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Corona: Berliner Kliniken fehlen Pflegekräfte

8. Dezember 2020

Deutschland hatte schon vor der Corona-Krise viel zu wenig Pflegepersonal. Das bekommen die Mitarbeiter der Intensivstationen in der Pandemie mit ganzer Härte zu spüren.

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Deutschland Coronavirus - Intensivstation Universitätsklinikum Bonn
Bild: Rolf Vennenbernd/dpa/picture alliance

Eine gedämpfte Stimmung liegt über den gelb gestrichenen Fluren der Intensivstation der Caritas-Klinik Maria Heimsuchung im Berliner Bezirk Pankow. High-Tech-Maschinen brummen und piepen. Ein verwobenes Labyrinth aus Kabeln und Schläuchen verbindet die Maschinen mit Bildschirmen, auf denen lebenswichtige Gesundheitsdaten abgebildet sind. Die kargen Wände und Linoleum-Fußböden unterstreichen die Sterilität der Station.

Ärzte und Pflegekräftel in Kittel und weißen Masken halten rund um die Uhr lebensrettende Operationen aufrecht. Wenn sie nicht gerade in den Zimmern nach ihren Patienten sehen, sprechen sie mit gedämpfter Stimme in den Gängen miteinander. Eine Schale gefüllt mit Weihnachtssüßigkeiten steht auf dem Hauptschalter der Station.

Doch die Szenerie täuscht. Die Belegschaft steht unter Strom, angesichts des hochinfektiösen Coronavirus, an dem Tausende Menschen in Deutschland in diesem Jahr gestorben sind. Beinahe die Hälfte von ihnen starb in den vergangenen Wochen seit Ende Oktober. "Die Situation ist schwierig", sagt Thomas König, Leiter der Intensivstation an dem Berliner Krankenhaus: "Das Personal ist dauerbelastet. Und wir stehen erst am Anfang des Winters."

Deutschland Covid-19 Intensivstation Caritas-Klinik Maria Heimsuchung in Berlin
Thomas König, Leiter einer Intensivstation in Berlin, kann Intensivbetten nicht nutzen, weil ihm Pflegekräfte fehlenBild: William Noah Glucroft/DW

König sagt, er erwarte, dass Anfang des kommenden Jahres noch mehr Intensivbetten benötigt werden, da dann die Grippesaison sichtbar werden könnte. Zusätzlich haben die geplanten Corona-Lockerungen über Weihnachten viele Gesundheitsexperten in Sorge versetzt. Sie befürchten einen Anstieg der Fälle nach den Feiertagen. Doch König hat keine Reserven. Alle seine zehn Intensivbetten sind belegt. Rund die Hälfte halten COVID-19-Patienten am Leben.

Die Corona-Last

So sei es seit Wochen, sagt König. Die einzige Möglichkeit, Platz zu schaffen, sei es, Patienten in andere Krankenhäuser zu bringen. In Berlin gibt es den sogenannten SAVE-Plan, der im Frühjahr entwickelt wurde, damit Krankenhäuser in der Pandemie Ressourcen schonen können. "Wir mussten die Corona-Patienten isolieren", sagt König der DW. Zusätzlich blieben sie meist länger auf der Intensivstation als andere Patienten.

Zwei Mitarbeiter aus seinem Team nähern sich einem Ende der Intensivstation. Vor einem Patientenzimmer bleiben sie stehen. Ein laminiertes rotes Schild an der Tür weist auf Corona-Fälle in den Zimmern hin und listet die Sicherheitsmaßnahmen im Umgang mit dem Virus auf: Masken, Brillen, Kittel. Stapel zusätzlicher Schutzausrüstung liegen auf  Tischen vor den Zimmern. Die beiden Mitarbeiter ziehen die Kleidung über, schieben sich in den Raum und ziehen die Tür hinter sich zu.

Deutschland I Caritas-Klinik Maria Heimsuchung in Berlin Pankow
Nicht nur COVID-19-Erkrankte müssen Intensivstationsleiter Thomas König und sein Team versorgenBild: William Noah Glucroft/DW

Am anderen Ende des Gangs offenbart sich in einem der Zimmer ein ganz anderes Bild: zwei Betten, eingerahmt mit Monitoren und Infusionsbeuteln, bereit für den Einsatz. Doch König fehlt das Personal. "Die Personalsituation auf den Intensivstationen ist bereits seit vielen Jahren angespannt", sagt König. "Wir haben wesentlich zu wenig qualifizierte Pfleger und Pflegerinnen. Das ist ein lang bekanntes Problem. Durch die Corona-Situation hat es sich zugespitzt."

Wo Personal fehlt, bleiben die Betten leer

Deutschland verfügt laut Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) über 28.000 Intensivbetten. 20 Prozent zusätzliche Betten könnten bereitgestellt werden, die aber derzeit nicht einsatzfähig sind, da das Personal fehlt. "Es ist noch nicht so, dass Patienten abgewiesen werden müssen", sagt DIVI-Präsident Uwe Janssens, selbst Leiter einer Intensivstation, der DW. "Aber wenn es die nächsten Wochen so bleibt, wie es ist, sind wir sehr unsicher, wie wir das schaffen würden."

Besonders Deutschlands größte Städte trügen die Last, sagt Janssens. Und es könnte noch Wochen dauern, bis sich die Lage der Intensivstationen entspannt. Das ist beunruhigend für Berlin, das an eine Belegungsrate von 80 Prozent der Intensivbetten gewöhnt ist. Die Prognose deutet aber auf eine Nach-Weihnachts-Welle von Corona-Fällen hin, in Kombination mit der regulären Grippesaison.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) schätzt, dass es bundesweit 4700 unbesetzte Stellen allein in der Intensivpflege gibt. Die Stellenlücke geht einher mit geschätzten 30.000 Infizierten beim medizinischen Personal, wie aus Zahlen des Robert Koch-Instituts hervorgeht.

Coronavirus - Berlin Intensivpflege
Deutschlandweit fehlt den Kliniken das Personal - gerade in der IntensivpflegeBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Als im November Deutschlands Intensivbetten knapper wurden und das Land in einen Teil-Lockdown ging, veröffentlichte das Berliner Büro der DKG einen dringlichen Aufruf an ehemalige und verfügbare Pflegekräfte.

Steigende Kosten, sinkende Einnahmen

Einige Ausfälle können Pfleger und Pflegerinnen von privaten Unternehmen ausgleichen. Die Intensivstation im Berliner Caritas-Krankenhaus setzt sie gelegentlich ein, sie seien aber häufig weniger zuverlässig als das Vollzeit-Personal der Kliniken. "Es gibt Leute, die sind total gut", sagt Intensivmediziner König. "Aber es gibt auch Leute, denen ist es völlig egal. Die kommen, machen ihren Job und dann sind sie weg. Das ist das Problem." Dieses Pflegepersonal ist auch teurer.

Die Pandemie hat die finanzielle Situation vieler Unternehmen beeinflusst, Krankenhäuser bilden da keine Ausnahme. Eine Einnahmequelle sind geplante Operationen, wie am Knie oder der Hüfte. Aber viele Operationen mussten verschoben werden, um Platz für COVID-19 Patienten zu machen.

Die Folge: steigende Kosten und sinkende Einnahmen. Die Bundesregierung kam bisher während der Pandemie für einen Großteil der Kosten auf. Im März billigte der Bundestag umfangreiche Finanzhilfen für Krankenhäuser, damit sie die Behandlung von COVID-19-Erkrankten zur Priorität machen konnten. Das beinhaltete 560 Euro pro Tag und Patient für jedes Krankenhausbett, das freigehalten wurde und 50.000 Euro für jedes zusätzliche Bett auf der Intensivstation.

Lockdown in Berlin

Das Programm für die Ausgleichszahlungen lief bis Ende September. Eine Neuauflage, die am 19. November in Kraft trat, ist nun an mehr Bedingungen geknüpft. Beispielsweise müssen die Intensivbetten eines Krankenhauses, um Finanzhilfen zu bekommen, zu 75 Prozent belegt sein und das Krankenhaus muss sich in einem Gebiet befinden, in dem die 7-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner bei über 70 liegt.

Finanzielle Voraussetzungen

Das Bundesgesundheitsministerium bezeichnet die Bedingungen als "zielgenauer". Die Berliner Krankenhausgesellschaft (BKG) sieht in den Maßnahmen eine Gefahr für den SAVE-Plan in Berlin. Zusätzlich würden viele Krankenhäuser ausgeschlossen, was deren Finanzen gefährde. "Die im Gesetz festgelegten Finanzierungsvoraussetzungen widersprechen den Vorgaben des Landes Berlin zur Freihaltung von Bettenkapazitäten", heißt es in einer Stellungnahme der BKG, mit dem Hinweis darauf, dass die Gespräche zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit und den Gesundheitsministerien der Länder noch nicht abgeschlossen seien.

Während sich das alles auf der politischen Ebene abspielt und Lösungen gesucht werden, kämpfen Ärzte und Pflegepersonal weiter mit allem, was sie haben, gegen COVID-19. Sie können nicht alle Kämpfe gewinnen. Thomas König von der Caritas-Klinik Maria Heimsuchung sagt, sein Personal arbeite weiter auf Hochtouren - trotz des immensen physischen und psychischen Drucks, der auf ihnen laste. "Das Sterben ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit auf einer Intensivstation. Das gehört dazu", sagt König. "Aber der wesentliche Aspekt ist zu wissen, all das getan zu haben, was möglich war."

Mitarbeit: Tessa Walther und Anja Köhler