Ins Gefängnis wegen Schwarzfahren? Ab heute ist das wieder möglich

In der Pandemie waren Haftstrafen ausgesetzt. Nun könnten sich Gefängnisse wieder füllen. Wie lange Verurteilte in Haft müssen, hängt von einem Kriterium ab.

Erwischt: Ein Ticketkontrolleur am Berliner S-Bahnhof.
Erwischt: Ein Ticketkontrolleur am Berliner S-Bahnhof.Imago/Jürgen Ritter

Schwarzfahren ist in Deutschland keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Wer ohne Ticket im Nahverkehr erwischt wird, und das sogenannte Erhöhte Beförderungsentgelt von 60 Euro nicht bezahlen kann, wird vom Verkehrsbetrieb angezeigt und landet im äußersten Fall im Gefängnis. Während der Corona-Pandemie konnte der Vollzug in solchen Fällen ausgesetzt werden. Seit Mittwoch ist diese Regel verstrichen. Fahren ohne Ticket kann wieder ins Gefängnis führen.

Im Jahr 2019 saßen in Berlin 318 Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt Plötzensee mit der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe, während der Pandemie waren es weniger als 200 Menschen. Das hatte der Tagesspiegel berichtet. Im Schnitt ist etwa jede vierte Person mit Ersatzfreiheitsstrafe wegen Schwarzfahren inhaftiert.

Die Corona-Ausnahme sollte verhindern, dass sich das Virus in Gefängnissen verbreiten konnte. Doch was wegen der Pandemie nur eine Lösung auf Zeit und im Sinne des Infektionsschutzes war, fordern Kritiker und Kritikerinnen der sogenannten Ersatzfreiheitsstrafe schon seit langem: Sie auszusetzen, gar aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Dabei geht es meist um soziale Aspekte, denn die Haft trifft vor allem mittellose Menschen. Rund zehn Prozent der Inhaftierten sitzen wegen Ersatzhaft.

Liegt eine Anzeige eines Verkehrsverbundes vor, leitet die Staatsanwaltschaft ein Verfahren ein. Kommt es zum Strafbefehl, wird die betroffene Person per Brief benachrichtigt und hat zwei Wochen Zeit, Einspruch zu erheben. Geschieht das nicht, gilt sie als verurteilt. Bei Wohnungslosen kommt dieser Brief jedoch nicht unbedingt an. Andere sind mit einer solchen Situation schlicht überfordert.

Ampel will die Haftstrafe für Schwarzfahrer abschaffen

Schätzungen zufolge werden bundesweit jährlich Tausende Menschen, vor allem Wohnungslose, Drogenabhängige und von Armut Betroffene mit einer Ersatzfreiheitsstrafe belegt. Das tritt ein, wenn die Verurteilten die Strafen nicht bezahlen oder abarbeiten können.

Mit dem Ende der Corona-Ausnahme erwarten die Behörden, dass die Zahl der Inhaftierten wegen der Delikte, die im Strafgesetzbuch als „Erschleichen von Leistungen“ bezeichnet werden, wieder steigt. Konkrete Zahlen nannte die Berliner Senatsverwaltung für Justiz bis Redaktionsschluss nicht.

Die Haftzeit ist abhängig von der Anzahl der Tagessätze

Die Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) gehört zu den Kritikerinnen dieser Maßnahmen. „Wer vom Unwert der Tat zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, sollte dafür gerade nicht im Gefängnis sitzen“, sagte Kreck am Dienstag. Auch die Ampel-Regierung bekannte sich im Koalitionsvertrag dazu, das „Sanktionssystem einschließlich Ersatzfreiheitsstrafen“ zu überarbeiten. Die Ziele seien stattdessen Prävention und Resozialisierung.

Die Berliner CDU befürchtet in dieser Debatte eine „Aushöhlung“ des Rechtsstaates. „Wer meint, auf diese Weise die Justiz zu entlasten, könnte genauso gut Fahrrad- oder Ladendiebstahl als Straftatbestand abschaffen“, sagte der rechtspolitische Sprecher der Berliner CDU-Fraktion, Alexander Herrmann.

Andere argumentieren gerade mit einer Entlastung für Staat und Justiz. Eine Haftstrafe kostet den Staat laut der Transparenzinitiative „Frag den Staat“ (FdS) bis zu 188 Euro pro Tag und Inhaftiertem. Die Haftzeit ist abhängig von der Anzahl der verhängten Tagessätze.

„Jemand der besser verdient, zahlt bei einer Geldstrafe mehr als jemand, der weniger verdient“, sagt der Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli der Berliner Zeitung. Er erklärt an einem Beispiel: Bei einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15 Euro entspricht die Strafe 30 Tagen im Gefängnis. Bei besser Verdienenden könnten die Tagessätze aber auch bei 30 oder 40 Euro liegen. Die Haftzeit wäre jedoch in beiden Fällen 30 Tage.

Justizsenatorin Lena Kreck fordert die Entkriminalisierung vom „Fahren ohne Fahrschein“. Auf der Justizministerkonferenz, die am Mittwoch und Donnerstag tagt, will sie eine entsprechende Vorlage einreichen.

Die Anhörungsfristen sind zu knapp

Eine Möglichkeit wäre, das Schwarzfahren nicht länger als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Bei Ordnungswidrigkeiten wird ein Bußgeld verhängt, das nicht nach dem Einkommen bemessen wird. Zwar kann auch hier eine „Erzwingungshaft“ verordnet werden, etwa durch ein Amtsgericht. Doch sie ist in der Regel deutlich kürzer als eine Ersatzhaft, das Gericht kann außerdem eine Zahlungserleichterung bewilligen. Das Problem: Die Beschuldigten sind in der Beweispflicht. Sie müssen nachweisen, dass sie zu arm sind. Das überfordert viele, sagt Anwalt Khazaeli.

„Die Anhörungsfristen sind äußerst knapp gehalten“, sagt Ehssan Khazaeli. „Vielen Menschen wäre bereits geholfen, wenn diese Fristen verlängert werden würden.“ Binnen sieben Tagen schaffe das kaum jemand, binnen eines Monats sei das kein Problem. Geld- oder Haftstrafen seien wenig angemessen. Khazaeli plädiert dafür, das Verfahren wegen Schwarzfahrens nach § 153a der Strafprozessordnung einzustellen – gegen Arbeitsauflagen.