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Seit Beginn der Corona-Pandemie wird die Bevölkerung mit Zahlen bombardiert, die sie kaum nachvollziehen kann. Professor Gerd Antes kennt sich mit diesen Zahlen aus. Er ist Medizinstatistiker und ehemaliger Direktor des Deutschen Cochrane-Zentrums, das medizinische Studien wissenschaftlich prüft und auswertet. Wie hierzulande mit Zahlen zur Pandemie umgegangen wird, grenzt für Antes an Verantwortungslosigkeit.

Herr Professor Antes, wie wäre es zum Einstieg mit folgender Überschrift: „RKI: 4000 Erkrankte trotz vollständiger Impfung“?

Es ist mir völlig unverständlich, wieso man bei sowas immer die halbe Information weglässt. Wenn man jetzt sagt „4000 Erkrankte trotz Impfung“ dann sieht das völlig anders aus, als wenn ich die 4000 durch die 38 Millionen Geimpfte teile – und dann bleibt von den 4000 fast nichts übrig. Epidemiologie heißt immer den Zähler durch den Nenner zu teilen.

Dann ist in der Überschrift versteckt, dass der Impfschutz eigentlich ziemlich gut ist. Wer das nicht sieht, könnte die Sache mit dem Impfen gleich wieder kritischer sehen.

Genau. Die 4000 sind ein Schreckgespenst. Und diesen Umgang mit absoluten Zahlen beklage ich schon seit 15 Monaten und werde dabei immer deutlicher – besonders wenn solche Schlagzeilen aus einem bestimmten Motiv oder Unachtsamkeit entstehen. Man könnte doch einfach nur sagen: „Ist doch schön, nur 4000 von 38 Millionen Menschen sind in Deutschland trotz vollständiger Impfung erkrankt.“ Noch schöner wäre es noch zu schreiben, dass nur sehr wenige davon schwer erkrankt sind – genau diese Zahlen fehlen jedoch wieder.

Mit welchen Zahlen würden Sie denn die Schutzwirkung der Corona-Impfung beschreiben?

Das ist immer relativ zu sehen und man beschreibt dieses Risiko besser ohne Zahlen, sondern nur mit Worten: Der Impfschutz ist ungewöhnlich hoch. Dabei muss man noch unterscheiden, dass es letztlich nicht ein Impfschutz ist gegen eine Infektion, sondern gegen eine schwere Erkrankung – was wieder nicht in eine Zahl zu fassen ist.

Bleiben wir aber mal bei Zahlen. Das Robert Koch-Institut will von der Inzidenz als wichtigste Kennzahl der Pandemie abrücken und die Lage in den Krankenhäusern in die Bewertung des Pandemiegeschehens einfließen lassen. Ergibt das Sinn?

Ja, natürlich. Das ist die sogenannte Hospitalisierungsrate. Das predige ich und unsere gesamte Arbeitsgruppe „CoronaStrategie“ seit Monaten. Schon seit Herbst ist bekannt, dass die Inzidenz alleine nicht für Steuerungsmaßnahmen geeignet ist. Und wenn jetzt gerade Spanien nur anhand derer Inzidenz wieder zum Risikogebiet erklärt wird – dafür fehlt mir das Verständnis. Oder: Wenn jetzt jeden Morgen dramatisiert wird, dass die Inzidenz von 4,9 auf 5,8 oder 6,2 gestiegen ist und es dann heißt „die Zahlen steigen wieder“. Das muss man sich einmal umrechnen, wie wenig das ist. Wir haben gegenwärtig kaum Neuinfektionen und dann wird an diesen Zahlen hinter dem Komma rumhantiert. Diese Überinterpretationen halte ich für völligen Unfug.

Welche Zahlen bräuchten wir jetzt?

Die Inzidenz war noch nie ein alleiniger guter Steuerungsparameter – er war eben für die Politik sehr bequem. Aber jetzt ist es geradezu schädlich, sich alleine daran zu orientieren um Schutzmaßnahmen zu treffen. Inzwischen ist es – durch den deutlichen Impferfolg – tatsächlich schädlich, weil die Risikoverhältnisse völlig verschoben sind und darauf beruhende Gegenmaßnahmen ersthaft falsch sein können. Spätestens jetzt ist es also an der Zeit, die Inzidenz von der Hospitalisierung und der Sterblichkeit zu entkoppeln.

Falsch, weil auch die Älteren und die anderen Risikogruppen inzwischen geschützter sind?

Ja. Denn wenn ein Faktor bekannt ist, der in Zusammenhang mit einer Covid-Erkrankung extrem risikofördernd ist, dann ist es das Alter. Und wenn Gesundheitsminister Spahn jetzt erst, nach 15 Monaten, genauere Klinikmeldungen wie Alter, Art der Behandlung und den Impfstatus fordert, dann ärgert mich das ungemein. Denn genau darüber wurde spätestens im November im Bundestagsausschuss debattiert und dieses zögerliche Verhalten kann einen großen Schaden angerichtet haben.

Welchen?

Ökonomischen Schaden, psychischen Schaden vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Wenn man darüber mit Entwicklungspsychologen spricht – die können kaum abschätzen was das vergangene Schuljahr da verursacht hat und welche Langzeitfolgen noch auftreten werden. Oder bei den Erwachsenen, die ständig aufeinander hockten und für die Kinder einen Teil der Schule ersetzen mussten. Oder medizinische Schäden wie verschleppte Krebsdiagnosen. All das ist zwar nur schwer zu messen, aber es wurde Schaden angerichtet und man hätte sich einiges davon sparen können – wenn man den richtigen Zahlen rechtzeitig mehr Bedeutung gegeben hätte.

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