Psychologie und Wirtschaftspsychologie

Wirtschaft und Management

Wie wir die Informationsflut bewältigen: Die Mechanik der Jüngeren und die Pragmatik der Älteren

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von Alexander Pradka, am 08.07.2019

Die tägliche Informationsflut ist ein wichtiges Thema am Arbeitsplatz. Wer mal einen Tag lang seine Mails nicht abgerufen hat, kennt das: Das Postfach läuft quasi über. Verschiedene Faktoren wie die Digitalisierung haben das Angebot drastisch erhöht. Die Geschwindigkeit, mit der heute Informationen erzeugt, verarbeitet und verfügbar gemacht werden, nimmt immer weiter zu. Ist das noch gesund? Und wie verschieden sind eigentlich „jüngere“ und „ältere“ Mitarbeiter im Umgang mit der Flut? Wo liegt möglicherweise Konfliktpotenzial? In einem Interview gibt Prof. Dr. Ingo Aberle, Studiendekan für die Wirtschaftspsychologie berufsbegleitend am Standort Wiesbaden, Auskunft.

Herr Aberle, wir alle haben täglich mit vielen Informationen zu tun. Inwiefern sind wir dafür eigentlich selbst verantwortlich?

Prof. Dr. Ingo Aberle: Es gibt mehrere Aspekte: Es ist leichter geworden, Informationen zu teilen und an andere weiterzugeben. Während es früher teuer und aufwändig gewesen wäre, einen Brief an 100 Kollegen zu versenden, braucht man dafür heute nur mehr einen E-Mail-Verteiler und einen Mausklick. Dadurch nimmt nicht nur generell die Menge an täglichen Informationen zu, sondern auch die der für mich nicht relevanten. Es ist schon ein Trend zu beobachten, dass Angestellte eher mal zu viele Adressaten ansprechen, um sicherzugehen, niemanden zu vergessen. Geändert hat sich auch das Nutzungs- und Anspruchsverhalten. Arbeitgeber stellen häufig die entsprechende Infrastruktur bereit und wir können auf viel mehr Medien zurückgreifen.

Damit sind wir praktisch immer und überall für die Versender erreichbar …

Zweifellos richtig, Digitalisierung ist der entscheidende Treiber, der diese dauernde Erreichbarkeit möglich macht. Das ist aber nicht per se negativ. Entscheidend bleibt das Nutzerverhalten. Wenn ich mich bei allen möglichen Diensten anmelde, sei es auch aus beruflichen Gründen, bekomme ich natürlich auch die entsprechende Menge an Informationen zugestellt. Häufig sind es die gleichen, die ich woanders schon gesehen habe, nur anders aufbereitet. Eigentlich entscheidet aber jeder selbst, was er bekommen möchte und worauf er oder sie zugreift. Das gilt auch für die geschäftliche E-Mail am Smartphone im Urlaub.

Ist die Menge an Informationen noch „gesund“ für uns? Wo sollten wir gegebenenfalls einen Cut machen?

Ich habe es eben schon angedeutet: Wie wir mit der Verfügbarkeit von Informationen umgehen, ist von Person zu Person unterschiedlich. Es kann leicht Stress entstehen. Nach dem Transaktionalen Stressmodell von Lazarus ist wichtig, dass sich die Person als kompetent und die Situation als wenig bedrohlich erlebt. Wenn Sie denken, dass es wichtig ist, alle Informationen wahrzunehmen, gleichzeitig aber das Gefühl haben, der Informationsflut nicht mehr Herr zu werden, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass die Situation Sie stressen wird. Damit wird aber auch deutlich, dass es einen klaren Cut, der für alle Menschen gilt, nicht geben kann, sondern es auf die einzelnen Personen ankommt.

Geht aber nicht die Konzentration auf das Wesentliche schnell verloren?

Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Wenn ein Mitarbeiter das Gefühl hat, dass er das Wesentliche verpasst, dann gerät er dadurch nur noch mehr in eine Stresssituation. Und es wird noch etwas deutlich: während es früher wichtig war, Informationen zu sammeln, ist es heute vor allem wichtig, Informationen zu filtern. Informationen sind meist sehr leicht verfügbar, allerdings ist wie bereits gesagt der Anteil der irrelevanten Informationen dadurch stark gestiegen. Gefragt ist also das Wissen um und die Anwendung von passenden Informationsfiltern oder Sortierungsmöglichkeiten.

Wer kann aus Ihrer Sicht besser mit der Informationsflut am Arbeitsplatz umgehen – jüngere oder ältere Kolleginnen und Kollegen?

Das ist eine sehr interessante Frage, auf die es nicht nur die eine Antwort gibt. Studien des amerikanischen Psychologen Timothy Salthouse zeigen etwa, dass wir in jungen Jahren Informationen schneller aufnehmen und verarbeiten können. Die Psychologie spricht in diesem Zusammenhang von „Verarbeitungsgeschwindigkeit“. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Verarbeitungsgeschwindigkeit mit zunehmendem Alter nachlässt – und diese Befunde gelten heute als relativ gesichert. Der renommierte Altersforscher Paul Baltes nennt das auch „Mechanik“. Zusammengefasst geht es dabei um die Fähigkeiten, die Basisprozesse der Informationsverarbeitung einschließen.

Das heißt, Jüngere können die große Anzahl verfügbarer Informationen schneller verarbeiten. Spricht auch etwas für die Älteren?

Definitiv. Über das Selektieren von Informationen haben wir ja bereits gesprochen. Um dafür den passenden „Filter“ anzulegen, brauchen wir das, was man „Erfahrungswissen“ nennt. Vorhandenes Wissen und erlernte Strategien sind notwendig, um Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Diese Fähigkeiten fasst Baltes übrigens unter dem Stichwort „Pragmatik“ zusammen. Er postuliert in seinem Modell eine Abnahme der Mechanik, aber eine Zunahme bzw. mindestens Aufrechterhaltung der Pragmatik. Somit haben beide Altersgruppen Ihre Stärken und Schwächen in Bezug auf den Umgang mit der Informationsflut.

Was ist wichtiger?

Das kann man nicht eindeutig beantworten. Aber ich ordne dem strategischen Umgang mit Informationen eine höhere Relevanz zu als der Verarbeitungsgeschwindigkeit.

Bedeutet das, der alte Grundsatz „Jung lernt von Alt“ hat immer noch Gültigkeit?

Das musste man früher schon differenziert sehen – und heute ebenso. In Bezug auf die genannten Strategien können jüngere Mitarbeiter noch immer von älteren Kollegen lernen. Da sich die Umwelt im Rahmen der Digitalisierung aber immer schneller wandelt, kann es passieren, dass bisher funktionale Strategien keine Gültigkeit mehr haben. Stattdessen gilt es, eine schnelle Anpassung an neue Rahmenbedingungen zu erreichen. Hier haben dann jüngere Mitarbeiter einen Vorteil und ältere Mitarbeiter können von ihnen lernen.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Ein aktuelles Beispiel ist der Umgang mit sozialen Medien und Netzwerken. Hier haben sich die Regeln der Kommunikation stark gewandelt und jüngere Mitarbeiter verfügen über breiteres und meist auch tieferes Wissen in diesem Bereich. Um diesen geänderten Verhältnissen gerecht zu werden, wird teilweise Reversed Mentoring angewandt. Entgegen dem klassischen Mentoring – ein erfahrener Mitarbeiter steht einem jüngeren Mitarbeiter zur Seite – wird in diesem Ansatz ein jüngerer Mitarbeiter zum Mentor eines älteren Mitarbeiters. Das klingt in der Theorie gut, ist aber in der Praxis nicht so leicht umzusetzen, da Konflikte entstehen können.

Ein gutes Stichwort: Inwiefern bewirken Wissensvorsprünge Konflikte in einem Unternehmen?

Auch hier möchte ich ein Modell bemühen: Jürgen Wegge geht für altersgemischte Teams davon aus, dass es zwei Arten von Konflikten gibt: emotionale und kognitive. Wissensvorsprünge können zu kognitiven Konflikten führen, da es hier unterschiedliche Auffassungen über das gemeinsame Vorgehen gibt. Wenn also eine Altersgruppe einen Wissensvorsprung hat, z.B. in Bezug auf das Unterscheiden von relevanten Informationen, und die andere Gruppe dieses Vorgehen nicht teilt, dann wird es zu einem Konflikt kommen. Gleichzeitig kann durch Wissensunterschiede bei verschiedenen Altersgruppen auch ein Riss durch das Team gehen und es bilden sich Untergruppen – die Wissenden und die Nicht-Wissenden. „Grüppchenbildung“ ist eigentlich nie förderlich und diese Gruppenkonflikte können schwerwiegender sein als die Uneinigkeit über ein gemeinsames Vorgehen. Eine interessante Frage ist nun, wie sich die Unterschiedlichkeit von Gruppen konkret auf deren Leistung auswirkt. Dieses Thema wird gerade auch an der Hochschule Fresenius in Wiesbaden von einem Kollegen erforscht.

Wie ließe sich diese Nutzung der jeweiligen Stärken am besten umsetzen und als „Leitlinie in der Unternehmenskultur“ etablieren? Welche Schritte sind dazu notwendig?

Die Möglichkeiten sind vielfältig und für jedes Unternehmen individuell anzupassen. Wenn wir generalisieren wollen, bietet sich folgendes an: es bedarf einer Kultur des lebenslangen Lernens. Dies gilt für jüngere, aber auch für ältere Mitarbeiter. Wenn es hier zu einem Einstellungswandel kommt, dann können Wissensvorsprünge verringert oder zumindest von allen Beteiligten wertgeschätzt werden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat zu diesem Thema übrigens schon eine nationale Weiterbildungsstrategie erstellt. Weiterhin relevant erscheint mir der Umgang mit Altersunterschieden allgemein zu sein. Hier gilt es, eine Kultur der Wertschätzung und Anerkennung von Altersdiversität zu gestalten. Diese Wertschätzung betrifft explizit sowohl ältere als auch jüngere Mitarbeiter, denn nur gemeinsam können wir den steigenden Anforderungen einer immer schneller und komplexer werdenden Informationsgesellschaft gerecht werden. Es bedarf des Wissens und der Handlungsbereitschaft von jüngeren und älteren Mitarbeitern, um der täglichen Informationsflut Herr zu werden.

Quellen
Baltes, P. B. (1993). The aging mind: Potential and limits. The gerontologist, 33(5), 580-594.
Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. New York: Springer.
Salthouse, T. A. (1996). The processing-speed theory of adult age differences in cognition. Psychological review, 103(3), 403-428.
Wegge, J., Jungmann, F., Liebermann, S., Shemla, M., Ries, B. C., Diestel, S. & Schmidt, K.- H. (2012). What makes age diverse teams effective? Results from a six-year research program. Work, 41, 5145-5151.

Über den Autor

Alexander Pradka
Die adhibeo-Redaktion veröffentlicht regelmäßig Artikel zu verschiedensten Themen der Angewandten Wissenschaften, die an der Hochschule Fresenius stattfinden.

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