibt es in der Stadt Drohungen von extrem Rechts. Vor kurzem veröffentlichten Unbekannte falsche Todesanzeigen von kritischen Journalisten und Politikern aus Dortmund. Am Montagabend verfolgten Maskierte einen Reporter nach einer Neonazi-Kundgebung und bewarfen ihn mit Steinen. OB Sierau kann die Entscheidung von Markus Nierth verstehen: „Ich kann den Fall in Tröglitz nicht im Detail beurteilen, habe aber den Eindruck, dass der dortige Bürgermeister allein gelassen wurde“, teilt er auf Anfrage mit. „Da kann man dann schon Verständnis für seine Reaktion haben.“ Für ihn selbst komme ein Zurückweichen vor Rechtsextremisten aber unter keinen Umständen in Frage.
Auch der Thüringer Linken-Abgeordnete Steffen Harzer wurde Opfer eines Angriffs, als er noch Bürgermeister von Hildburghausen war. 2008 hielten mehrere Rechtsradikale vor seinem Haus an und skandierten rechte Parolen. Nach Zeugenaussagen soll ein stadtbekannter Neonazi dem Bürgermeister zugerufen haben: „Dein Haus wird brennen.“ Er habe sich damals vor allem um seine Familie gesorgt, sagt Harzer heute. „Ich halte es aber für das falsche Signal aufzugeben. Man muss auf die Zivilgesellschaft bauen.“