Lebensmittelskandal “Vegan”?

Lebensmittelskandal “Vegan”?

Ein neuer Lebensmittelskandal? Vegane Lebensmittel, scheinbar so gesund, sind auch nicht besser als ihre fleischhaltigen Alternativen? Im Gegenteil, sie enthalten zu viel Salz, Fett und einfach gesättigte Fette und sind gar voll von Aromen und Zusatzstoffen? Anders sei ein angenehmes Geschmackserlebnis nicht zu erzielen. So oder so ähnlich lautet die Medienberichterstattung (siehe SPIEGEL, Süddeutsche Zeitung)über eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Hamburg, die in einem Marktcheck 20 vegane Produkte unter die Lupe nahm (siehe hier).

Wird der Marktcheck der Verbraucherzentrale im Einzelnen betrachtet, erweist sich all dies jedoch als Schall und Rauch:

- Die Verbraucherzentrale Hamburg nahm insgesamt 20 Produkte unter die Lupe. Hinweise zu den Auswahlprinzipien fehlen. Deutlich wird aber sofort, dass eine Untersuchung von 20 Produkten, die alles, vom Brokkoli-Pulver bis zur veganen Wurst einschließt, keinerlei Repräsentativität für sich beanspruchen kann.

- In 14 Fällen wurden Vergleiche zu nicht-veganen Produkten durchgeführt bezüglich des Fettgehaltes. Dort, wo ein direkter Vergleich durchgeführt wurde, waren vegane Produkte in 9 Fällen fettärmer, in zwei Fällen fettreicher und in drei Fällen mit den konventionellen vergleichbar. Wäre die Untersuchung repräsentativ, ergäbe sich also als Schlussfolgerung, dass vegane Produkte typischerweise fettärmer sind als nicht-vegane Produkte.

- Kritisiert wird mehrfach der Verwendung von Kokosfett, welches sich durch einen hohen Anteil gesättigter Fettsäuren kennzeichnet. Eine generelle Ablehnung von Kokosfett ist allerdings fraglich, weil es wissenschaftliche Befunde gibt, die darauf hinweisen, dass die in der Kokosnuss vorhandene Fettsäure Laurin selektiv das sogenannte gute HDL-Cholesterin steigert, welches mit einer Reduktion des Risikos von kardiovaskulären Erkrankungen einhergeht (siehe hier). Aber selbst wenn diese durchaus noch unklaren Fragen unberücksichtigt bleiben, ergeben sich aus dem Marktcheck keine Hinweise auf einen besonders hohen Gehalt an gesättigten Fetten in veganen Produkten. Bei nur fünf von 20 Produkten vergibt die Verbraucherzentrale für gesättigte Fette eine rote Ampel. Nur in einem dieser fünf Fälle wird aber berichtet, dass der Gehalt an gesättigten Fetten höher sei als in nicht-veganen Vergleichsprodukten. In drei Fällen wird von einer Vergleichbarkeit gesprochen. In einem Fall (vegane Sprühsahne) ergibt sich ein Gehalt von 11%, der tatsächlich weitaus geringer ist als in vergleichbaren Milchprodukten, was jedoch von der Verbraucherzentrale leider unerwähnt bleibt.

- Nimmt man die Medienberichterstattung ernst, müssten die veganen Produkte geradezu von Aromastoffen strotzen. In der Realität sind in 12 von 20 Produkten keinerlei Aromastoffe enthalten. Dies bedeutet aber nicht, dass die verbleibenden 8 Produkte bedenklich wären. Denn Aromastoffe sind in sich nichts Schlechtes und werden auch in Bio-Produkten verwendet. Die Sachlage, dass beispielsweise ein geräuchertes Produkt als Aroma Rauch enthält, ist insofern nicht bemerkenswert. Kein Hinweis ergibt sich aus dem Marktcheck der Verbraucherzentrale, dass gesundheitlich bedenkliche Aromen verwendet werden würden. Außerdem fehlt jede Angabe zu konventionellen Produkten, so dass ein Vergleich gar nicht möglich ist.

- Auch bei den Zusatzstoffen führt die Betrachtung der Einzelergebnisse zu einer anderen Schlussfolgerung als es in der Medienberichterstattung nahe gelegt wird. Neun der 20 untersuchten Produkte enthalten keinerlei Zusatzstoffe. Die weitaus überwiegende Mehrheit der Zusatzstoffe, die in den anderen Produkten verwandt werden, sind im Übrigen selbst für Bio-Lebensmittel zugelassen. Dies betrifft z.B. Backtriebmittel, wie Natriumhydrogencarbonat, Verdickungsmittel, wie Carrageen, Johannisbrotkernmehl oder Gummi Arabicum, natürliches Vitamin E, Vitamin C, Weinsäure oderpflanzliches Lecithin. Eine Auswahl an all diesen Zusatzstoffen konsumieren wir auch als Bio-Konsumenten in unserer Nahrung, ohne dass dies bedenklich wäre oder kritisiert werden würde. Es es tatsächlich weder verwunderlich noch beunruhigend, dass auch vegane Backwaren Backpulver benötigen. Dass vegane Produkte keine Gelatine, sondern alternative Verdickungs- und Geliermittel verwenden, ist ebenfalls sachlogisch. Fünf der 20 Produkte enthalten Zusatzstoffe, die nicht im Bio-Bereich zulässig sind. Dies betrifft beispielsweise modifizierte Stärke, Gellan oder Beta Carotin, die ebenfalls als gesundheitlich komplett unbedenklich gelten (siehe Informationen zu den einzelnen Substanzen im Lebensmittellexikon).

- Die Verbraucherzentrale berichtet, dass zwei Produkte Hefeextrakte enthalten würden. Einem Anbieter wirft die Verbraucherzentrale vor, sein Produkt trotzdem als "ohne Glutamat" gekennzeichnet zu haben, was gesetzlich zulässig ist. Der implizierte Vorwurf ist aber auch inhaltlich unbegründet, weil Hefeextrakte aus gutem Grund gesetzlich nicht als Glutamat oder Geschmacksverstärker gelten. Hefeextrakte sind nämlich unter anderem auch ein traditionelles Bio-Lebensmittel, welches seit Generationen als solches geschätzt wird (siehe hierundhier). Richtig ist, dass Hefeextrakte als natürliches Lebensmittel Glutamate enthalten, so wie dies beispielsweise auch Tomaten tun. Dies ist nicht vergleichbar mit zugesetzten Geschmacksverstärkern, die z.B. isoliertes Natriumglutamat in enorm hoher Konzentration enthalten. Hefeextrakte vermitteln die Geschmacksrichtung „Umami“, die gerade Fleischessern besonders wichtig ist. Sie können insofern Menschen, die bisher an Fleischgeschmack gewohnt waren, die Umstellung erleichtern. Wer keine Hefeextrakte konsumieren möchte, findet unzählige vegane Ersatzprodukte", die keine Hefeextrakte enthalten. Es gibt also kein Problem.

- Gänzlich unberücksichtigt bleibt in der Medienberichterstattung die Funktion veganer „Ersatzprodukte“. Diese sollen die vegane Ernährung lediglich geschmacksmäßig ergänzen, sie aber nicht dominieren. Veganer leben im Durchschnitt deutlich gesünder, konsumieren weniger Fett, gerade auch weniger gesättigte Fette, essen weitaus mehr Obst und Gemüse, weisen einen geringeren Body-Maß-Index auf und erkranken seltener beispielsweise an Krebs, Diabetes oder Herzerkrankungen (siehe Überlick hier). Es spricht nichts dagegen, dass auch vegan lebende Personen gelegentlich Produkte konsumieren, die sich durch einen hohen Fett- oder Salzgehalt kennzeichnen, wie er für eine Minderheit der durch die Verbraucherzentrale Hamburg untersuchten Lebensmittel zutrifft.

- Die Verbraucherzentrale beklagt zudem eine intransparente Vegan-Deklaration, wobei teilweise eine Doppeldeklaration als „vegetarisch“ und als „vegan“ vorliege. Diese Kritik sollte aber nicht die einzelnen Hersteller betreffen, sondern sie sollte sich auf den Gesetzgeber beziehen, der nach wie vor keine diesbezüglichen Deklarationsrichtlinien erlassen hat (siehe auch hier). Tatsächlich ergeben sich aus dem Marktcheck keinerlei Hinweise, dass die untersuchten veganen Lebensmittel nicht-vegane Zutaten enthalten würden. Völlig unverständlich ist zudem die Kritik an der Doppeldeklaration als „vegetarisch“ und „vegan“. Veganismus ist eine besonders konsequente Form des Vegetarismus. Jedes vegane Produkt ist auch vegetarisch, aber keineswegs ist jedes vegetarische Produkt vegan. Die verwandte Doppeldeklaration ist insofern unproblematisch und im Gegenteil sogar hilfreich für diejenigen Menschen, die nach wie vor wenig mit dem Begriff „vegan“ anfangen können, aber den Begriff „vegetarisch“ als fleischfrei verstehen. Die Doppeldeklaration mindert damit nicht die Transparenz, sondern erhöht sie.

- Kritisch anzumerken ist, dass einige Firmen offenbar nicht auf die Anfrage der Verbraucherzentrale reagierten oder sich als wenig auskunftsbereit zeigten. Auch wenn es verständlich ist, dass kleine Unternehmen, die im Übrigen weitgehend von Personen betrieben werden, die selbst als überzeugte Veganer engagiert sind, weniger zeitliche Ressourcen für solche Anfragen zur Verfügung haben, wäre eine aktivere Mitarbeit beim Marktcheck doch wünschenswert gewesen und hätte der veganen Sache gedient. Gerade weil die veganen Produkte in ihrer überwältigenden Mehrheit nichts zu verbergen haben, sollten die Hersteller offen alle Informationen kommunizieren, die von ihnen gewünscht werden.

Resümee

In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass die Medienberichterstattung über den veganen Marktcheck der Verbraucherzentrale Hamburg ein erschreckend geringes Ausmaß an Recherche aufweist und so komplett verkehrte Eindrücke vermittelt. Allerdings ist auch der Verbraucherzentrale vorzuwerfen, dass sie in ihrer Zusammenfassung für die Öffentlichkeit und die Medien die Befunde verzerrt negativ darstellte und damit die daraus folgende unseriöse Medienberichterstattung gefördert hat. Zudem wäre eine größere Transparenz bezüglich der Auswahlkriterien wünschenswert gewesen und ebenfalls der Hinweis, dass eine derartig kleine Menge veganer Produkte untersucht wurde, dass keinerlei Repräsentativität vorliegt.

Mit ihrer derzeitigen Darstellung dient die Verbraucherzentrale weder den Zielen der Transparenz noch den Zielen der Förderung der Gesundheit und ökologischen Verträglichkeit. Die vegane Lebensweise ist - auch wenn keine Bio-Produkte konsumiert werden und wenn alle Transportwege berücksichtigt werden – nach wissenschaftlichen Befunden diejenige Lebensweise, die die ökologischen Ressourcen dieser Welt mehr schont als alle anderen Lebensweisen, einschließlich der vegetarischen (siehe hier undhier). Immer mehr Studien belegen zudem die gesundheitlichen Vorteile der veganen Lebensweise gegenüber einer Mischkost mit Fleisch, zunehmend aber auch gegenüber einer ovo-lacto vegetarischen Ernährung (siehe Überblick ebenfalls hier). Darüber hinaus ist die vegane Ernährung am besten geeignet, um die weltweite Ernährungssicherheit zu fördern und dem Hunger in der Welt entgegen zu wirken (siehe hier).

Die durch die Verbraucherzentrale nunmehr angestoßene aktuelle Mediendiskussion fördert eine unberechtigte Diskreditierung einer nicht einmal repräsentativen Auswahl veganer Produkte, was in der Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung sogleich auf die vegane Lebensweise an sich generalisiert. Marktchecks sind wichtig und zu begrüßen. Die Verbraucherzentrale hat es aber verpasst, ihre Befunde korrekt zusammenzufassen und hat dadurch eine Art von Medienberichterstattung begünstigt, die nur noch als Verbraucher-Desinformation zu bezeichnen ist.

Wir haben die Verbraucherzentrale angeschrieben und um Beantwortung einiger Fragen hierzu gebeten. Die Antwort der Verbraucherzentrale werden wir in einem weiteren Artikel dokumentieren.

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