Patentschutz aufweichen  Zwangslizenzen vergeben  um die Produktion von Corona-Impfstoffen zu beschleunigen? Das ist keine Lösung. Foto: ©iStock.com/RossHelen
Patentschutz aufweichen Zwangslizenzen vergeben um die Produktion von Corona-Impfstoffen zu beschleunigen? Das ist keine Lösung. Foto: ©iStock.com/RossHelen

Pharma-Patente: Forschungsanreiz, Innovationsmotor

Man weiche den Patentschutz auf, vergebe zumindest Zwangslizenzen – und schon könnten mehr Firmen in die Produktion sowie Verteilung der Corona-Impfstoffe einsteigen und das Ganze beschleunigen. Klingt nach einer einfachen Lösung – oder nicht?

Es ist nicht einmal ein Jahr her, da hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Pandemie ausgerufen: Wer hätte damals gedacht, dass in so kurzer Zeit mehrere Corona-Impfstoffe in der Europäischen Union (EU) zugelassen sind? Dass sie schon jetzt vielfach produziert werden und Menschen weltweit eine Vakzinierung erhalten? „Wir bekommen Corona wahrscheinlich so schnell unter Kontrolle wie nie zuvor eine Pandemie in der Menschheitsgeschichte“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Impfstoffe: Entscheidend für die Überwindung der Pandemie. Foto: ©iStock.com/Jatuporn Tansirimas
Impfstoffe: Entscheidend für die Überwindung der Pandemie. Foto: ©iStock.com/Jatuporn Tansirimas

Dr. Rolf Hömke vom Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) sagte in einem Podcast der Frankfurter Allgemeinen (FAZ): „Wir alle wissen, dass Impfstoffe die entscheidende Sache sind, um diese Pandemie zu überwinden“. Dass die Ungeduld groß ist, ist also verständlich. Schuldige werden gesucht, genauso wie mögliche Lösungswege. Manche Nichtregierungsorganisationen sowie Politiker und Politikerinnen drängen auf die Aufhebung des Patentschutzes für Impfstoffe und Medikamente. Oder sie fordern Zwangslizenzen, um mehr Firmen mit der Produktion beauftragen zu können. Doch solche Maßnahmen lösen weder das Problem noch sind sie notwendig. Und auf lange Sicht würden sie nach hinten losgehen.

Patente: Anreiz für komplexe Pharmaforschung

Patente funktionieren wie eine Art Erfinderlohn. Sie geben den notwendigen Anreiz, damit Menschen Kapital und Arbeitskraft in die Forschung und Entwicklung (F&E) einer Innovation stecken ohne „befürchten zu müssen, dass andere die Früchte ihrer Arbeit ernten“, so der vfa. Denn Patente schützen geistiges Eigentum vor Nachahmung durch fremde Firmen oder Personen – in der EU für Arzneimittel bis zu 25 Jahre. In dieser Zeit wird das Präparat fertig entwickelt, zugelassen und vermarktet. Für letzteres bleiben einer Pharmafirma in Europa ein effektiver Patentschutz von durchschnittlich etwa zwölf Jahren: Zwölf Jahre, um die F&E-Kosten zu refinanzieren und möglichst einen Gewinn zu erzielen. „Zwar kann der Ertrag eines erfolgreichen Präparats andere Forschungsprojekte, die nicht zum Erfolg oder einem nur ertragsschwachen Mittel führen, mitfinanzieren, doch allzu viele Defizitprojekte kann sich ein Unternehmen nicht leisten“, heißt es beim vfa. Es wäre auf Dauer sein Ende – an Medikamenten und Impfstoffen, die die Versorgung der Patienten und Patientinnen verbessern, kann es dann nicht mehr arbeiten.

Die pharmazeutische Forschung ist wie kaum eine andere Branche auf verlässliche Rahmenbedingungen – etwa in Form eines soliden Patentschutzes – angewiesen: Bis ein Wirkstoff zugelassen ist, vergehen im Schnitt mehr als 13 Jahre; 5.000 bis 10.000 Substanzen werden anfangs untersucht (s. Pharma Fakten). Die Entscheidung, in eine Idee für eine pharmazeutische Innovation zu investieren, wurde über ein Jahrzehnt vor Zulassung getroffen.

Pharmaforschung: Patente schaffen Anreiz, in F&E von Innovationen zu investieren. 
Foto: ©iStock.com/RossHelen
Pharmaforschung: Patente schaffen Anreiz, in F&E von Innovationen zu investieren.
Foto: ©iStock.com/RossHelen

Das neue Coronavirus ist erst knapp über ein Jahr bekannt. Aber vom Himmel gefallen sind auch diese Medikamente und Vakzine nicht. Beispiel mRNA-Impfstoffe: „Möglich wurde die schnelle Entwicklung“, so das Redaktionsnetzwerk Deutschland, „weil viele Grundlagen für mRNA-Impfstoffe bereits gelegt waren“. Unternehmen wie BioNTech hatten an dieser Technologie schon seit Jahren zur Therapie von Tumoren gefeilt. Bis zur Zulassung für Krebs-Betroffene hat es trotz der langen Forschung noch kein Kandidat geschafft. Nun aber gegen COVID-19 – wo er sich schon jetzt einem großen Wettbewerb gegenübersieht. „Für mich ist das ein aktuelles Beispiel dafür, wo aus dem Mut, das eigentlich Unmögliche zu versuchen, gute Dinge resultieren“, erklärte der Onkologe Prof. Christof von Kalle im Pharma Fakten-Interview zu dem Thema.

Pandemie: Produktionsaufbau „in Rekordzeit“

Normalerweise haben Pharmaunternehmen „mehrere Jahre Zeit, die Großproduktion aufzubauen“, so Hömke (vfa) im FAZ-Podcast. Geräte anschaffen, Belegschaft trainieren, „Kinderkrankheiten“ im Probebetrieb beseitigen, bevor es ernst wird. „Diesmal gab es diese Zeit einfach nicht.“ Stattdessen haben Firmen mit der Produktion begonnen, bevor sie wussten, ob ihr Präparat eine Zulassung erhält. Nun rüsten sie nicht nur ihre eigenen Werke auf und nehmen neue in Betrieb – sie suchen aktiv Unterstützung. Der Pharmakonzern Sanofi will Biontech/Pfizer bei der Impfstoffproduktion helfen. Bayer tut sich mit CureVac zusammen. „Die Firmen finden Kooperationspartner und die müssen sie natürlich in Windeseile schulen. […] Wie geht dieser Fertigungsschritt, welche Technik brauche ich, wie muss sie eingestellt sein; sie müssen die Belegschaft schulen“.

Das zeigt: Die Unternehmen teilen ihr Wissen. Freiwillig. Denn dank des Patentschutzes können sie davon ausgehen, dass ihr geistiges Eigentum auch in Kooperationen sicher ist und sie es nicht verlieren. Und: Die Originalherstellerfirma ist Experte für ihr Produkt; niemand verfügt über ein so umfangreiches, spezifisches Knowhow. Ihr ist es daher möglich, ihr Wissen sehr gezielt mit denjenigen zu teilen, die schon die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, um in kurzer Zeit bereit zu sein. Man könne nicht jedwede Pharmafirma mit der Produktion beauftragen – sie bräuchte Jahre, um das zu erlernen, weiß Hömke. Nur solche, „die im Prinzip schon eine ganz ähnliche Technik haben, kommen jetzt in Betracht“.

Hinzu kommt: Das Patentsystem ist schon heute keinesfalls starr. Das verdeutlicht die Vergabe nicht-exklusiver, freiwilliger Lizenzen: So hat etwa Gilead Sciences im Mai 2020 mit Unternehmen in Ägypten, Indien und Pakistan ein Abkommen unterzeichnet. Dadurch können sie generische, kostengünstige Versionen von Remdesivir, dem ersten für COVID-19 zugelassenen Arzneimittel, für Menschen in 127 Ländern herstellen. Mehrere Firmen wie GSK/Sanofi oder Biontech/Pfizer erzielten Vereinbarungen mit der COVAX-Facility. Sie wurde von der WHO ins Leben gerufen, damit auch ärmere Länder Zugang zu den Impfstoffen erhalten – teils zum Selbstkostenpreis oder kostenfrei. Das System läuft an: Die ersten Impfstoffe werden noch diesen Monat ausgeliefert (s. bmz.de).

In einer Pandemie auf Zwang setzen?

Mit Kooperationen zu einem zügigen Ausbau der Impfstoff-Produktion. 
Foto: ©iStock.com/AndreyPopov
Mit Kooperationen zu einem zügigen Ausbau der Impfstoff-Produktion.
Foto: ©iStock.com/AndreyPopov

Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, kritisiert scharf jene Forderungen, wonach Corona-Impfstoffe zum „öffentlichen Gut“ zu erklären und Patente aufzuheben sind. Um sich an dem Wettbewerb um eine Lösung für die Pandemie beteiligen zu können, „war ein hoher Kapitaleinsatz nötig. Das Risiko eines Misslingens war riesig, im Falle des Scheiterns drohten hohe Verluste, das eingesetzte Kapital wäre verloren. Es bedarf unternehmerischen Mutes, das Risiko gegen die Chance eines Erfolgs abzuwägen.“ Welche Wirtschaftsunternehmen hätten sich das ohne Aussicht auf Refinanzierung und wirtschaftlichen Erfolg leisten können? Welche Investoren und Investorinnen hätten die jahrelangen Forschungen an der mRNA-Technologie unterstützt, die eine so schnelle Reaktion auf COVID-19 überhaupt erst möglich machten?

In der Pandemie erweisen sich Kooperationen als geeignetes Instrument für einen möglichst zügigen Ausbau der Produktion. Doch bei aufgeweichtem Patentschutz müssten die Originalhersteller bei jeglicher Zusammenarbeit fürchten, dass ihre Innovation Opfer von Diebstahl wird. Und auch Maßnahmen wie Zwangslizenzen können nicht die eigentlichen Herausforderungen lösen: dass die Impfstoffherstellung komplex ist; dass es sich teils um ganz neue Technologien handelt, die nun erstmals im großen Stil produziert werden; dass das spezifische Knowhow und Equipment weltweit begrenzt sind; dass sich die Menschheit mitsamt der Industrie in einer Ausnahmesituation befindet, die für alle Neuland ist.

In der Zeitschrift „RPG Recht und Politik im Gesundheitswesen“ warnten bereits im vergangenen Jahr mehrere Ökonomen: „Werden die Erwartungen der pharmazeutischen Unternehmer auf innovationsfreundliche Rahmenbedingungen enttäuscht, könnte dies negative Folgen bei späteren Pandemien haben.“ Denn heute werden die F&E-Investitionsentscheidungen getroffen, die die Grundlage für die Arzneimittel und Impfstoffe von morgen bilden.

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