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Schöne Erholung – Neues aus der Schlafforschung (01/2016)

Späterer Schulanfang, wachere Kinder

Text: Christoph Dieffenbacher

Kinder und Jugendliche wissen es längst: Wenn die Schule morgens später beginnt, fühlen sie sich ausgeschlafener und fitter. Schon eine kleine Verschiebung des Unterrichtsbeginns macht einen Unterschied, wie Psychologen der Universität Basel herausgefunden haben. Ihre Erkenntnis hatte Folgen.

Wenn die Schulglocken am Morgen nur 20 Minuten später läuten, wirkt sich das bereits auf die Schlafdauer und die Tagesform von Jugendlichen aus, berichtete das Team von Entwicklungspsychologen um Prof. Sakari Lemola vor gut drei Jahren. Sie hatten über 2700 Teenager zwischen 13 und 18 Jahren befragt und kamen zum Schluss: Schülerinnen und Schüler, deren Unterricht um 8 Uhr anfängt, schlafen rund 15 Minuten länger und sind tagsüber wacher als jene, die bereits um 7.40 Uhr im Klassenzimmer sitzen müssen.

Dass sich die Schlafgewohnheiten im Jugendalter verändern, ist bekannt. Kinder sind noch eher Frühaufsteher, Jugendliche aber haben am Morgen oft Mühe, aufzustehen, und werden abends erst spät müde. Während sich ihre Einschlafphase deutlich in die Nacht hinein verschiebt, bleibt ihr Schlafbedürfnis unverändert: Es liegt bei ungefähr 8,5 bis 9,25 Stunden pro Nacht und ist damit noch ähnlich wie bei Zehnjährigen. So leiden viele Teenager während der Schulzeit unter einem Schlafdefizit, das ihre Konzentrationsfähigkeit und damit ihre Schulleistungen und ihr Wohlbefinden beeinträchtigt.

Vergleich zwischen Schulhäusern

Das Psychologenteam der Universität Basel hatte in den damaligen Weiterbildungsschulen (WBS, heute Sekundarschule) in Basel-Stadt Fragen rund um den Schlaf gestellt – wie etwa: «Wann gehst du ins Bett? Wann stehst du auf? Wie sieht das an den Wochentagen aus und wie am Wochenende? Wie fühlst du dich tagsüber?» Dabei begann in einem der sechs untersuchten Schulhäuser der Unterricht morgens 20 Minuten später, weil es dort häufiger Blockunterricht gab. So war für die Forschenden ein direkter Vergleich möglich, der zwischen den verschiedenen Schulzeiten statistisch eindeutig ausfiel.

Die Basler Studie, die erste ihrer Art in Europa, löste ein grosses Echo aus, nachdem Wissenschaftler in den USA bereits zuvor auf ähnliche Ergebnisse gekommen waren. Der Befund, dass eine eher kleine Verschiebung der Schulanfangszeit eine deutliche Verbesserung bringt, habe ihn zunächst überrascht, sagt heute Lemola, inzwischen Assistenzprofessor an der britischen Universität Warwick und Lehrbeauftragter an der Universität Basel. Er war davon ausgegangen, dass die paar Minuten Verzögerung keine grosse Rolle spielen.

Modell macht Schule

Die Forschenden setzten sich mit Behördenvertretern zusammen – was konkrete Folgen hatte: Seit dem Schuljahr 2015/16 beginnt in Basel-Stadt von der 1. bis zur 9. Klasse die Schule einheitlich um 8 Uhr. Dieses Modell macht inzwischen auch anderswo Schule. Es wird derzeit etwa in den Kantonen Bern und Zürich diskutiert, aber auch in Deutschland. Immer wieder erhalte er zu diesem Thema Anfragen aus dem In- und Ausland, berichtet Lemola.

Um die positiven Auswirkungen des längeren Ausschlafens noch zu verstärken, gibt es bereits weitergehende Forderungen, etwa für einen Schulanfang um 9 Uhr. Dabei würden aber nicht nur die Pausen zu kurz kommen, sondern auch das Unterrichtsprogramm selbst. Es sei denn, der Schulbetrieb würde in den Abend hinein verlegt – was sich wiederum schlecht mit Freizeitaktivitäten wie Sport und Musikunterricht oder dem abendlichen Familientisch vertragen würde. Für Lemola wäre aber ein Schulbeginn von 8.15 Uhr, der sich über den Tag mit kürzeren Pausen- und Mittagszeiten auffangen liesse, «ein vertretbarer Kompromiss».

Von Früh- zu Spätaufstehern

Je älter Kinder werden, desto mehr verschiebt sich also ihr Rhythmus in Richtung langer Morgenschlaf. Dass sie sich in der Pubertät zu Abendtypen und Morgenmuffeln verwandeln, liege zum einen an den komplexen biologischen Veränderungen, sagt Lemola. Über die genauen Mechanismen dieses Wechsels im Schlaf-Wach-Rhythmus wird allerdings immer noch geforscht. Diese Verschiebung der Schlafgewohnheiten, die bis zum Alter von etwa 20 Jahren dauert, sei nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Kulturen festzustellen, so der Forscher. Als Erwachsener findet der Mensch wieder zum Rhythmus des Kinds zurück und wird wieder zum Morgentyp.

Zum andern spielt laut Lemola ein weiterer Faktor mit, den die Fachleute mit dem Begriff Schlafhygiene umschreiben. Damit sind die Lebensgewohnheiten und das Verhalten gemeint, die den Schlaf beeinflussen. Der Psychologe hebt dabei die spätabendliche Beschäftigung mit Laptops, Tablets und Smartphones hervor, die klar mit kürzerer Schlafdauer und häufigeren Schlafproblemen zusammenhängt. Eine weitere Studie ergab auch, dass Jugendliche, die weniger lang schlafen und mehr Schlafprobleme haben, häufiger unter depressiven und ADHS-Symptomen leiden.

Schlafen ist damit auch eine Frage der Zivilisation: Der Psychologe erzählt von Studien, wonach brasilianische Kinder aus Dörfern, die noch nicht ans Stromnetz angeschlossen waren, über eine Stunde länger schlafen als solche aus Gebieten, die bereits mit Elektrizität versorgt waren. Das lässt sich nachvollziehen und passt gut zu den Befunden, dass die Menschen in Europa vor 100 Jahren – also vor der flächendeckenden Elektrifizierung der Haushalte – durchschnittlich über eine Stunde pro Nacht länger geschlafen haben als heute.


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