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Corona-Pandemie: Sind Schulen doch Treiber des Infektionsgeschehens?


Sind Schulen doch Infektionstreiber?


Aktualisiert am 12.11.2020Lesedauer: 7 Min.
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Schüler mit Masken: Seit den Sommerferien gibt es wieder Präsenzunterricht in Deutschland. Unklar ist, wie gefährlich das für Schüler und Lehrer sein könnte.Vergrößern des Bildes
Schüler mit Masken: Seit den Sommerferien gibt es wieder Präsenzunterricht in Deutschland. Unklar ist, wie gefährlich das für Schüler und Lehrer sein könnte. (Quelle: Action Pictures/imago-images-bilder)

Mehr als 300.000 Schüler sollen momentan in Quarantäne sein. Immer mehr Schulen müssen wegen Infektionsfällen schließen. Welche Rolle spielt der Schulbetrieb als Treiber der Corona-Pandemie wirklich?

Monatelang waren die Schulen in Deutschland wegen der Corona-Pandemie geschlossen, Kinder wurden zu Hause unterrichtet, Sommerferien verlängert. Seit einiger Zeit findet jedoch wieder Präsenzunterricht statt, teilweise mit einer generellen Maskenpflicht.

Trotzdem sollen nach Angaben des Deutschen Lehrerverbandes in der "Bild"-Zeitung mehr als 300.000 Schüler und rund 30.000 Lehrer aktuell in Quarantäne sein. Von den insgesamt rund 40.000 Schulen in Deutschland haben laut einem Bericht in den Zeitungen der Funke Mediengruppe bundesweit bereits mindestens 3.240 den Regelbetrieb aufgegeben. Was steht den etwa elf Millionen Schülern und rund 800.000 Lehrern an Deutschlands Schulen im Corona-Winter bevor?

Welche Rolle spielen Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus?

Seit Beginn der Pandemie wird darüber diskutiert, ob Kinder möglicherweise weniger infektiös sind als Erwachsene und Schulen deshalb keine relevanten Treiber der Pandemie sein könnten. Doch mittlerweile mehren sich Hinweise, dass auch Schulen eine Schlüsselrolle bei der Verbreitung des Virus spielen könnten.

So erklärt die australische Epidemiologin Zoë Hyde auf Anfrage von t-online, dass der Teil-Lockdown in Deutschland zwar voraussichtlich die Infektionszahlen eindämmen könne. Es sei aber unwahrscheinlich, dass er "maximal wirksam" ist, wenn Schulen und Kindertagesstätten geöffnet bleiben.

Die Forscherin vom Western Australian Centre for Health and Ageing verweist auch auf eine Studie, in der die Wiedereröffnung von Schulen in 131 Ländern untersucht wurde. Demnach war die Öffnung der Schulen mit dem zweitgrößten Anstieg des R-Wertes verbunden. "Dies deutet darauf hin, dass Schulen eine Rolle bei der Bekämpfung der Pandemie spielen und nicht übersehen werden dürfen", betont Hyde.

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Kinder könnten genauso ansteckend sein wie Erwachsene

Kinder würden weitaus seltener schwer krank als Erwachsene, meint Hyde. Sie warnt aber: "Kinder im hohen Schulalter scheinen genauso ansteckend zu sein wie Erwachsene. Jüngere Kinder sind möglicherweise etwas weniger ansteckend." Hydes Schlussfolgerung: Es bleibe unmöglich, die Pandemie zu kontrollieren, wenn die Rolle der Kinder nicht berücksichtigt wird.

Diese Meinung vertritt auch Lothar Wieler, Chef des Robert Koch-Instituts: "Wir wissen, dass Kinder ab der Pubertät genauso viel Virus ausscheiden können, wie Erwachsene", sagte Wieler bei einer Pressekonferenz des RKI am 12. November. Er könne nur an die Schulen appellieren, dass sie ihre Hygienekonzepte konsequent durchziehen. Auch Schüler würden erwarten, dass sie durchgesetzt werden.

In eine andere Richtung weist eine repräsentative Untersuchung von deutschen Wissenschaftlern um die Virologin Sandra Ciesek. Die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt und ihre Forscherkollegen hatten über mehrere Wochen die Abstriche von 825 Kindern in Kindertagesstätten und 372 Mitarbeitern in Hessen untersucht.

Ergebnis: Nur zwei Probanden wurden positiv getestet – zwei Erzieherinnen. Bei den Kindern fand sich in der Studie mit dem Titel "Safe Kids" kein einziger positiver Test. "In den zwölf Wochen Beobachtungszeitraum hat sich wohl keines der mehr als 800 untersuchten Kinder infiziert", sagte Studienleiterin Ciesek der "Zeit". Die Wahrscheinlichkeit scheine also extrem gering zu sein, dass sich Kinder anstecken.

Wie sicher sind die Schulen?

Zwar werden derzeit keine genauen Zahlen zum Infektionsgeschehen an Schulen veröffentlicht, aber das Robert Koch-Institut weist in seinem aktuellen Lagebericht vom 10. November darauf hin, dass es zunehmend auch Infektionen in "Gemeinschaftseinrichtungen" gibt. In einer Grafik zur Altersverteilung wird deutlich, dass in den vergangenen Wochen auch die Infektionszahlen bei den Jüngsten gestiegen sind. Unklar bleibt, ob sie sich in den Kitas und Schulen oder im privaten Umfeld infiziert haben.

Der "Tagesspiegel" berichtet, dass bei sieben der 15 Stadt- und Landkreise mit den höchsten Infektionsraten auch Ausbrüche an Schulen in Zusammenhang mit den steigenden Zahlen genannt werden. Als Beispiele führt die Zeitung unter anderem die Landkreise Rosenheim oder Hagen an.

Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, erklärt auf Anfrage von t-online, dass für die Schulen im Teil-Lockdown andere Maßnahmen gelten als im "sonstigen gesellschaftlichen Leben". "Von der AHA-Regel bleibt im Klassenraum oft nur die Händehygiene übrig und statt zwei Haushalten treffen sich dort bis zu 30 Haushalte. Zudem werden in fast allen Bundesländern die vom Robert Koch-Institut empfohlenen Hygienestufenpläne nicht mehr umgesetzt. Konkret heißt das, dass bei einem erhöhten oder sogar explosionsartig ansteigenden Infektionsgeschehen in der jeweiligen Region an den Schulen alles so weiter läuft wie bisher", betont er.

Es werde nur noch mit Quarantäneschutzmaßnahmen reagiert, wenn Infektionen an Schulen selbst auftreten. "Von Sicherheit oder angemessenem Gesundheitsschutz kann man da nicht mehr sprechen. An den Schulen wird gerade das Prinzip der Vorsorge und Vorsicht ersetzt durch das Prinzip der Nachsorge. Man behandelt die Kranken, schützt aber nicht mehr die Gesunden und Gefährdeten. Es sieht fast so aus, als hätte man es aufgegeben, an Schulen Infektionsausbrüche zu vermeiden und kontrollierbar zu halten."

Bildung und Gesundheitsschutz sind wichtig

Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), betont im Gespräch mit t-online, die Situation sei an den einzelnen Schulstandorten unterschiedlich.

Tepe kritisiert, dass die RKI-Vorgaben, ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner die AHA-L-Regeln einzuhalten, nicht überall umgesetzt würden. "Das bedeutet beispielsweise, dass die Gruppen geteilt werden müssen, um die Abstände einhalten zu können." Mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen müssten jetzt Gesundheit und Sicherheit vorgehen. "Das ist auch die Erwartung, die die meisten Eltern und Lehrkräfte haben."

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Ein wichtiger Punkt ist für die GEW-Vorsitzende der Umgang mit Infizierten an Schulen: Es sei völlig unergründlich, dass es Fälle gibt, in denen nur die Sitznachbarn infizierter Kinder oder Jugendlicher informiert und in Quarantäne geschickt werden. "Warum bilden wir Kohorten, wenn wir nicht sicherstellen, dass im Infektionsfall die gesamte Schulklasse in Quarantäne geht und getestet wird? Oder dass zumindest die Lehrkräfte getestet werden, die in mehreren Kohorten unterrichten. Das ist für mich unverständlich – das finde ich verantwortungslos."

Welche Corona-Maßnahmen sind an den Schulen nötig?

Die Epidemiologin Hyde rät zu zusätzlichen Maßnahmen, wenn die Schulen geöffnet bleiben sollen. "Dies muss mindestens die Verwendung von Gesichtsmasken durch Mitarbeiter und Schüler (einschließlich Grundschüler), die Verbesserung der Belüftung, der Händehygiene und die Reduzierung der Klassengröße umfassen."

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Auch dem Deutschen Lehrerverband gehen die Corona-Maßnahmen an den Schulen nicht weit genug. Zu t-online sagte Heinz-Peter Meidinger: "Ich halte vollständigen Präsenzunterricht dann für verantwortungslos, wenn in der jeweiligen Region die Infiziertenzahlen durch die Decke gehen und gleichzeitig an der Schule kein ausreichender Gesundheitsschutz geboten wird, also keine Abstandswahrung im Klassenzimmer und beispielsweise keine Raumluftfilteranlagen vorhanden sind, obwohl keine ausreichende Querlüftung möglich ist."

Meidinger schlägt deshalb vor, "in einer Reihe von Kommunen und Regionen vorübergehend wieder in den Hybridunterricht zu gehen, also die Lerngruppen zu halbieren, um Abstand wahren zu können. Wenn sich die Politik dagegen sperrt, nimmt sie in Kauf, dass das Infektionsgeschehen an Schulen in einigen Gegenden völlig unkontrollierbar wird und vollständige Schulschließungen drohen."

Maskenpflicht auch an Grundschulen gefordert

Auch knapp die Hälfte der Deutschen spricht sich für eine deutschlandweite Maskenpflicht an Grundschulen aus. Bei einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen YouGov-Umfrage stimmten 48 Prozent der Befragten dafür. 37 Prozent waren dagegen.

Marlis Tepe sieht ein weiteres Problem – man könne nicht einschätzen, wie hoch die Zahl der infizierten Kinder und Lehrer an den Schulen ist: "Diese Daten müssen erhoben und offengelegt werden, damit die Gesellschaft einschätzen kann, wie die Lage ist."

Tepe sieht an dieser Stelle zum einen die Kultusministerien, zum anderen die Gesundheitsämter in der Verantwortung. "Das Problem ist aber, dass die Gesundheitsämter insbesondere in den Stadtstaaten und großen Städten nicht für eine Schule, sondern für die Kinder nach Wohnort zuständig sind", erklärt sie. Eine Schule habe mit diversen Gesundheitsämtern zu tun, je nachdem woher die Schüler kommen. "Das ist für Schulleitungen eine Zumutung und nicht leistbar, mit allen möglichen Gesundheitsämtern kommunizieren zu müssen, wenn einzelne Kinder infiziert sind."

Um die Klassen überhaupt aufteilen zu können, schlägt Tepe vor, auch nach alternativen Räumlichkeiten zu suchen. "Das wird in den Stadtstaaten schwieriger, auf dem Land einfacher sein. Das sind Belastungen, die zusätzlich entstehen, aber sie bieten mehr Sicherheit." Um die aufgeteilten Klassen schließlich auch unterrichten zu können, werde mehr Personal benötigt.

Sollten Schulen wieder generell geschlossen werden?

Bei dieser Frage spielen auch Studienergebnisse wie die der Untersuchung von Sandra Ciesek eine Rolle. Überraschend ist, dass die meisten Infektionskrankheiten wie Erkältungen oder die saisonale Grippe sich sehr schnell in Kitas und Schulen verbreiten. "Ausgerechnet bei SARS-CoV-2 scheint das aber nicht so zu sein", wird Ciesek zitiert. Ciesek empfiehlt das Risiko abzuwägen: "Wenn die Zahlen nicht bald zurückgehen, würde ich empfehlen, zunächst die Oberstufenschüler zum Homeschooling zu schicken. Denn das Alter spielt eine große Rolle dabei, ob jemand das Virus verbreitet."

Vollständige Schulschließungen sieht auch Marlis Tepe als letzten Ausweg: "Teilschließungen müssen als Zwischenlösung möglich sein." Klassen zu halbieren und Abstände einzuhalten, seien die wichtigsten Schritte, um eine völlige Schließung zu verhindern.

Und auch Meidinger betont, niemand wolle neue Schulschließungen. "Wir haben ja gesehen, welche negativen Auswirkungen Schulschließungen haben, angefangen von abgehängten Schülergruppen, über mangelnde Lernerfolge, den Verlust eines geordneten Tagesablaufs bis hin zu den psychologischen und sozialen Schäden." Er habe aber den Eindruck, "dass sich die Politik täuscht, wenn sie glaubt, dass die übergroße Mehrheit der Eltern will, dass Schulen auf Biegen und Brechen offen gehalten werden sollen", so Meidinger.

Welche Pläne gibt es in der Politik?

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat für eine allgemeine Maskenpflicht im Unterricht an allen Schulen plädiert. Diese Maßnahme halte sie in der aktuellen Phase hoher Infektionszahlen für "zumutbar", auch an den Grundschulen, sagte Karliczek der Düsseldorfer "Rheinischen Post".

Karliczek schlug vor, dass Schulen auf andere Räume, etwa in Pfarrzentren und Museen, ausweichen, um mehr physischen Abstand zu erreichen. Flexibilität forderte die Ministerin auch beim Lüften in Klassenräumen: "Regelmäßiges Stoßlüften hilft, auch wenn es mal kalt wird in den Räumen."

Weihnachtsferien könnten früher starten

In NRW ist es bereits beschlossen: Dort endet der Präsenzunterricht vor Weihnachten dieses Jahr früher als eigentlich geplant. Letzter Schultag soll demnach der 18. und nicht der 22. Dezember sein.

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich offen für einen früheren Start der bundesweiten Weihnachtsferien wegen der Corona-Pandemie gezeigt. "Das ist sicherlich ein Teil der Debatte, auch für Montag oder auch für die Folgewochen", sagte Spahn den Fernsehsendern RTL und n-tv mit Blick auf die Corona-Beratungen von Bund und Ländern am kommenden Montag.

Ein Thema bei den Beratungen wird laut Spahn auch eine Ausweitung der Maskenpflicht an Schulen sein. Er zeigte sich offen für den Vorschlag von Anja Karliczek. "Die Alternative ist in vielen Regionen, die Schulen zu schließen – und ich bin sehr sicher, wenn die Wahl ist Maske tragen oder keine Schule, dann lieber Maske tragen", sagte Spahn.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Robert Koch-Institut: Situationsbericht 10. November 2020
  • Die Zeit: "Studie: Wahrscheinlichkeit, dass sich Kinder in der Kita anstecken, scheint "extrem gering"", 4. November 2020
  • Bild: "Jetzt kommt der Salami-Lockdown an den Schulen", 10. November 2020
  • Tagesspiegel: "Schulen könnten bei Corona-Übertragung größere Rolle spielen als gedacht", 11. November 2020
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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