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Frau Moll, warum sind Sie Altenpflegerin geworden?

Ich wollte ursprünglich Krankenschwester, Altenpflegerin oder Pharmazeutisch-technische Assistentin, also PTA, werden. PTA ging nicht, weil sich meine Eltern die Schulkosten nicht leisten konnten. Krankenschwester hat nicht geklappt, weil die Wartelisten für einen Ausbildungsplatz damals sehr lang waren. Das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Dann habe ich ein Jahrespraktikum im Altenheim bekommen und dann wusste ich: Das ist es. Das ist mein Job.

Was hat Sie überzeugt?

Der Umgang mit den Menschen. Mir hat auch gefallen, dass die Arbeit so vielseitig und anspruchsvoll ist. Ich habe in der Ausbildung wahnsinnig viel gelernt. Von Arzneimittel- und Krankheitslehre über Anatomie und Psychologie bis zu Rechtswissenschaften und Sozialrecht. Da ist alles dabei gewesen. Man muss ja ein Staatsexamen bestehen.

Haben Sie den Beruf gern gemacht?

Oh ja, ich gehe heutzutage manchmal zwischendurch heimlich noch hin. Ich schaue im Heim vorbei, besuche die Bewohner, die ich noch kenne, und meine alten Kolleginnen und Kollegen. Und da packe ich schon auch mal mit an, so wie das übrigens viele Angehörige und Freunde machen.

Schmerzt Sie, wie die Pflege jetzt dasteht?

Ja. Aber den Pflegenotstand, also dass zu wenige Menschen als Pflegerin oder Pfleger arbeiten möchten, gibt es ja nicht erst seit kurzem. Durch Corona ist das Thema nur nochmal hochgekocht. Ich glaube, ich habe 2001 das erste Mal gegen den Pflegenotstand demonstriert. Damals war das noch kein Thema in der Politik und im gesellschaftlichen Leben.

Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Ich komme aus einem politischen Elternhaus. Bei uns wurde täglich über Politik gesprochen. Bevor ich 2017 in den Bundestag gegangen bin, war ich schon lange in der Kommunalpolitik tätig. Und da ich fast 30 Jahre in der Pflege tätig war, liegt ja auf der Hand, dass ich mich dafür stark mache.

Jeder schätzt die Pflege, wenn er selbst darauf angewiesen ist. Aber der Beruf hat dennoch keinen guten Ruf. Wie kommt das?

Das hängt auch damit zusammen, dass in den Medien hauptsächlich über das Negative berichtet wird. Das ist ein Schlag für diejenigen, die jeden Morgen hochmotiviert aufstehen und ihre Arbeit vernünftig machen. Ich habe persönlich in den ganzen Jahren keine Missstände erlebt. Mich ärgert es, dass so selten über Einrichtungen berichtet wird, in denen es gut läuft, in denen die Mitarbeiter jahrelang zufrieden arbeiten. Das gibt es auch, oft sogar, aber es wird kaum gezeigt. Kein Wunder, dass sich dann so wenig Berufseinsteiger entscheiden, in die Pflege zu gehen.

Kommentar: Verhinderter Traumberuf

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Es gibt einen extremen Fach- und Hilfskräftemangel. Wie kommen wir raus aus der Misere?

Wir müssen damit aufhören, die Pflege schlecht zu reden. Ein gutes Zeichen: Die Zahl der Auszubildenden steigt seit ein paar Jahren. Ich hoffe, dass alle bei der Stange bleiben und nicht abbrechen. Ich weiß: Das ist eine anspruchsvolle Ausbildung. Auch ich habe als Anfängerin damals so manche Träne vergossen. „Durchhalten. Lehrjahre sind keine Herrenjahre hat meine Mutter damals gesagt.“ Aber was natürlich nicht passieren darf ist, dass Auszubildende verheizt werden.

Claudia Moll (SPD) ist Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Claudia Moll (SPD) ist Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung

Wie kann man das verhindern?

Es ist wichtig, allgemein bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege zu schaffen. Deshalb habe ich das Projekt „Gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zur Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf – kurz GAP“ übernommen und betreibe es engagiert weiter. Coaches gehen in Pflegeeinrichtungen vor Ort, schauen sich die Organisation und Arbeitsweise an und geben konkrete Unterstützung. Zum Beispiel wie man Dienstpläne besser organisiert oder Teambesprechungen einführt.

Meinen Sie wirklich, dass das reicht? Einer Umfrage zufolge will ein Drittel der Beschäftigten in der Pflege kündigen.

Nein, das reicht natürlich nicht. Wir brauchen in allen Bereichen mehr Personal. Die Weichen dafür sind gestellt. Schon die alte Bundesregierung hat den Weg dafür freigemacht, dass neue Stellen in der Pflege finanziert werden. Aber derzeit fehlen einfach die Arbeitskräfte. Und nur durch gute Bedingungen vor Ort in den Einrichtungen schaffen wir, dass die Beschäftigten in der Pflege bleiben und dass neue hinzukommen.

Was wollen Sie noch ändern, damit das passiert?

Die Bezahlung muss besser werden. Auch da ist schon was geschehen. Ab September bekommen die Einrichtungen nur noch Geld aus der Pflegekasse, wenn Sie ihre Mitarbeiter nach Tarif bezahlen. Das bedeutet für viele Beschäftigte ein Gehaltssprung.

Die Gesellschaft wird immer älter. Und immer mehr Menschen sind im Alter auf Unterstützung angewiesen. Können Sie sich vorstellen, ein verpflichtendes soziales Jahr für alle einzuführen, um mehr helfende Hände für die alten Menschen zu haben?

Ich setze beim Engagement für die Gesellschaft eher auf Freiwilligkeit. Ich bin ein großer Fan vom Bundesfreiwilligendienst. Sich für andere einzusetzen, kommt offenbar auch bei den jungen Leuten gut an: Derzeit gibt es mehr Bewerber und Bewerberinnen als Stellen für „Bufdis“. Meine Tochter hat das auch gemacht. Sie ist nach dem Abi – zunächst Zähne knirschend – zur Feuerwehr gegangen, weil ich zu ihr gesagt habe: Nur chillen läuft nicht. Hinterher war sie begeistert. Viele empfinden das Jahr als persönlich bereichernd, und im Lebenslauf macht es sich übrigens auch gut.

Essen reichen, waschen, ein paar Worte reden. Dafür fehlt dem Pflegepersonal oft die Zeit. Sollen Angehörige da mithelfen?

Nicht jeder kann oder will das. Das muss man akzeptieren. Ich selbst spüre eine moralische Verpflichtung, mich um meine Liebsten zu kümmern und auch mit anzupacken. Ich könnte mich nicht nur daneben setzen.

Viele haben Angst, pflegebedürftig zu werden. Auch weil gute Pflege viel Geld kostet. Wie können Sie ihnen die Angst nehmen?

Jeder von uns kann pflegebedürftig werden. Für viele, gerade auch für junge Familien, in denen der Vater oder die Mutter plötzlich von einem Tag auf den anderen ausfällt, ist das eine existentielle Bedrohung. Mir ist klar, dass nicht jeder die Pflege privat absichern kann. Es gibt politisch also viel zu tun, und eine Pflegereform wird zeitnah kommen. Aber bange machen gilt nicht: Die Pflege ist sicher.

Angenommen, Sie suchen ein gutes Heim für Ihre Mutter. Wie würden Sie da vorgehen?

Ich würde direkt in die Einrichtungen gehen, die infrage kommen. Mich in der Lobby umsehen, mit den Leuten an der Pforte sprechen. Wie riecht es dort? Kommen viele Leute zu Besuch? Lebensqualität in einem Heim ist schwer zu fassen. Die neue Qualitätsdarstellung ist ein echter Fortschritt, aber es bleibt schwierig, das Gesamtpaket abzubilden. Das Internet kann wertvolle Hinweise liefern, aber allein darauf sollte man sich nicht verlassen.

In der Coronakrise haben sich Dramen abgespielt in den Heimen. Für manchen waren die Besuchsverbote schlimmer als die Vorstellung, an Corona zu sterben. Wird sich so eine Situation wiederholen?

Wir haben heute genug Instrumente zur Hand, das zu verhindern, Hygienemaßnahmen zum Beispiel. Und natürlich Impfungen. Allen muss klar sein, dass Einschränkungen von Besuchen auch in einer Pandemie nur das allerletzte Mittel sein können.

Der wahre Pflegenotstand spielt sich woanders ab: Fast 80 Prozent der Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt. Wie wollen Sie den Menschen, die diese Aufgabe Tag für Tag machen, helfen?

Eines meiner Herzensanliegen ist, für weniger Bürokratie zu sorgen. Viele Pflegende wissen gar nicht, was ihnen zusteht oder wie sie einen Widerspruch schreiben, etwa wenn der Pflegegrad nicht von der Kasse bewilligt worden ist. Sie verzweifeln schon, wenn sie einen Antrag ausfüllen müssen.

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Wer hilft da? Brauchen wir eine bessere Pflegeberatung?

Ja, viele Menschen müssen an die Hand genommen werden. Die Krankenkassen bieten zwar eine tolle Beratung, aber wir brauchen ein dichteres, flächendeckenderes Netz an qualitätssicherer, unabhängiger Beratung. Meine Eltern zum Beispiel haben gar kein Internet. Für sie wäre ein persönlicher Ansprechpartner, etwa in einem Familienzentrum vor Ort ideal, der ihnen bei allen Fragen rund um die Pflege zur Seite steht.

Sorgearbeit übernehmen vor allem Frauen. Das schlägt sich auch auf ihre Rente nieder. Was ist mit der im Koalitionsvertrag versprochenen Lohnersatzleistung für pflegebedingte Auszeiten?

Es muss eine bessere Absicherung für pflegebedingte Auszeiten geben. Nur wie finanzieren wir das? Da gehen wir jetzt in die Diskussion.

Was wünschen Sie sich für die Pflege?

Mehr positive Berichterstattung. Viele leisten jeden Tag tolle Arbeit. Was auch zur Wahrheit gehört: Wir haben ein ganz tolles Gesundheitssystem, darum beneidet uns manches Land. Aber besser geht natürlich immer.