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Arthrose

Knorpel und Knochen in Bedrängnis

29.01.2018  16:50 Uhr

Von Annette Immel-Sehr / Arthrose lässt sich mit Fug und Recht als Volkskrankheit bezeichnen. Die enorme Relevanz der ­Erkrankung steht allerdings in starkem Kontrast zu den geringen, mitunter strittigen therapeutischen Möglichkeiten, die bis heute zur Verfügung stehen.

In Deutschland leiden mindestens fünf Millionen Menschen an Arthrose – sie ist damit die häufigste Gelenkerkrankung. Die Begriffe Arthrose oder Osteoarthrose (OA) bezeichnen einen ­Gelenkverschleiß, der das altersübliche Maß übersteigt. Von den Über-65-jährigen sind fast die Hälfte der Frauen und knapp ein Drittel der Männer erkrankt (1). Doch Arthrose kann auch in frühen Lebensjahren infolge von Unfällen oder angeborenen Fehlstellungen auftreten. Bis zum 50. Lebensjahr sind bereits etwa 17 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer betroffen (2).

 

Eine Arthrose kann sich an einem oder mehreren Gelenken manifestieren. Am häufigsten ist die Gonarthrose (Kniegelenk), bei den Männern gefolgt von der Coxarthrose (Hüftgelenk) und bei Frauen von Heberden- beziehungsweise Bouchard-Arthrose (Fingergelenke). Nicht selten sind auch die Om­arthrose (Schultergelenk) sowie die Rhizarthrose (Daumensattelgelenk). Grundsätzlich kann die Erkrankung ­nahezu alle Gelenke erfassen.

 

Arthrose als Berufskrankheit

 

Eine intensive Belastung von Gelenken fördert die Entstehung einer Arthrose und beschleunigt den Krankheitsverlauf. Dies gilt für Leistungssportler genauso wie für bestimmte Berufsgruppen. Gonarthrose ist eine anerkannte Berufskrankheit beispielsweise bei Fliesenlegern, Pflasterern, Dachdeckern, Installateuren, Schiffbauern und Gärtnern.

 

Bei der Hüftgelenksarthrose zählen sowohl das Heben schwerer Lasten als auch allgemein schwere körperliche Arbeit zu den Risikofaktoren (3). Ebenfalls wegen erhöhter mechanischer Belastung ist Übergewicht ein Promotor. Je mehr Körpergewicht auf den Knien oder den Hüftgelenken lastet, desto größer ist der Verschleiß. Anders ausgedrückt: Je höher der Body-Mass-Index (BMI), desto größer das Arthrose-Risiko (Tabelle 1). Wie man heute weiß, fördert Adipositas die Arthrose zudem auf metabolischem Weg: Die Fettgewebshormone Adiponectin, Visfatin, Resistin und Leptin beschleunigen die Knorpeldestruktion (4, 5).

 

Die Tatsache, dass Frauen häufiger als Männer von Arthrose betroffen sind – beispielsweise neunmal häufiger von Fingerpolyarthrose – verdeutlicht, dass auch hormonelle Faktoren eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist die genetische Veranlagung von großer Bedeutung. Es gibt zudem Hinweise auf einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Arthrose. Möglicherweise spielen hier niederschwellige Entzündungsprozesse eine Rolle (6, 7).

 

Auch angeborene Fehlstellungen können eine Arthrose begünstigen. Deshalb sollte man versuchen, diese frühzeitig operativ zu beheben oder durch Orthesen auszugleichen. Beim Sport können neben einer direkten Schädigung der Knorpeloberfläche auch Verletzungen des Bandapparats oder der Menisken später zu Arthrose führen, wenn sie nicht vollständig ­ausheilen.

Zwischen zwei Knochen

 

Gelenke sind bewegliche Elemente zwischen zwei Knochen. Die Gelenkflächen sind mit Knorpel überzogen (Grafik, linke Seite). Die Knorpelmasse ist verformbar und kann Druck auf das Gelenk abfangen. Umhüllt werden Gelenke von der Gelenkkapsel, einem straffen Bindegewebsschlauch. Dieser besteht aus zwei Schichten. Die äußere Schicht, die Membrana fibrosa, bestimmt die mechanische Festigkeit des Gelenks. Die innere Schicht wird als Gelenkinnenhaut oder Synovialis bezeichnet. Sie sezerniert eine schleimartige Flüssigkeit (Synovia) in den Gelenkspalt, die als Gleitmittel dient und den Gelenkknorpel mit Nährstoffen versorgt.

 

Die Arthrose beginnt im Gelenkknorpel (Grafik, rechte Seite) und geht mit der Zeit auf benachbarte Strukturen wie Knochen, Gelenkkapsel und umgebende Muskulatur über. Sie ist primär eine degenerative Erkrankung, die phasenweise mit einer Gelenk­entzündung einhergeht. Damit unterscheidet sie sich von der Rheumatoiden Arthritis (RA) – einer Autoimmunerkrankung, die ebenfalls eine Entzündung der Synovialis verursacht. Beide Erkrankungen werden dem rheuma­tischen Formenkreis zugerechnet. Anders als bei RA sind bei der Arthrose häufig nur ein oder wenige Gelenke betroffen.

Tabelle 1: Lebenszeitprävalenz der Arthrose nach Body-Mass-Index (BMI)

Gewicht Frauen Männer
Untergewicht (BMI < 18,5) 13,2 7,6
Normalgewicht (BMI 18,5 bis < 25) 20,3 11,2
Übergewicht (BMI 25 bis < 30) 31,1 19,6
Adipositas (BMI ≥ 30) 42,2 26,9

nach RKI, 2013

Komplexe Schäden an Knorpel und Knochen

 

Das Krankheitsgeschehen bei der Ar­throse ist komplex und im Detail nach wie vor ungeklärt. Auf molekularer Ebene spielen neben Matrix-abbauenden Enzymen zahlreiche Zytokine und Wachstumsfaktoren eine Rolle. Es kommt zu einer Zerstörung von Kollagenen in der Knorpeloberfläche. Die knorpelbildenden Zellen, die Chondrozyten, reagieren auf diesen Defekt mit einer gesteigerten Neubildung von Knorpel, der jedoch weniger belastbar ist als der ursprüngliche. Die Knorpel­oberfläche wird rauer und dünner und bekommt Risse. Schließlich ist so viel Knorpel abgebaut, dass die gelenknahen Knochenenden direkt aneinander reiben.

 

Das abgeriebene Knorpelmaterial gelangt in die Gelenkflüssigkeit und reizt die Gelenkinnenhaut (Grafik, rechts). Dies kann eine vorübergehende Entzündungsreaktion in der Synovialis auslösen: die aktivierte Arthrose.

 

Auch die Knochen verändern sich im Krankheitsverlauf. In Gelenknähe werden sie dichter und härter. Durch den Druck kann die Knochenstruktur stellenweise zusammenbrechen. Die im Inneren entstehenden Löcher werden als Geröllzysten bezeichnet. Am Knochenrand bilden sich Wülste (Osteophyten), um den Druck auf das ­Gelenk zu reduzieren.

 

Akute Entzündung und Muskelschmerzen

 

Eine Arthrose lässt sich grob in drei Stadien unterteilen: die stumme, die aktivierte und die dekompensierte Arthrose. Der Begriff »stumme« oder »latente Arthrose« beschreibt das frühe symptomlose Krankheitsstadium mit ersten strukturellen Schäden. Dieses Stadium kann sich über Jahre erstrecken und dann in eines der beiden anderen Sta­dien übergehen.

 

Bei der aktivierten Arthrose geht die akute Entzündung der Synovialis meist mit Gelenkerguss, Überwärmung und Ruheschmerzen nach Belastung einher. Im Stadium der dekompensierten Ar­throse liegt keine Entzündung vor. Die Knorpelzerstörung schreitet fort und die Muskulatur außerhalb des Gelenks ist schmerzhaft verändert. Die Phasen der aktivierten und dekompensierten Arthrose wechseln sich ab (Tabelle 2).

 

Im weiteren Verlauf kommt es zu ­Instabilität und immer größeren Bewegungseinschränkungen des Gelenks. Charakteristisch für das späte Stadium sind Gelenkgeräusche, sogenannte Krepitationen. Diese entstehen durch das Aneinanderreiben der Knochen oder der Osteophyten mit den Sehnen.

 

Typischerweise berichten Patienten über »Anlaufschmerzen«, beispielsweise beim Aufrichten aus dem Sessel oder beim Aussteigen aus dem Auto. Charakteristisch sind auch nächtliche Schmerzen. Im fortgeschrittenen Stadium können sich schmerzarme und sehr schmerzhafte Phasen über Jahre abwechseln. Allmählich weichen sie einem mehr oder minder starken Dauerschmerz. Eine feuchtkalte Witterung verstärkt die Beschwerden oft (9).

 

Die Patienten nehmen aufgrund der Schmerzen häufig unbewusst eine Schonhaltung ein und lösen damit ­einen Teufelskreis aus: Die Muskulatur um das Gelenk herum verspannt sich und verhärtet, die Muskelfasern werden kürzer. Dies wiederum führt zu Bewegungseinschränkungen und -schmerzen, sodass der Betroffene das Gelenk immer weniger bewegt. Schonhaltungen führen häufig auch zu Schmerzen außerhalb des arthrotisch veränderten Gelenks. So kann eine Cox­arthrose Rücken- oder Knieschmerzen verursachen.

Keine Zweifel an der Diagnose

Die Diagnose einer Arthrose ist in der Regel eindeutig. Neben der funk­tionellen Untersuchung des Gelenks erfolgt meist eine bildgebende Diagnostik durch Röntgen, Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT). Hier lassen sich die Verschmälerung des Gelenkspalts, die reaktive Knochenverdichtung zu beiden Seiten des Gelenkspalts, mögliche Osteophyten und Geröllzysten meist gut erkennen.

 

Das Ausmaß der Schmerzen korreliert nicht unbedingt mit dem Befund in der Bildgebung. Der Patient kann an erheblichen Schmerzen leiden, obwohl die Diagnostik nur einen geringen Gelenkschaden zeigt.

Operation allenfalls im Spätstadium

 

Die verfügbaren Therapieoptionen bei Arthrose können die Erkrankung nicht heilen, sondern allenfalls bremsen und die Beschwerden lindern. Grundsätzlich ist zwischen einer nicht-medi­kamentösen, medikamentösen und chirurgischen Behandlung zu unterscheiden.

 

Eine Operation erfolgt in der Regel erst im Endstadium der Arthrose. Meist erhält der Patient entweder einen ­Gelenkersatz oder das Gelenk wird operativ versteift (Arthrodese). Arthroskopische Verfahren wie die Knorpelglättung werden heute kaum noch durchgeführt. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten im Regelfall nicht, da der Nutzen dieser Behandlung nicht erwiesen ist.

 

Aktuelle Behandlungsleitlinien zur Coxarthrose beziehungsweise Gonarthrose gibt es von den führenden deutschen Fachgesellschaften derzeit nicht. Sie werden im Lauf dieses Jahres erwartet. Aus dem Jahr 2014 stammt die Leitlinie der internationalen Arthrosegesellschaft OARSI (Osteoarthritis Research Society International) zur Behandlung der Kniearthrose (10).

 

Zunächst ohne ­Medikamente

 

Die nicht-medikamentöse Therapie hat einen hohen Stellenwert; sie gilt als Basistherapie der Arthrose. Zu den wichtigsten Therapieprinzipien gehört die schonende Bewegung des betroffenen Gelenks. Natürlicherweise verteilt sich die Synovialflüssigkeit bei jeder Bewegung eines Gelenks in demselben. Diese wirkt nicht nur als Schmierstoff, sondern dient auch der Versorgung mit Nährstoffen und dem Abtransport von Abfallstoffen. Da das Knorpelgewebe nicht über Blutgefäße verfügt, ist es auf diese Art der Versorgung angewiesen. Die Bewegung fördert auch die Durchblutung der Gelenkinnenhaut, die die Synovialflüssigkeit produziert.

 

Bei Arthrose-Patienten wirkt Be­wegung zudem dem Teufelskreis aus Schmerz und Muskelverspannung ­(Tabelle 2) entgegen. Auch auf molekularer Ebene sind Effekte der regelmäßigen Bewegung nachweisbar. So erhöht sich der Gehalt an Proteoglykanen im Kollagenfasergerüst des Knorpels, was die Dämpfung im Gelenk verbessert (11). Es gibt Hinweise, dass Sporttherapie sogar die Pathogenese der Erkrankung positiv beeinflusst, indem sie ­entzündliche Vorgänge und den Knorpelabbau hemmt. Die Schmerzreduktion ist vergleichbar mit der Wirksamkeit von nicht-steroidalen Antiphlogistika (NSAID), wobei der Effekt lange Zeit über das Training hinaus nachweisbar ist (12). Als sinnvoll erachtet wird eine Trainingshäufigkeit von zwei- bis dreimal pro Woche.

 

In der OARSI-Leitlinie zählt Spazie­rengehen mit Gehstock zu den bevorzugten Therapieoptionen bei Kniear­throse. Als besonders geeignet wird auch Tai-Chi in den Empfehlungen ­hervorgehoben. Als weitere gelenkschonende Sportarten gelten allgemein Aquajogging, Wassergymnastik, Nordic Walking, Wandern auf ebener Fläche, Radfahren, Tanzen und Yoga.

Nicht-medikamentös als Basis

Wichtige Bausteine der nicht-medikamentösen Basistherapie der Ar­throse sind:

 

  • Physiotherapie und gelenk­schonender Sport,
  • Physikalische Therapie wie Kälte- und Wärmetherapie, Elektrotherapie (TENS), Akupunktur, Massagen, Hydro-/Balneotherapie
  • Ergotherapie, zum Beispiel Gelenkschutztraining und Schulung im Hilfsmittelgebrauch
  • Orthopädische Hilfsmittel wie ­orthopädische Schuhe und ­Orthesen
  • bei Bedarf Gewichtsreduktion.

Multimodale Therapie

 

Passive physiotherapeutische Maßnahmen wie Massage, Fango oder Wärme- und Kältebehandlung verschaffen dem Patienten häufig Schmerzlinderung und lockern die Muskulatur. Orthopädische Schuhe beziehungsweise Einlagen können Druck auf das Hüftgelenk abfangen. Je nach betroffenem Gelenk sind auch Orthesen ein schmerzreduzierendes Hilfsmittel, das zudem das Fortschreiten der Deformationen verhindert.

 

Übergewichtige Patienten sollten eine Gewichtsreduktion anstreben, um den Druck auf das erkrankte Gelenk zu mindern und inflammatorische Botenstoffe des Fettgewebes zu reduzieren.

 

Bei der von vielen Ärzten empfohlenen Transkutanen Elektrischen Nervenstimulation (TENS) senden Elektroden auf der Haut niederfrequente Wechselströme aus und erzeugen dadurch ein leichtes Kribbeln. Damit sollen die Schmerzreize »übertönt« werden, was einer Schmerzlinderung gleichkommt. Die OARSI hält die Wirksamkeit bei Kniearthrose aber für nicht gesichert.

 

Auch zur Akupunktur bei Kniear­throse gibt es widersprüchliche Meinungen. Einerseits übernehmen die Krankenkassen seit 2017 die Kosten, andererseits empfiehlt die OARSI diese Therapie nicht. Die unklare Situation spiegelt sich auch im Ergebnis der »Gerac« (German Acupuncture Trials – Klinische Untersuchungen zur Akupunktur in Deutschland) wider. Hier wurden Patienten mit Kniearthrose auf drei Weisen behandelt: entweder schulmedizinisch oder mit Akupunktur gemäß TCM oder mit Akupunktur, bei der die Nadeln an zufällig ausgewählten Körperstellen gesetzt wurden. Am Ende berichteten 28 Prozent der schulmedizinisch behandelten Patienten über weniger Schmerzen und eine bessere Gelenkfunktion. Die Erfolgsraten bei den mit Akupunktur behandelten Pa­tienten lag bei etwa 50 Prozent – unabhängig von der gewählten Methode.

Tabelle 2: Symptome bei Arthrose; nach (30)

Symptome aktivierte Arthrose dekompensierte Arthrose
Schmerzen Dauerschmerz Nacht- und Ruheschmerz Besserung auf Kältezufuhr Anlaufschmerz Belastungsschmerz Schmerzen bei Wetterwechsel
Dauer der Steifigkeit Länger als 30 Minuten Unter 30 Minuten
Sonstige Beschwerden Schwellung Schwäche der Extremität Instabilität

Schmerzfreiheit schafft ­Bewegungsspielraum

 

Die Schmerztherapie steht bei Arthrose an erster Stelle – wegen der Lebensqualität, aber auch um überhaupt ­wieder Bewegung zu ermöglichen.

 

Um das Nebenwirkungsrisiko gering zu halten, wird vielfach empfohlen, NSAID wie Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen möglichst niedrig zu dosieren und nur kurz einzusetzen. Doch das ist Theorie. In der Realität sind niedrige Dosierungen häufig nicht wirksam genug. Auch die Forderung nach einer kurzen Therapie ist oft nicht zu erfüllen. In Gegenteil: Häufig werden NSAID über lange Zeit verordnet. Dann ist die prophylaktische Gabe eines Protononenpumpeninhibitors (PPI) zum Magenschutz unumgänglich.

 

Coxibe sind ebenso zur Schmerzbehandlung bei Arthrose geeignet. Im Vergleich zu NSAID sind sie besser verträglich für den Magen-Darm-Trakt, bergen jedoch ein höheres kardiovaskuläres Risiko. Von daher muss der Arzt individuell abwägen.

 

Lokal wirkt

 

Alternativ zu den oralen Analgetika empfiehlt die OARSI topische Zubereitungen (Salbe, Spray, Pflaster) mit NSAID. Die Zielorte dieser Arzneimittel sind gut zugängliche periartikuläre Strukturen und benachbarte Schleimbeutel oder Bänder. Und von dort geht der Arthrose-Schmerz auch tatsächlich aus, denn der hyaline Gelenkknorpel selbst hat keine Nerven (2).

 

Vorteil der lokalen NSAID-Behandlung ist das geringe Risiko systemischer Nebenwirkungen. Eine aktuelle Cochrane-Übersichtsarbeit (2017) bescheinigt Diclofenac und Ketoprofen eine Wirksamkeit bei Knie- und Fingergelenkarthrose (13). In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich auch Beinwell-Salbe in kleinen Studien als wirksam bei Kniear­throse erwiesen hat (14, 15). Bei allen Vorzügen der lokalen Therapie ist aber zu bedenken, dass nicht jeder ältere Patient beweglich genug ist, um jedes erkrankte Gelenk eincremen zu können. Beispielsweise ist die Schulter schwer zu erreichen.

 

Alternativen gesucht

Opioide haben bei Arthrose-Patienten, vor allem mit Blick auf die lang dauernde Therapie, nur einen geringen Stellenwert. Sie können jedoch für eine begrenzte Zeit sinnvoll sein. Die Datenlage für den Einsatz von Opioiden bewertet die OARSI als unzureichend.

 

Stattdessen empfiehlt die interna­tionale Arthrose-Gesellschaft als alternatives Analgetikum den Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin bei Knie- und Multigelenk-Arthrosen. Als Mechanismus der Schmerzhemmung wird eine Erhöhung der Serotonin- und Noradrenalin-Aktivität im ZNS angesehen (16).

 

In der Apotheke fragen die Patienten häufig nach pflanzlichen Arthrosemitteln. Doch die wissenschaftliche Datenlage ist aufgrund mangelnder großer Studien dünn. Im Auftrag der Cochrane-Datenbank werteten Wissenschaftler bis 2014 insgesamt 39 Studien zum Einsatz von Heilpflanzenzubereitungen bei Arthrose systematisch aus (17). Eine Kombination aus Sojabohnen- und Avocado-Extrakt wirkte kurzzeitig relativ gut gegen Schmerz und Entzündung. Positiv fiel den Forschern auch Weihrauch (Boswellia serrata) auf.

 

Eine große Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2017 nahm Studien mit Nahrungsergänzungsmitteln unter die Lupe. Das Ergebnis: Keine der Substanzen zeigte einen lang andauernden Effekt. Kurzzeitige positive Effekte mit geringer Evidenz fanden die Forscher für Boswellia-Extrakt sowie bei Kollagen-Hydrolysaten, Passionsfruchtschalen-Extrakt, Curcuma-longa-Extrakt, Curcumin, L-Carnitin und Pycnogenol® (18). Pycnogenol ist der Extrakt der Rinde der französischen See-Kiefer. Er wirkt bei milder Arthrose antioxidativ, entzündungshemmend und chondroprotektiv, so das Fazit einer Übersichts­arbeit zu diesem Pflanzenextrakt aus dem Jahr 2017 (19). Er ist in Deutschland als Nahrungsergänzungsmittel im Handel.

 

Hierzulande hat Weidenrinde eine lange Tradition in der Behandlung von Arthrose. Die Tagesdosis sollte bei 240 mg Gesamtsalicin liegen. Auch Teufelskralle kommt infrage. Als wirksam gelten 950 bis 1500 mg alko­- ho­lischer Extrakt beziehungsweise 2200 mg wässriger Extrakt (20). Die ­antiphlogistische und schwach analge­tische Wirkung geht vermutlich auf Iridoide und Phenylethanol-Derivate zurück.

 

Das Apothekenteam sollte dem Patienten erklären, dass die Wirkung von ­Phytopharmaka und Nahrungser­gänzungsmitteln erst nach einer Einnahmedauer von einigen Wochen eintritt. Die Präparate sind daher nicht zur akuten Schmerzlinderung geeignet. Bei lang dauernder Einnahme – auch über schmerzfreie Phasen hinweg – ist unter Umständen eine Reduktion der NSAID-Dosierung möglich.

 

SYSADOA: Effekt umstritten

 

Eine Arzneistoffgruppe, deren Wirkung ebenfalls erst nach mehreren Wochen einsetzt, sind die sogenannten SYSADOA, eine Abkürzung von »symptomatic slow acting drugs in osteoarthritis«. Früher wurde die Substanzklasse als Chondroprotektiva bezeichnet. Nicht wenige Fachleute, so auch die Experten der OARSI, zweifeln an der Wirksamkeit der Präparate.

Glucosaminhemisulfat ist das Schwefelsäuresalz des Aminozuckers Glucosamin, das natürlicherweise im Bindegewebe, in der Knorpelmatrix und der Gelenkflüssigkeit vorkommt. Oral verabreicht soll es die Synthese von Glycosaminoglykanen anregen. Eine größere Metaanalyse aus dem Jahr 2017 zeigte keine gute Evidenz bei Knie- und Hüftarthrose beziehungsweise überhaupt keine bei anderen ­Gelenken (21).

 

Auch Chondroitinsulfat ist ein natürlicher Bestandteil des Knorpelgewebes. Sein Wirkmechanismus nach oraler Gabe ist im Einzelnen nicht geklärt. Die Autoren einer umfangreichen systematischen Übersichtsarbeit aus der Reihe der Cochrane-Reviews (2015) ­sehen eine geringe Wirksamkeit als Monotherapie sowie in Kombination mit Glucosamin (22).

 

Aus der Tatsache, dass ein Vitamin-D-Mangel Mikrofrakturen des Knochens begünstigt, entstand die Idee, Vitamin D könne den Knochen bei Arthrose schützen. Eine Auswertung von Studien aus dem Jahr 2017 konnte ­keinen Effekt nachweisen (23).

 

Direkt in den Ort des ­Geschehens

 

Eine intraartikuläre Therapie erscheint auf den ersten Blick ideal: optimale Verfügbarkeit des Wirkstoffs und geringe systemische Wirkungen. Doch die Methode ist nicht frei von Risiken. Eine Gelenkpunktion kann Gefäße, Nerven oder Gelenkstrukturen verletzen. Das Knie- und das Ellenbogengelenk, das proximale Fingergelenk sowie das Fingergrundgelenk gelten als gut zugänglich. Dagegen ist die exakte Punktion anderer Gelenke oft ungleich schwieriger. Eine weitere mögliche Komplika­tion ist die Gelenkinfektion.

 

Dennoch empfiehlt die OARSI-Leitlinie die intraartikuläre Glucocorticoid-Therapie bei Gonarthrose. Corticoide wirken antiinflammatorisch und hemmen pathologische Reparationsvorgänge wie eine überschießende Kollagensynthese. Die Formulierung als Kristallsuspension sorgt für eine lange Wirksamkeit. Ein weiterer Retardeffekt gelingt auf chemischem Weg durch Veresterung mit einem ­lipophilen Rest. In der Regel sollte die Injektion maximal viermal jährlich ­erfolgen.

 

Nicht unüblich ist es, zusammen mit dem Glucocorticoid intraartikulär ein Lokalanästhetikum zu verabreichen. Dies soll einen analgetischen Soforteffekt erzielen. Wegen möglicher Nebenwirkungen des Lokalanästhetikums, zum Beispiel zytotoxische Effekte auf die Chondrozyten, ist dieses Vorgehen jedoch umstritten (24, 25).

 

Hyaluronsäure, ein polymeres Glykosaminoglykan, ist im Gelenkknorpel für dessen biomechanische Funktion von Bedeutung. Es ist zudem der viskositätsbestimmende Bestandteil der ­Synovialflüssigkeit. Bei Arthrose sinkt sowohl die Hyaluronsäure-Konzentration als auch die Größe der Moleküle. Dadurch verschlechtert sich die Gleitfähigkeit der Gelenkschmiere.

 

Auch bei diesem Arzneistoff gehen die Meinungen hinsichtlich der Wirksamkeit auseinander. Während die ­OARSI sie für nicht gesichert hält, kommt eine Metaanalyse 2017 zu einem positiven Ergebnis. Danach verbessert intraartikulär verabreichte ­Hyaluronsäure im Vergleich zu intraartikulärem Glucocorticoid die Gon­arthrose nachhaltiger. Die Wirkung kann statt einen Monat bis zu sechs Monate, teilweise sogar über zwölf Monate anhalten. Dafür erfolgt der Wirkeintritt später (26). Aufgrund des relativ schnellen Abbaus der Hyaluronsäure kann der Effekt nicht allein auf die Substanz zurückgeführt werden. Man vermutet, dass der exogen zugeführte Wirkstoff die endogene Hyaluronsäure-Synthese stimuliert (10, 27).

 

Moderne Ideen

 

Eine mögliche neue Therapieoption ist die Behandlung mit plättchenreichem Plasma. Dabei werden körpereigene konzentrierte Blutplättchen und Plasma direkt intraartikulär verabreicht. Dort setzen die Plättchen eine Fülle von Botenstoffen und Enzymen frei, die im Endergebnis den Entzündungsprozess bremsen und die Synthese von gesundem Knorpelgewebe in den Chondrozyten anregen sollen. Die bisherigen Studien machen Hoffnung, auch wenn der Wirkungsmechanismus unklar ist (24).

 

In den vergangenen zehn Jahren rückten zudem autologe regenerative Zellen aus dem Fettgewebe oder Knochenmark in den Fokus der Arthrose-Forscher. In das erkrankte Gelenk injiziert sollen sie die Knorpelsynthese ­stimulieren. Möglicherweise sind mesenchymale Stammzellen aus der Synovia sogar noch besser geeignet. In-vitro-Tests und In-vivo-Studien an Tieren lassen dies vermuten. Eine erste Studie an zehn Menschen zum Knorpelaufbau war vielversprechend (27, 28). Doch auch hier ist es noch ein langer Weg von der Idee zu einer etablierten Therapieoption.

 

Fazit

 

Die Möglichkeiten der medikamentösen Arthrose-Therapie sind unbefriedigend. Die topische Behandlung mit NSAID ist begrenzt wirksam, doch die Applikation bereitet älteren Patienten mitunter Schwierigkeiten. Die orale Langzeitanwendung von NSAID oder Coxiben ist wegen möglicher Nebenwirkungen nicht unproblematisch. Vor einer intraartikulären Glucocorticoid-Behandlung scheut mancher Patient zurück.

 

Was also können Apotheker guten Gewissens empfehlen? Strengen wissenschaftlichen Kriterien halten die zahlreichen SYSADOA, Phytopharmaka und Nahrungsergänzungsmittel nicht stand. Doch eine solche Aussage hilft dem Patienten nicht. Somit ist die Messlatte wohl tiefer zu hängen und eine pragmatische Lösung zu finden. So lange es nichts Besseres gibt, ist ein Behandlungsversuch mit den Präparaten vertretbar. Schließlich ist auch eine moderate Wirkung ein Erfolg, zumal wenn sie die Reduktion der Analgetika-Dosierung ermöglicht. /

 

Literatur bei der Verfasserin

Die Autorin

Annette Immel-Sehr studierte Pharmazie in Bonn und Frankfurt/Main. Nach der Approbation 1988 wurde sie mit einer Arbeit über ein pharmakologisches Thema am Pharmakologischen Institut für Naturwissenschaftler der Universität Frankfurt promoviert. Von 1992 bis 1999 war _Dr. Immel-Sehr als Referentin für Aus- und Fortbildung bei der ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände tätig. Seither arbeitet sie freiberuflich als Beraterin für Wissenschafts-PR und als Fachjournalistin.

 

Dr. Annette Immel-Sehr

Behring­straße 44 53177

Bonn-Bad Godesberg

E-Mail: ais@immel-sehr.de

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