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Überwachung für AKW
Neutrinos verraten illegale Plutoniumproduktion

Kernkraftwerke können dazu missbraucht werden, waffenfähiges Plutonium herzustellen. Ob etwas Unerlaubtes geschieht, das könnten sogenannte Neutrinos verraten, die in rauen Mengen in einem Reaktor entstehen. Schon 2006 berichtete der Dlf über Arbeiten an einem speziellen Messverfahren. Wo steckt die Forschung heute?

Von Frank Grotelüschen | 23.10.2018
    Für das Karlsruher Tritium Neutrino Experiment KATRIN wurde ein riesiges Spektrometer gebaut, um die Masse von Neutrinos zu bestimmen. Im Spektrometer sein magnetisches Führungsfeld erzeugt und das Magnetfeld der Erde kompensiert werden
    Die größte Helmholtz-Spule der Welt soll bei der Bestimmung der Masse von Neutrinos helfen (Forschungszentrum Karlsruhe / KIT)
    Das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe. Abteilungsleiter Roland Wink hat die Strahlungsmessung passiert und steht nun vor einer Schleuse, die in die Reaktorkuppel führt.
    "Wir gehen jetzt hier durch dicken Beton. Innen drin ist Unterdruck. Wenn es eine Freisetzung gäbe, dass die nach innen geht und nicht nach außen."
    In der Kuppel geht es auf schmalen Treppen nach unten, Richtung Reaktorkern.
    "Man merkt auch, dass es zunehmend wärmer wird. Hier erreicht man Temperaturen bis 35 Grad", sagt Werner Maneschg vom Max-Planck-Institut für Kernphysik. Dann ist das Ziel erreicht: Raum 408, kaum größer als eine Abstellkammer. Roland Wink öffnet die Tür und muss gegen das Rauschen der Kühlungsaggregate regelrecht anschreien.
    Auf der Lauer nach Neutrinos
    "Wir sind jetzt 17 Meter vom Reaktor entfernt. Das ist ein ideal geeigneter Ort."
    #Ideal für einen speziellen Detektor. CONUS, so heißt er, lauert auf Neutrinos – auf schattenhafte Geisterteilchen, die kaum mit Materie interagieren und deshalb für Menschen völlig ungefährlich sind. Bei der Kernspaltung im Reaktor entstehen sie in Hülle und Fülle, sagt Werner Maneschg:
    "Ungefähr vier Prozent der gesamten Energie, die hier am Reaktor freigesetzt wird, wird von diesen Teilchen weggetragen. Wir haben hier sehr viele, die hier durchsausen. Und wir versuchen, einige pro Tag davon nachzuweisen."
    An sich sind Neutrinodetektoren nichts Besonderes, es gibt sie seit Jahrzehnten. Nur: Für gewöhnlich haben sie die Ausmaße von Mehrfamilienhäusern. Schließlich ist die Wechselwirkung der Neutrinos mit Materie derart schwach, dass man ihnen eine Menge Masse in den Weg stellen muss, damit sich wenigstens ein paar der Geisterteilchen darin verfangen. Anders der Detektor in Raum 408 des Kernkraftwerks Brokdorf: Ein Kasten nicht viel größer als ein Kühlschrank.
    "Im Innersten haben wir vier Detektoren. Das sind Germaniumkristalle. Mit denen machen wir die eigentliche Physik. Und außen rum haben wir eine Abschirmung, die hauptsächlich aus Blei und anderen Materialien besteht."
    Wechselwirkungen der Neutrinos
    Nur vier Kilogramm wiegen die Germaniumkristalle, die eigentlichen Detektoren. Eigentlich viel zu wenig, um Neutrinos aufschnappen zu können. Doch Maneschg und sein Team wollen sich einen speziellen Quanteneffekt zunutze machen, die kohärente Neutrino-Kern-Streuung. Bei normalen Detektoren interagiert ein Neutrino mit einem einzigen Baustein des Atomkerns, also mit einem Proton oder Neutron. Anders bei dem CONUS, dem neuen Detektor.
    "Wir nutzen aus, dass die Neutrinos mit allen Bausteinen im Kern wechselwirken. Dadurch, dass es mehrere Bauteile in einem Kern eines Atoms gibt, können wir die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, dass eine solche Wechselwirkung stattfindet."
    Das wäre so, als müsste man an der Schießbude nicht mehr voll ins Schwarze treffen, um etwas zu gewinnen – es würde schon genügen, die Zielscheibe nicht zu verfehlen. Doch die Herausforderungen sind nicht ohne. Zum Beispiel drohen radioaktive Störsignale die Messungen zu verfälschen – weshalb die Germaniumkristalle durch spezielle Bleiziegel abgeschirmt sind.
    "Wir haben hier Teile vom Freiburger Münster drin, ein ganz altes Blei. Wir haben aber auch Teile von Kriegsschiffen aus dem Ersten Weltkrieg drin – ein alter Edelstahl, der sehr rein ist und den man heutzutage nicht finden würde."
    Bei diesen alten Materialien sind viele der radioaktiven Verunreinigungen mittlerweile zerfallen - strahlungsmäßig sind sie hochrein. Seit April 2018 ist CONUS in Betrieb und soll die kohärente Streuung erstmals an einem Reaktor nachweisen. Zarte Hinweise dafür haben die Forscher schon gefunden. Ihre Vision: Der neue Detektortyp soll der Grundlagenforschung dienen, der Teilchen- und der Astrophysik.
    Und: "Wir können natürlich mit so einem Gerät auch sehen, wie die thermische Leistung von einem Reaktor funktioniert. Man kann das auch so weit treiben, dass man die unterschiedlichen Neutrinos, die aus dem Kern kommen und die in unterschiedlichen Prozessen entstehen, dass man die entziffert. Und damit könnte man so ein Gerät als Monitor aufstellen, um das unabhängig zu überprüfen."
    3500-Tonnen-Detektor namens Watchman in Plaung
    Damit ließe sich feststellen, ob ein Reaktor zum Brüten von Waffenplutonium missbraucht wird. Keine neue Idee: So testet das VirginiaTech in den USA einen Prototyp, der in einen Anhänger passt. Ein brauchbares Exemplar aber müsste um einiges größer sein. Und in einer unterirdischen Mine in Nordengland planen Forscher einen 3500-Tonnen-Detektor namens Watchman. Das Demonstrationsprojekt soll 2024 fertig sein und die Neutrinos eines 25 Kilometer entfernten Atommeilers aufschnappen. Langfristiger Plan ist ein Detektor, den man an der Grenze etwa zu Iran oder Nordkorea aufstellen könnte, um die Reaktoren dort aus der Ferne zu überwachen. Allerdings wäre so ein Detektor riesig - eine Million Tonnen schwer und eine Milliarde Euro teuer. Mit dem CONUS-Konzept scheint es zumindest im Prinzip denkbar, solche Anlagen kleiner und billiger zu bauen.
    "Ein System wie das hier ist absolut kompakt, etwas mehr als ein Kubikmeter Volumen. Das könnte man wirklich überall aufstellen."
    Um ihr Verfahren zu verfeinern, werden die Fachleute weiter in Brokdorf experimentieren. Und das sogar über das Jahr 2021 hinaus, wenn der Reaktor abgeschaltet wird. Denn danach wird CONUS, um Störquellen zu identifizieren, noch eine Weile im Leerlauf messen.