Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck,

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Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Afghanistan braucht Hilfe und wir wollen diese Hilfe heute beschließen. Dafür ist das nachhaltige Engagement der internationalen Gemeinschaft erforderlich. Wir übernehmen heute zusätzliche Verantwortung. Wir wissen, die Stabilisierung des Landes, die Festigung einer multiethnischen Regierung der nationalen Aussöhnung und die Schaffung von Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Entwicklung und die gesellschaftliche Demokratisierung sind von zentraler Bedeutung für den Erfolg im Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Dieser Kampf ist noch lange nicht beendet, wie der gestrige Vorfall vor unserem Lager in Kabul zeigt. Dort wurde ein Selbstmordanschlag mit inzwischen drei Toten verübt. Das heißt, die Lage ist äußerst instabil und sehr gefährlich für unsere Soldatinnen und Soldaten.

Unsere herausragende Rolle für die Zukunft Afghanistans wird vom Vertrauen der afghanischen Bevölkerung und der afghanischen Regierung getragen. Das spürt jeder, der sich in Kabul ein Bild von der Situation macht. Das hat übrigens auch Präsident Karzai während der Petersberg-Konferenz am 2. Dezember erneut hervorgehoben.

Wir verstehen unser Engagement in einem sehr umfassenden Sinne, weil Stabilität und Sicherheit im Lande nur durch ein umfassendes Herangehen gefördert werden können. Die Petersberg-Konferenzen, die wirtschaftliche Unterstützung unter dem Dach der Europäischen Union, der Aufbau der Polizei und der Anteil der Bundeswehr an der Sicherheitspräsenz in Kabul stehen für den deutschen Beitrag.

Unser Engagement geht weiter. Es ist schon Beeindruckendes geleistet worden. Doch 20 Jahre Bürgerkrieg und das grausame Erbe der Taliban können nicht in ein oder zwei Jahren bewältigt werden. Ohne fortgesetztes internationales Engagement kann es das afghanische Volk nicht schaffen. Es ist hierbei völlig unstreitig: In Afghanistan wie in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo und auch an anderen Orten, wo Gewalt und Zerstörung zu Hause waren, zeigt sich, dass mit Geld allein die Probleme nicht zu lösen sind, sondern nur mit internationaler, auch militärischer Präsenz.

Der Wiederaufbau von Polizei und Armee kann nicht über Nacht erfolgen. Die gewaltigen ethnischen und gesellschaftlichen Spannungen sowie die latente Gefahr der noch nicht vollständig besiegten Taliban werden die eigenen Möglichkeiten der afghanischen Regierung noch für geraume Zeit überfordern. Deshalb ist die Schaffung eines sicheren Umfelds für Aufbau und Stabilisierung unverzichtbar. Wir verhindern einen Rückfall in Zeiten der Unterdrückung und des Bürgerkrieges. Wir stellen sicher, dass Terroristen in Afghanistan kein sicheres Rückzugsgebiet und keinen Ausbildungsraum finden. Wir leisten einen wesentlichen Beitrag, um die Erfolgsaussichten der global operierenden radikalen Islamisten zu begrenzen. Wir tragen dazu bei, dass eine von vielerlei Krisen und Spannungspotenzialen geprägte Region nicht weiter destabilisiert wird.

Der Bundeswehr fällt dabei durch die Übernahme der anspruchsvollen Leitfunktion für ISAF zusammen mit unseren niederländischen Freunden ab Februar 2003 weiterhin eine besondere Rolle zu. Die Verstärkung auf bis zu 2500 Soldaten trägt dieser erhöhten Verantwortung Rechnung. Erstmalig wird dieser Einsatz auch durch die Bereitstellung ausgewählter Fähigkeiten der Nato unterstützt. Dies ist vielleicht ein erster Schritt zu mehr Verantwortung der Nato in Afghanistan und vielleicht ein Hinweis auf die Übernahme der Lead-Funktion durch die Nato nach Beendigung unserer Verantwortung.

Die Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz sind durchgehend beispielhaft. Ich habe dies gerade erst wieder am vergangenen Wochenende während meiner Besuche bei unseren Soldaten in Dschibuti, Mombasa und Kuwait feststellen können. Diese Leistungen werden durch erstklassige Ausbildung, hohe Motivation und die Unterstützung der vielen in der Bundeswehr gewährleistet, die hier in Deutschland die internationalen Einsätze ermöglichen. Ich denke dabei gerade auch an die Familien unserer Soldatinnen und Soldaten, für die jeder Einsatz eine schwierige Zeit mit vielen persönlichen Belastungen darstellt. Ich spreche allen meinen Dank und meine besondere Anerkennung aus.

Vor zwei Wochen habe ich an dieser Stelle deutlich gemacht, dass sich die Weiterentwicklung der Reform der Bundeswehr noch konsequenter als bisher an dem wahrscheinlichsten Einsatzspektrum unserer Streitkräfte ausrichten muss. Seit Jahren bestimmen vorrangig Aufgaben im Rahmen der internationalen Konfliktverhütung und der Krisenbewältigung die Einsatzrealität der Bundeswehr. Dies muss sich in Strukturen, Umfängen, Fähigkeiten und Ausrüstung niederschlagen; sonst wird die Bundeswehr wegen struktureller und materieller Defizite immer wieder an die Grenzen der Belastbarkeit geführt.

Genau diesen Weg habe ich mit ersten Entscheidungen zu verschiedenen Beschaffungsvorhaben eingeleitet. Weitere mittelfristige Weichenstellungen werden, wie angekündigt, im Frühjahr erfolgen. Unsere Überlegungen gehen von der Annahme aus, dass der Schwerpunkt der Aufgaben der Bundeswehr auf absehbare Zeit im multinationalen Einsatz und jenseits unserer Grenzen liegen wird. Die Verteidigung an den Grenzen unseres Landes ist glücklicherweise zu einer unwahrscheinlichen Option geworden.

Um zu verdeutlichen, worum es wirklich geht, habe ich davon gesprochen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. Deutschland ist sicherer, wenn wir zusammen mit Verbündeten und Partnern den internationalen Terrorismus dort bekämpfen, wo er zu Hause ist, auch mit militärischen Mitteln. Unsere Sicherheit wird größer, wenn sich die Bundeswehr mit Erfolg am Wiederaufbau unter demokratischen Vorzeichen auf dem Balkan und in Afghanistan beteiligt, indem sie hilft, dort das dringend benötigte sichere Umfeld zu schaffen.

Wo wären wir denn heute in Europa, wenn die Bundeswehr sich nicht über Jahre im multinationalen Verbund im kriegs- und bürgerkriegszerrissenen Südosteuropa engagiert hätte? Ein zeitgemäßes Verständnis von Sicherheit und Verteidigung hat zum Ziel, Bedrohungen und Krisen durch gemeinsames Handeln auf Distanz zu halten. Verteidigung heute umfasst mehr als Verteidigung an den Landesgrenzen, wobei Landesverteidigung grundsätzlich auch weiterhin möglich sein muss. Aber zeitgemäße Verteidigung umfasst die Verhütung von Konflikten und Krisen.

Sie umfasst die gemeinsame Bewältigung von Krisen. Sie umfasst ebenso die Krisennachsorge und die Beteiligung am Wiederaufbau und am Nation Building. Moderne Sicherheitspolitik heißt multilaterale Sicherheitsvorsorge im Rahmen der Vereinten Nationen, der Nato, der Europäischen Union und der OSZE.

Diese moderne Sicherheitspolitik lässt sich geographisch nicht eingrenzen. Denn die Risiken und Bedrohungen in der heutigen Welt kennen keine Grenzen. Sie berühren uns auch über große Entfernungen hinweg. Wir sprechen hier – mit anderen Worten – nicht über ein tagespolitisches Szenario, sondern über einen grundlegenden Wandel der sicherheitspolitischen Lage seit dem Ende des letzten Jahrhunderts. Verteidigung heute ist Wahrung unserer Sicherheit, wo immer diese gefährdet ist. Es geht darum, den Herausforderungen für die Sicherheit zu begegnen, "aus welcher Richtung diese Herausforderungen auch kommen mögen", wie es im Gipfelkommuniqué der Nato von Prag heißt. Wir müssen uns gegen äußere Bedrohungen, die, wie im Falle des internationalen Terrorismus, im Inland auftreten können, genauso wie gegen die akuten Risiken schützen können, die sich im weiteren internationalen Umfeld ergeben.

Aus diesen Gründen wird der Bundestag heute für eine Fortsetzung des Bundeswehrengagements in Afghanistan stimmen. In Afghanistan tun wir das, was der Verantwortung Deutschlands, was unseren Möglichkeiten und unseren Sicherheitsinteressen entspricht, genauso wie auf dem Balkan und am Horn von Afrika – gemeinsam mit unseren Partnern und Freunden.

Als Bundesminister der Verteidigung bin ich den Fraktionen des Hauses außer-ordentlich dankbar, dass wir dieses schwierige Mandat in Afghanistan mit einer sehr großen Zustimmung aller Fraktionen im Parlament beschließen werden. Darauf haben unsere Soldatinnen und Soldaten einen Anspruch, die eine schwierige Arbeit tun, denen ich auch von hier aus noch einmal ein frohes und gesundes Weihnachtsfest wünsche und denen ich sage: Kommen Sie alle gesund nach Hause!