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Medien ZDF-Serie „Deutscher“

Wie sich zwei Familien nach einem Wahlsieg der Rechten entfremden

Medienredakteur
Nebeneinander und doch weit weg: die Schneiders (links) und die Pielckes (rechts) vor ihren Häusern Nebeneinander und doch weit weg: die Schneiders (links) und die Pielckes (rechts) vor ihren Häusern
Nebeneinander und doch weit weg: die Schneiders (links) und die Pielckes (rechts) vor ihren Häusern
Quelle: ZDF und Martin Rottenkolber
Gerade spielt die AfD keine große Rolle, weder in der Politik noch in der öffentlichen Debatte. Eine Miniserie, die bei ZDFneo läuft, füllt das vermutlich nur vorübergehende Vakuum, das Corona gerade erzeugt.

Wäre am kommenden Wochenende Bundestagswahl, die AfD würde laut aktuellen Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute zwischen neun und elf Prozent der abgegebenen Stimmen bekommen. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl im September 2017 erhielt die Partei 12,6 Prozent, seitdem waren die Umfragewerte gestiegen, wurden in einigen Bundesländern hohe Zuwächse erzielt. Corona hat die Bedeutung der AfD, aber auch anderer Oppositionsparteien verringert, zudem konnte sich die AfD mit Antworten auf die Krise bisher nicht hervortun.

So gesehen ist der Hintergrund, vor dem sich die Miniserie „Deutscher“ abspielt, im Frühjahr 2020 unrealistisch. Da hat nämlich eine rechtspopulistische Partei die Regierung in Deutschland übernommen. Wie diese Partei heißt, wer Kanzlerin oder Kanzler ist, was die Partei genau vorhat – alles unklar. Was wir zu sehen bekommen, sind lediglich die Auswirkungen der Wahl auf den Mikrokosmos einer ruhigen Vorstadt, die ebenfalls nicht mit Namen benannt wird.

Gute Nachbarschaft? Ulrike Pielcke (Milena Dreißig, l.) und Eva Schneider (Meike Droste)
Gute Nachbarschaft? Ulrike Pielcke (Milena Dreißig, l.) und Eva Schneider (Meike Droste)
Quelle: ZDF und Martin Rottenkolber

Hier liegt die Stärke der Serie, die der Autor Stefan Rogall geschrieben und die die Produktionsfirma Bantry Bay für ZDFneo verfilmt hat. Zwei Familien, die nebeneinander wohnen, stehen im Mittelpunkt von „Deutscher“. Die Schneiders (im vom Betrachter aus linken Einfamilienhaus) lehnen die Wahl ab, Christoph (Felix Knopp) ist Lehrer, Eva (Meike Droste) arbeitet in einer Apotheke, ihr Sohn David (Paul Sundheim) ist mit Cansu (Lara Aylin Winkler) zusammen, die türkische Wurzeln hat, ihr Vater betreibt einen Burgerladen im Städtchen.

Die Pielckes wohnen daneben (und damit vom Betrachter aus gesehen rechts), vor allem Frank (Thorsten Merten), der einen kleinen Sanitär-Handwerkerbetrieb hat, begrüßt die neue Regierung, jetzt würde sich mal was verändern. Ulrike (Milena Dreißig) führt die Geschäfte und macht die Buchhaltung, vor einigen Jahren hatten sich die Pielckes schon mal finanziell übernommen, das soll kein zweites Mal passieren. Ihr Sohn Marvin (Johannes Geller) ist mit David von nebenan befreundet, die unterschiedlichen politischen Ansichten ihrer Eltern scheinen zunächst keine Rolle zu spielen.

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Doch die Wahl scheint einen Schalter umgelegt zu haben. In der Apotheke, in der Eva arbeitet, wird der mit ihr befreundete Kollege Burak (Atheer Adel), dessen Eltern aus der Türkei stammen, von einer Kundin angefeindet. In der Schule bekommen Jugendliche Oberwasser, die gegen Schüler mit Migrationshintergrund hetzen, der Sohn eines in der Stadt gut vernetzten Immobilienmaklers, der gleichzeitig Lehrling in Franks Betrieb ist, macht die Gegend unsicher und eröffnet eine Muckibude für Gleichgesinnte in der elterlichen Garage.

Die Situation spitzt sich zu, als der Burgerladen von Cansus Vater bei einem Anschlag in Flammen aufgeht, Burak und Eva von Neonazis verprügelt werden und an der Schule die Segregation eingeführt wird: Schüler mit muslimischem Hintergrund werden in gesonderte Klassen gesteckt, wogegen sich Christoph Schneider wehrt, aber mit mangelndem Rückhalt von den Kollegen.

Christoph Schneider (Felix Knopp) auf dem Schulhof
Christoph Schneider (Felix Knopp) auf dem Schulhof
Quelle: ZDF und Martin Rottenkolber

Liest man sich die Handlung durch, erscheint sie ungemein holzschnittartig. Da die Guten, hier die Bösen. Tatsächlich gelingt es den Machern der Serie und vor allem den Schauspielern, den schwarz-weißen Basisentwurf in einige notwendige graue Farbstufen aufzulösen. Christoph registriert, wie eine migrantische Gang Druck auf dem Schulhof ausübt und auch ihn aggressiv angeht. Obwohl er die Haltung seines Nachbarn Frank ablehnt, nimmt er gerne dessen Handwerkerdienste an. David und Cansu trennen sich nach dem Anschlag auf den Burgerladen. Ulrike hilft Eva, die Männer zu finden, die Burak und sie verprügelt haben. David will nicht glauben, dass Cansu mit ihren Verdächtigungen gegenüber den neuen Freunden von Marvin richtig liegt.

Am Ende gibt es freilich wenig Zweifel, auf welcher Seite die Moral und damit das Gute zu finden ist. Nur war der Weg dorthin eben nicht ganz so einfach und eindeutig. Der Verdienst, dass diese Geschichte über offen zutage tretendes Misstrauen, über Zwistigkeiten und Abneigungen nicht zu einer plumpen Erklärstunde wird, liegt bei den Schauspielern, in deren Interpretation der Hauptfiguren Zweifel, Unbehagen und Skrupel immer wieder zu spüren sind – was die Offensichtlichkeit der Geschichte an sich überlagert und damit vor einem Reinfall bewahrt.

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Die Darstellung der Veränderungen im Zwischenmenschlichen – die schleichende Entfremdung, das Aus-dem-Weg-Gehen, die kleinen Verrate – machen den Reiz an „Deutscher“ aus, die Beschreibung der Veränderungen des Mikrokosmos und die Konflikte, die komplexer sind, als es die Familienaufstellung vermuten lässt. Dagegen ist die Eskalation der Ereignisse zum Finale in der vierten und letzten Folge zwar im Sinne eines Spannungsbogens nachvollziehbar, aber eher eindimensional inszeniert.

Eine Bratwurst auf die Wahl: Frank Pielcke (Thorsten Merten) grillt an
Eine Bratwurst auf die Wahl: Frank Pielcke (Thorsten Merten) grillt an
Quelle: ZDF und Martin Rottenkolber
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Da gerade einige Beobachter geradezu schwärmen, die AfD habe sich mit Corona mehr oder weniger erledigt, sorgt „Deutscher“ in dieser schwer zu greifenden Zwischenzeit bei aller übertriebenen Fiktionalität für eine Rückkopplung zur Realität nach der Pandemie.

„Deutscher“: Miniserie bei ZDFneo. Zwei Doppelfolgen am 28. und 29. April und in der Mediathek

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