Finanzdienstleister wollen einheitliche Beratung

Zeigt ein Verbraucher zehn Finanzberatern, wie viel er verdient und was er schon für Finanzprodukte gekauft hat, geben sie wahrscheinlich elf verschiedene Empfehlungen für seine weitere Finanzplanung ab. Natürlich ist immer das jeweilige Angebot des eigenen Produktpartners das schlüssigste, vor den grundlegenden Absicherungen werden oft margenträchtige Verträge empfohlen, die vor allem für den Verdienst des Beraters vorteilhaft sind. Und unwichtige Produktgimmicks werden gern in den Mittelpunkt gestellt, um beim Verbraucher mit etwas scheinbar Einmaligem in Erinnerung zu bleiben. Das Ergebnis: Viele Verbraucher schließen die falschen Versicherungen ab, nehmen überhöhte Dispozinsen in Kauf und unterschätzen die Vorteile einer rechtzeitigen Kredittilgung. Deshalb erscheint der Gedanke einsichtig, dass man die Finanzberatung standardisieren sollte. So wie zehn Radiologen dasselbe sehen, wenn sie auf ein Röntgenbild blicken, sollten auch zehn Finanzberater dasselbe erblicken, wenn sie auf Einkommensverhältnisse, familiäre Situation und Finanzverträge schauen. Dieser Gedanke stand am Anfang eines Prozesses, der tatsächlich bis zum kommenden Jahr in eine deutsche Norm für die Finanzberatung münden könnte. Am Deutschen Institut für Normung (DIN) in Berlin hat sich ein 40-köpfiger Ausschuss gebildet, der genau dieses Ziel verfolgt. Ausschuss sei kompetent und heterogen besetzt Beteiligt sind nahezu alle wichtigen Akteure des Finanzmarktes: Kreditinstitute wie die Deutsche Bank und die Commerzbank, Versicherer wie die Allianz und die Zurich, Vermittler wie die OVB und Formaxx. Hinzu kommen das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz sowie die Stiftung Warentest. „Wenn es tatsächlich gelingt, erstmals eine DIN-Norm für die Finanzbranche zu entwickeln, wäre dies ein großer Fortschritt“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. Der Ausschuss sei kompetent und heterogen besetzt, das garantiere eine hohe Qualität und Akzeptanz. Das Haus von Minister Heiko Maas (SPD) sieht die Arbeit an einer Finanzberatungsnorm als vielversprechende Entwicklung. Solche Standards könnten dazu beitragen, dass sich die Beratungsqualität verbessere. „Ähnlich wie ein Arzt für eine korrekte Diagnose dem Patienten zunächst bestimmte Fragen stellen und relevante Parameter prüfen muss, macht dies auch ein sorgfältiger Finanzdienstleister bei seinen Kunden“, sagt der Sprecher. Dass sich Dienstleistungsunternehmen auf eine gemeinsame Norm einigen wollen, ist bislang noch etwas ungewohnt. Denn üblicherweise setzt das DIN solche Standards bei Produkten, Verpackungen oder Fertigungsverfahren fest. Für Dienstleistungen hat sich das Institut in den vergangenen Jahren allerdings zunehmend geöffnet. Und in der Finanzberatung gibt es einen echten Bedarf, Missstände zu beheben. Das Vertrauen der Konsumenten hat insbesondere durch die Finanzkrise gelitten. Verschiedene Marktakteure haben eigene Standards aufgestellt: die Stiftung Warentest genauso wie die Brancheninitiative Arbeitskreis Beratungsprozesse, die Verbraucherschutzorganisation Bund der Versicherten oder auch die Ratingagentur Franke & Bornberg. Berater werden diszipliniert „Doch was helfen drei oder vier unterschiedliche Standards?“, fragte sich Klaus Möller, seit 2011 Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Defino (die Abkürzung steht für „Deutsche Finanznorm“). „Wenn jeder seinen eigenen Standard einführt, ist das für Verbraucher verwirrend.“ Ein Jahr nach seiner Amtsübernahme trug der promovierte Latinist und frühere MLP-Berater vor dem DIN seine Idee für einen gemeinsamen Branchenstandard vor. Daraus wurde zunächst eine DIN-Spezifikation, die erste Stufe eines solchen Prozesses, an dem neben Möller verschiedene Maklerhäuser, Wissenschaftler, der Verbraucherrat und die Stiftung Warentest beteiligt waren. Die Spezifikation hält auf 52 Seiten die wichtigsten Pflichten eines Finanzberaters fest. Darin ist eine klare Hierarchie von Finanzprodukten enthalten. Ganz oben auf der Liste steht die Absicherung gegen Haftpflichtrisiken, Krankheitskosten und Berufsunfähigkeit. Darauf folgen Wohngebäudeversicherungen, die Entschuldung von einem Dispokredit und eine Liquiditätsreserve. „Wenn ein Berater unten auf der Liste einsteigt, muss er sich gegenüber dem Kunden erklären“, sagt Möller. „Das diszipliniert.“ Die Defino ist einst aus dem gescheiterten Versuch der Formaxx entstanden, aus den Traditionen sehr unterschiedlicher Finanzvertriebe einen gemeinsamen Beratungsansatz abzuleiten. Auch damals stand schon die Idee einer Beratungspraxis im Raum, die zu einheitlichen Lösungsvorschlägen führen sollte. Defino wurde im Jahr 2010 gegründet und entwickelte Software, mit der Berater ihre Kunden konsistent über alle Absicherungskonzepte hinweg beraten können. Dass dies ein großes Branchenthema werden könnte, erkannten andere Marktteilnehmer aber erst, als die DIN-Spezifikation schon ausgearbeitet war. Weil diese eine so große Resonanz erzeugte, stellte Defino-Geschäftsführer Möller 2014 den Antrag, eine Norm zu erstellen. Und auf eine Ausschreibung für den Ausschuss hin war auf einmal die gesamte Finanzdienstleistungsindustrie im Boot. „Die Idee von Standards in der Beratung hat eine ganz andere Akzeptanz, wenn die Branche dahintersteckt“, sagt er. „Standards gehen nicht weit genug“ In der Dienstleistungsbranche gebe es nicht überall Bedarf für einheitliche Standards, sagt Holger Rohde von der Stiftung Warentest. „Bei den Finanzdienstleistern herrscht aber Druck wegen ihres schlechten Rufs in der Öffentlichkeit.“ Die Stiftung beteilige sich häufig an Normierungen und nutze sie für ihre Produkttests. „Manchmal gehen uns die Standards nicht weit genug, dann gehen wir in den Tests darüber hinaus“, sagt Rohde. In diesem Fall diene der Dialog im Ausschuss dazu, Grundlegendes von Verzichtbarem zu trennen. Jeder Verbraucher habe begrenzte Budgets. Deshalb werde die individuelle Entscheidung jeweils anders ausfallen, eine einheitliche Diagnose sei aber hilfreich. „Ob der Standard auch eingehalten wird, würde das DIN allerdings nicht überprüfen“, erklärt er. Eine Norm mache die Pflichten des Beraters aber auch für die Kunden transparent. Mit seiner Initiative hat Defino-Geschäftsführer Möller schon einiges erreicht. Nach der Spezifikation, die er am DIN durchgesetzt hat, erarbeitete das Institut eine Spezifikation für Risikoanalysen für Vermögensanlagen. Beratung drohe durch solche Normierungen nicht vereinheitlicht zu werden, ist er überzeugt. Sein Geschäftsinteresse liegt darin, aus den Standards eigene Computerprogramme zu entwickeln, die Maklern und Finanzvertrieben dann ermöglichen, normgerecht zu beraten. „Ich würde gern einen Beitrag dazu leisten, dass wir keine englischen Verhältnisse bekommen, wo Finanzdienstleistungen zwar aseptisch rein sind, aber nur noch einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft wirklich erreichen“, sagt er.