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Ein Frau schnuppert an einem Glas Rotwein. Meistens aber läuft das Riechen beim Menschen vor allem unterbewusst ab.

© Patrick Seeger/dpa/lsw

Riechforscher Hummel über den zweiten Sinn: „Der Verlust kann jeden treffen“

Duftspuren, Schnüffeltraining – und ein Kolben im Gehirn: ein Gespräch mit Riechforscher Thomas Hummel über die besondere Bedeutung des zweiten Sinns.

Thomas Hummel ist Professor an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Uniklinikum Dresden. Er leitet das „Interdisziplinäre Zentrum für Riechen und Schmecken“.

Herr Professor Hummel, der Mensch ist doch ein primär visuelles Wesen. Welchen Stellenwert hat der Geruchssinn für uns überhaupt?

Als Blinder ist man ja maximal gehandicapt. Und wenn man gehörlos wird, ist man auch zu vielen gesellschaftlichen Handlungen unfähig. Der Geruchssinn dagegen hat für das tägliche Überleben keinen so großen Stellenwert. Wenn Sie am Alex sitzen und sich umsehen, da kann jeder Zwanzigste nicht riechen, aber das merkt man als Außenstehender gar nicht.

Das ist ja schon einmal ein vielversprechender Anfang für ein Gespräch, in dem es um die besondere Bedeutung des Riechens gehen soll…

Also, wer nicht riechen kann, hat etwa ein erhöhtes Risiko für Lebensmittelvergiftungen. Und das Haus brennt einem eher ab, weil man bei beidem eben die Warnzeichen nicht wahrnehmen kann.

Wenn wir Hör- oder Sehvermögen verlieren, hilft uns dann der Geruch?

Es gibt Überlieferungen aus dem alten Ägypten, da trug ein Sklave eine Duftschale vor dem erblindeten Pharao her, an der dieser sich beim Gehen perfekt orientieren konnte.

Wenn einem gesunden Menschen die Augen verbunden werden, kann der dann wie ein Hund seinen Weg finden, wenn dieser geruchsmarkiert ist?

Es gab tatsächlich ein Experiment, da wurde eine Duftspur im Gras gelegt, und die Probanden mit verbundenen Augen fanden sicher das Ziel.

Wie riechen wir? Also wie wird aus ein paar durch die Luft schwebenden Molekülen die bewusste Information „Kuhstall“ oder „Chanel No. 5“?

Diese Moleküle erreichen die Nase und dort das Riech-Epithel. Durch den Riech-Schleim dort müssen sie teilweise mithilfe spezialisierter Transportproteine hindurchgeschleust werden. Dann docken sie an einem Rezeptormolekül an, wodurch ein Signal in einem der Riechnerven ausgelöst wird. Das erreicht den Riechkolben, der vorne im Schädel so etwa zwischen den Augen sitzt. Dort wird die Information verarbeitet und an das Zentralnervensystem weitergeleitet.

Was passiert dort?

Da wird das Signal verknüpft, mit Erinnerungen etwa, Gelerntem, abgeglichen mit anderen Sinneseindrücken, und daraus entsteht dann letztlich etwa die Empfindung „Rose“.

Wie viele Moleküle müssen dafür auf das Riech-Epithel treffen?

Bei Tieren ist bislang der Seidenspinner das extremste Beispiel, ihm reichen 100 Moleküle. Auch bei Menschen genügen ganz geringe Mengen.

Riechen wir eher bewusst oder unterbewusst?

Überlegen Sie mal, welche Gerüche Sie heute bewusst wahrgenommen haben! Bei dem, was Sie seit dem Aufstehen gesehen haben, haben Sie sicher einen fast lückenlosen Film, aber…

...keinen Geruchsfilm. Stimmt.

Riechen läuft vor allem unterbewusst ab. Natürlich riechen wir ständig, ebenso wie wir ständig unseren Tastsinn nutzen, aber wenn wir uns nicht aktiv darauf konzentrieren, eben nicht bewusst.

Mein Bürofenster geht zu einem Innenhof. Da stehen unten die Mülltonnen. Kann ich den Gestank irgendwie ausblenden lernen?

Da hilft im Wesentlichen nur Psychotherapie.

Wie bitte?

Es gibt Leute, die leiden am sogenannten MCS-Syndrom: Multiple Chemische Sensitivität. Die sind extrem empfindlich auf Düfte und versuchen dann im Extremfall, all dem in Nordkanada in einem Aluminiumcontainer zu entgehen. So etwas kann tatsächlich mit solchen Missempfindungen wie jenem Müllgeruch anfangen. Da hilft dann wirklich nur eine langwierige Psychotherapie, um das dann wieder zu „ent-lernen“.

Sprechen wir lieber über das Gegenteil. Man sagt immer: Ohne Geruch kein Geschmack. Ich meine aber, auch bei starkem Schnupfen noch einen passablen Geschmackssinn zu haben. Stimmt mit mir etwas nicht?

Thomas Hummel ist Pharmakologe und Professor an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Uniklinikum Dresden. Er leitet das „Interdisziplinäre Zentrum für Riechen und Schmecken“.
Thomas Hummel ist Pharmakologe und Professor an der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Uniklinikum Dresden. Er leitet das „Interdisziplinäre Zentrum für Riechen und Schmecken“.

© Uniklinikum Dresden

Ihre Nase ist dann noch nicht komplett verlegt, es gelangt noch Luft zur Riechspalte. Sonst schmeckt Essen dann wirklich fad. Außer salzig, süß, sauer, bitter empfindet man dann nichts mehr. Ein Apfel schmeckt dann nicht anders als eine Birne.

Kann man riechen lernen, wieder erlernen oder trainieren?

Das versuchen wir ja hier in Dresden recht erfolgreich in Therapien. Man kann aus Nicht-Riechern Riecher machen, die Sensitivität auf Geruchsstoffe kann sich um das 100 000-Fache erhöhen.

Wie sieht so ein Riech-Lernprogramm aus?

Man muss sich jeden Tag und jeweils über mindestens fünf Minuten intensiv mit einem bestimmten Geruch beschäftigen: aktiv schnüffeln, das Gerochene bewusst wahrnehmen. Die Effekte kann man durch Ableitungen von Nervenzellen der Riech-Schleimhaut auch messen.

Es gibt Menschen, die beruflich gut riechen und schmecken können müssen, Sommeliers etwa. Kann man mit wissenschaftlichen Methoden deren Fähigkeit im Gehirn sichtbar machen?

Ja, bei denen ist fast immer der Riechkolben vergrößert. Bei Leuten, die ihren Geruchssinn verloren haben, wird er dagegen kleiner. Auch die Aktivität spezialisierter Nervenzellen unterscheidet sich. Parfumeure etwa zeigen beim gleichen Geruch viel geringere Aktivität.

Das klingt paradox.

Ist es aber nicht. Es ist, wie wenn Sie in London einen Stadtplan lesen müssen. Da ist alles neu und viel und bunt und Ihr Gehirn hat richtig Arbeit. Der Taxifahrer guckt nur kurz drauf: Er kennt das ja alles, deshalb gibt es bei ihm auch kein Nervenzell-Feuerwerk. Genau so ist das bei Leuten, deren Geruchssinn gut trainiert ist.

Können die dann auch gleichsam den „Riech-Lärm“ ausblenden und die Feinheiten herausfiltern?

Genau.

Im Film „El Camino del Vino“ verliert ein berühmter Weintester seinen Geruchs- und Geschmackssinn. Eine Katastrophe. Kann das jedem von uns auch passieren, und was bedeutet das dann?

Das kann jedem passieren. Wenn man sich dann etwa nicht mehr über den Geschmack von Essen unterhalten kann, dann ist das ein extremer Verlust der Möglichkeiten sozialer Interaktion. Bei uns dreht sich eben viel um Essen und Trinken. Wir sehen bei Leuten, die nicht mehr riechen können, auch eine verstärkte Neigung zu milden bis mittleren depressiven Symptomen, denn parallel dazu sind offenbar auch Nervenbahnen betroffen, die etwas mit Emotionen zu tun haben.

Wie verliert man seinen Riechsinn?

Hauptursache ist das Altern. Unter den 80-Jährigen kann jeder Zweite bis Dritte nicht mehr oder nur noch sehr schlecht riechen. Und unerklärter Riechverlust geht leider auch mit einer erhöhten Sterberate einher. Ansonsten sind es chronische Infektionen, etwa Nebenhöhlenentzündungen. Auch akute Infektionen können zu Riechverlust führen, und es kann dann zwei bis drei Jahre dauern, bis das wieder einigermaßen so ist wie zuvor.

Kann der Verlust des Geruchssinns ein Frühzeichen neurologischer Erkrankungen sein?

Ja, aber wenn man im Alter merkt, dass man nicht mehr so gut riechen kann, heißt das nicht gleich, dass man deshalb jetzt Parkinson oder Alzheimer bekommt. Aber etwa zehn Prozent der Personen mit einer Riechstörung ohne feststellbare Ursache, die sich bei uns behandeln lassen, sind zehn Jahre später an Parkinson erkrankt.

Was sind aus Ihrer Sicht die interessantesten unbeantworteten Fragen der Riechforschung derzeit?

Wir als Mediziner interessieren uns vor allem dafür, wie man Therapien bei Riechverlust verbessern kann. Regeneration von Riechzellen ist in gewissem Maße möglich. Wir wissen, dass lokal angewandtes Vitamin A helfen kann. Aber auch Wachstumsfaktoren könnten in Zukunft hier eingesetzt werden, und auch Stammzelltherapien.

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