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Digitale Pandemiebekämpfung Oberster Datenschützer will Corona-Warn-App »die Fesseln abstreifen«

Datenschützer wie Ulrich Kelber machen sich für die Warn-App des Bundes stark. Für Restaurants und Geschäfte schlägt Kelber Check-ins ohne Namensangabe vor, als Alternative zur umstrittenen App Luca.
Corona-Warn-App: Ihre Bedeutung könnte noch steigen, wenn es nach Datenschützern geht

Corona-Warn-App: Ihre Bedeutung könnte noch steigen, wenn es nach Datenschützern geht

Foto: Rüdiger Wölk / imago images

Diesen Vorstoß werden Entwickler von Apps wie Luca genau beobachten: Wichtige Datenschützer empfehlen den Bundesländern, die Corona-Warn-App offiziell für die Kontaktverfolgung in Restaurants, Geschäften und bei Events freizugeben. Die Anwendung des Bundes könnte mit ihren rund 27 Millionen Downloads schnell zum Platzhirsch auf dem hart umkämpften Markt der Check-in-Apps werden.

Auf die Empfehlung haben sich die Teilnehmer der Konferenz der unabhängigen Datenschutzaufsichtsbehörden des Bundes und der Länder am Donnerstagabend geeinigt. »Man muss die Fesseln der Corona-Warn-App abstreifen«, sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber im Gespräch mit dem SPIEGEL. »Eine Fessel ist, dass sie derzeit nicht offiziell zur Kontakterfassung an Orten wie Restaurants eingesetzt werden kann.«

Der Grund: Die Corona-Warn-App erfasst Nutzer lediglich pseudonym, ihre Namen oder Telefonnummern bleiben unbekannt. Die Infektionsschutzgesetze der Länder schreiben aber vor, dass Namen und Telefonnummern etwa von Restaurantbesuchern erfasst werden müssen. Diese Aufgabe übernehmen derzeit zahlreiche Privatanbieter-Apps wie Darfichrein, Recover und Intrada sowie der von der Politik bislang am stärksten unterstützte Vertreter dieses Bereichs, Luca. Alle diese Anwendungen buhlen derzeit um die Gunst der Länder.

Ulrich Kelber sieht die Bundes-App im Vorteil. »Die Corona-Warn-App warnt in dem Augenblick, wenn die Nutzenden ihr Testergebnis teilen«, sagt Deutschlands oberster Datenschützer. Die Schnelligkeit der App entlaste die Behörden, da Kontakte automatisch gewarnt und nicht erst angerufen werden müssten. »Die Gesundheitsämter sind überlastet.« Es bringe nichts, wenn man drei Wochen später erfährt, dass man vor zwei Wochen in Quarantäne hätte gehen müssen. »Ich empfehle den Gesetzgebern, die Corona-Warn-App zur Kontakterfassung in Restaurants und bei Veranstaltungen zuzulassen«, sagt Kelber.

Auf seiner Website heißt es am Freitag : »Die Bundesländer sollten ihre Verordnungen so öffnen, dass auch ein pseudonymes digitales Einchecken rechtlich möglich ist.«

Risiko bei Infizierten ohne Warn-App

Mit Version 2.0 der Corona-Warn-App haben die Entwickler kürzlich die bereits im September geplante Cluster-Erfassung eingeführt. Das heißt, technisch ist die App in der Lage, die Besucher von Events über QR-Code-Scans zu erfassen und im Nachhinein auch mutmaßliche Kontaktpersonen Infizierter zu warnen, die sich zur gleichen Uhrzeit am gleichen Ort aufgehalten haben.

Das klappt allerdings nicht, wenn eine infizierte Person die Corona-Warn-App nicht auf ihrem Smartphone installiert hat. Dies sei eine Schwäche des Systems, sagt Kelber, die man vielleicht per »Broadcast« in einer kommenden App-Version nachbessern könne. Er meint damit eine Art Nachmeldung an Nutzer der App, nach dem Motto: Bei einem Event mit folgendem QR-Code war zu einem bestimmten Zeitpunkt eine infizierte Person, die sich in eine Liste eingetragen, aber keine Warn-App benutzt hat, unterwegs – es könnte daher ein Infektionsrisiko gegeben haben.

Auch die Entwickler privater Kontaktverfolgungs-Apps verweisen auf jenes Problem, durch das manche Infektionsfälle durchs Raster fallen könnten. »Ich will auch über ein Risiko informiert werden, wenn ich kein Smartphone habe«, sagt Luca-Chef Patrick Hennig dem SPIEGEL. Seine App, die der Rapper Smudo bewirbt, wird mittlerweile von zahlreichen Bundesländern unterstützt, von vielen IT-Experten aber nach wie vor massiv kritisiert.

Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne er die Forderung der Datenschützer verstehen, die Namen und Nummern nicht mehr zu erfassen, sagt Hennig. »Aber dann würde die wichtige Arbeit von Tausenden Mitarbeitern in den Gesundheitsämtern wegfallen.« Nicht jeder wolle schließlich selbst seine Corona-Infektion der App melden.

»Schneller als über die Gesundheitsämter informiert«

In einer »Entschließung« der Datenschützer-Konferenz  wird betont, die Corona-Warn-App könne auch ohne personenbezogene Daten, die später an ein Gesundheitsamt übermittelt werden können, »einen erheblichen Beitrag zur Unterbrechung von Infektionsketten leisten«: »Durch die unmittelbare Vernetzung der Nutzenden der Corona-Warn-App werden Personen, die einem potenziellen Infektionsrisiko ausgesetzt waren, unmittelbar und somit schneller als über die Gesundheitsämter informiert.«

Luca-Chef Hennig sagt dem SPIEGEL, sollten die Regeln der Länder gelockert werden, könne sich auch Luca den neuen Vorgaben anpassen. »Wenn wir bei Luca auf die Kontaktdaten verzichten würden, dann hätten wir immer noch den Rückkanal zu den Gesundheitsämtern«, sagt er. »Damit können durch das Gesundheitsamt auch Restaurantgäste informiert werden, die keine Corona-Warn-App haben.« Eine Konkurrenz sehe er zwischen den beiden Anwendungen ohnehin nicht, so Hennig: »Corona-Warn-App und Luca sind sehr sinnvolle Tools, die sich ergänzen müssen.«

Ulrich Kelber sieht das ähnlich. »Es hilft nicht, wenn wir uns auf eine Anwendung festlegen«, sagt er. Einen Vorteil einer dezentralen Datenspeicherung wie bei der Corona-Warn-App sehen er und die anderen Datenschützer aber auch darin, dass bei solchen Apps keine Kontaktdaten verschlüsselt und vor dem Zugriff von Dritten abgeschirmt werden müssen. Sie werden schließlich einfach nicht erfasst.