Sanitäter aufgehalten? Aktivisten der „Letzten Generation“ bis zu 30 Tage in Gewahrsam

Die „Letzte Generation“ will um Aufmerksamkeit für Maßnahmen gegen den Klimawandel kämpfen. Nach dem Tod einer Radfahrerin ist die Kritik jedoch massiv.

Aktivisten auf der A100. 
Aktivisten auf der A100. dpa/Pressefoto Wagner

Die Aktionen und Blockaden der „Letzten Generation“ erlangen regelmäßig viel Aufmerksamkeit, das Medienecho ist gewaltig. Nach dem Unfalltod einer Berliner Radfahrerin schlägt den Aktivisten laut eigener Aussage Gewaltandrohung, Beleidigung und Hetze entgegen. In den sozialen Medien ist die Kritik auch größer denn je. Die Feuerwehr hatte angegeben, dass die Retter im Stau standen, weil zwei Personen den Verkehr auf der A100 blockiert hatten  – inzwischen wird allerdings angenommen, dass das spezielle Rüstfahrzeug nicht für die Bergung der verstorbenen Radfahrerin nötig war. Laut einem Medienbericht gibt es aber einen anderen Fall, in dem Retter wegen der Blockade feststeckten.

Ein Rettungssanitäter berichtet gegenüber der Bild, dass er aufgrund einer Blockade der „Letzten Generation“ in München am 3. November im Verkehr feststeckte. In seinem Fahrzeug habe er nach eigener Aussage Blutkonserven gehabt, die dringend in einer Notaufnahme gebraucht wurden. Gegen 10.30 Uhr fuhr er mit Blaulicht in den Bereich des Münchner Stachus. Als es auf der Straße nicht mehr weiterging habe die Polizei ihn schließlich über eine Tram-Spur geleitet, sodass er es schließlich rechtzeitig in die Klinik schaffte. Er erklärte gegenüber der Zeitung: „Wenn die Notfallversorgung wegen Demos stillsteht, hört der Spaß auf! Da bleiben Feuerwehr, Polizei oder Krankenwagen stecken. Sie müssen aufwachen.“

Aktivisten nach Aktion in München bis zu 30 Tage in Gewahrsam

Nach den zwei Festklebeaktionen auf dem zentralen Verkehrsknotenpunkt in München müssen mehrere Aktivsten für 30 Tage in Polizeigewahrsam bleiben. „Das ist sehr, sehr selten, dass das angewendet wird, das ist wirklich ein großer Ausnahmefall“, sagte ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur.

Nach dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz können Bürgerinnen und Bürger auf Grundlage einer richterlichen Entscheidung bis zu einen Monat lang festgehalten werden, um die Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit oder eine Straftat zu verhindern. Dieser Zeitraum kann um maximal einen weiteren Monat verlängert werden.

Am Vortag hatten 17 Klimaschutzaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ die Straße an einem zentralen Platz in der Münchner Innenstadt blockiert, indem sich die meisten von ihnen mit einer Hand auf der Fahrbahn festklebten. Dadurch kam es am Stachus für mehr als zwei Stunden in beiden Richtungen zu Behinderungen. Die Beteiligten im Alter zwischen 18 und 79 Jahren wurden wegen Nötigung sowie Verstößen gegen das Versammlungsgesetz angezeigt. Dennoch wiederholten 15 von ihnen die Aktion wenige Stunden später am gleichen Ort noch einmal.

Da sie zudem weitere Blockadeaktionen ankündigten, wurde beim Amtsgericht polizeilicher Gewahrsam bis zum 2. Dezember beantragt. Mit Stand 15 Uhr hatte der zuständige Richter entschieden, dass zwei der Aktivisten noch bis Freitag um Mitternacht festgehalten werden, drei aber bis Anfang Dezember in Gewahrsam bleiben müssen. Für die übrigen zehn stand die Anhörung zunächst noch aus.

Während der Blockade war die Bildung einer Rettungsgasse in der Millionenstadt offenbar ausbaufähig. Was sagt in diesem Fall die Rechtsprechung?

Rettungsgasse innerorts: Das schreibt der Deutsche Verkehrsrat vor

Außerorts, auf Autobahnen und Landstraßen, sollen Fahrzeuge im Falle eines Staus eine Rettungsgasse bilden, um Einsatzfahrzeugen die Durchfahrt zu ermöglichen. Das lernt jeder, der einen Führerschein macht, in der Fahrschule. Aber was gilt innerorts, in einem engen Kreuzungsbereich? 

Fahrzeugführer sind laut einer Pressemitteilung des Deutschen Verkehrsrats dazu angehalten: „Vorsichtig über die rote Ampel in den Kreuzungsbereich fahren. Auf diese Weise bekommen auch alle, die hinter Ihnen fahren Platz, um den Weg für die Rettungskräfte freizumachen. Achten Sie auf andere Verkehrsteilnehmende und gefährden Sie diese nicht. Die Ampel ist grün? Fahren Sie nicht einfach weiter. Blinken Sie rechts, verringern Sie die Geschwindigkeit und fahren Sie an den rechten Fahrbahnrand. Halten Sie an.“

Jedoch ist zumindest der erste Punkt kaum umzusetzen, wenn Aktivisten der „Letzten Generation“ auf dem Asphalt kleben. Die Mitglieder geben zwar an, dass bei den Klebe-Aktionen stets Personen vor Ort sind, die nicht festgeklebt sind. Demnach sei die Möglichkeit für eine Rettungsgasse gegeben. Allerdings ist es problematisch, dass sich der Verkehr bei einer Blockade oft hunderte Meter weit staut. Im schlimmsten Fall bekommen Autofahrer unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich nicht mit, dass sich ein Rettungsfahrzeug nähert. Die Einsatzkräfte stehen hinten im Stau, es geht nicht vor und nicht zurück. Autofahrer können offenbar aufgrund der vielerorts engen Straßen nicht ausweichen. 

Uneinigkeit über Schuldfrage

Auf Twitter entbrennen dazu hitzige Diskussionen. 

Ein Nutzer postet ein Bild von einem Klimaprotest auf einer engen Straße und wirft die Frage auf, wie an dieser Berliner Kreuzung überhaupt eine Rettungsgasse gebildet werden könne, wenn die Autos nicht rangieren können. 

Ein anderer, laut Beschreibung selbst im Rettungsdienst in Berlin tätig, beklagt, dass eine Rettungsgasse sowieso stets schlecht funktionieren würde. Die harsche Kritik an der „Letzten Generation“ sei unberechtigt. 

In einem längeren Thread erklärte er unter anderem: „Hier die Schuld bei den Klima-Aktivist*innen zu suchen ist respektlos dem Unfallopfer gegenüber, heuchlerisch, verlogen und hetzerisch. Und auch die Berliner Feuerwehr, die sich jetzt ganz empört hinstellt, könnte da selbstkritisch rangehen.“

Wie geht es nach dem Tod der Radfahrerin in Berlin weiter?

Die Polizei ermittelt derzeit gegen zwei 63 und 59 Jahre alte Klimaaktivisten wegen unterlassener Hilfeleistung beziehungsweise der Behinderung hilfeleistender Personen. Es müsse – auch mit Sachverständigen – der kausale Zusammenhang zu den Blockaden geprüft werden, heißt es von der Polizei. Die Feuerwehr geht davon aus, dass sich die Rettung der Frau um mehrere Minuten verzögert hat, weil das Spezialfahrzeug im Stau stand. Allerdings räumte ein Feuerwehrsprecher ein, auch die Bildung einer Rettungsgasse sei am vergangenen Montag angesichts der Größe des Fahrzeugs problematisch gewesen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält die umstrittenen Aktionen für nicht zielführend im Kampf gegen den Klimawandel. „Die Frage ist, ob das, was wir auch sehen in diesen Tagen, dass kostbare Gemälde mit Lebensmitteln beworfen werden oder Menschen sich auf der Straße festkleben, dem Klimaziel wirklich weiterhilft“, sagte Steinmeier am Donnerstag bei einem Besuch in Kyoto. „Ich befürchte, dass es die breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr und entschiedeneren Klimaschutz eher in Frage stellt beziehungsweise uns die Chance raubt, diese Unterstützung noch größer werden zu lassen.“ (mit dpa)