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Herr Breuer, wir hatten an manchen Tagen im März 300.000 Corona-Neuinfektionen. Haben Sie damit gerechnet?

Ich habe sehr deutlich geschluckt, als ich ein paar Wochen vorher von Experten erfahren habe, dass es in diese Richtung gehen wird. Ich hatte gehofft, dass die zweite Omikronwelle an uns vorbeigehen könnte.

Ist Ihre Strategie im Kampf gegen Corona nicht aufgegangen?

Da muss man verschiedene Aspekte betrachten. Wir haben in den letzten Wochen alles daran gesetzt, den starken Anstieg im Zaum zu halten. Vor allem, um dafür zu sorgen, dass die kritischen Infrastrukturen, insbesondere die Krankenhäuser, nicht in eine Überlastung gehen. Wir haben vorher schon dafür gesorgt, dass jeder die Möglichkeit hatte und hat, sich impfen zu lassen. Meine Hoffnung war und ist immer noch, dass das möglichst viele Menschen machen. Mit der Impfung kann man womöglich keine Infektion verhindern, aber schwere Verläufe und Todesfälle. Ich denke, dass unsere Strategie – also auf Impfen und auf Hygienemaßnahmen setzen, etwa Maske tragen – aufgegangen ist.

Trotz hoher Infektionszahlen wird gelockert. Wie gehen Sie damit um?

Ich werde weiterhin mit Maske einkaufen gehen und weiter mit Maske im Zug sitzen. Weil ich mich damit selbst schütze und – wenn ich mich infiziert haben sollte – schütze ich damit auch andere. Die Politik setzt jetzt sehr viel mehr auf Eigenverantwortung. Ich kann nur jedem raten, die Maske jetzt nicht an den Nagel zu hängen, sondern sie weiterhin zu nutzen.

Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger sollten jetzt aus eigenen Stücken genau das machen, was bislang vorgegeben war?

Absolut. Jeder muss jetzt für sich selbst entscheiden, welches Risiko er auf sich nimmt. Und ich denke, jeder verantwortungsbewusste Mensch kann das auch. Für mich gehört da eben unbedingt Impfen, Masketragen und Abstandhalten dazu.

Die Bundesländer entscheiden jetzt selbst, was sie machen. Es entsteht ein Flickenteppich an Maßnahmen. Ist Föderalismus ein Hemmschuh in Zeiten der Pandemie?

Ich bin großer Fan von föderalen Strukturen. Ich glaube, sie machen Deutschland gerade jetzt in der Krise stark und resilient. Regionalität kann durchaus eine Stärke sein. Was für Bayern richtig ist, kann in Flensburg falsch sein. Funktioniert eine Maßnahme zur Pandemiebekämpfung in einem Bundesland gut, zum Beispiel eine Impfaktion im Zoo, kann ein anderes Land sie übernehmen. Der Corona-Krisenstab bietet auch hierfür quasi eine Plattform, über die sich die Bundesländer austauschen. Dann heißt es etwa „bei uns hat Folgendes funktioniert und Folgendes nicht“. Da lernen alle voneinander.

Der Kanzler hat sie als Chef des Corona-Krisenstabs mit vielen Aufgaben betraut: die Impfstoff- und Testlogistik verbessern, die Patientenverlegungen koordinieren, die Impfkampagne vorantreiben, die kritische Infrastruktur im Blick behalten. Ein General im Kanzleramt – warum sind Sie der richtige für diesen Job?

Das müssen Sie andere fragen (lacht). Aber, wenn Sie darauf anspielen: Soldaten sind für Krisen ausgebildet. Und wir sind krisenerprobt.

Wer gehört noch zum Krisenstab?

Gut 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Davon sind zwei Drittel Soldaten. Die anderen sind Experten aus dem Gesundheitsministerium, aus dem Robert Koch-Institut, aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und aus dem Innenministerium.

Wie eng arbeiten Sie mit dem Corona-Expertenrat zusammen?

Ich nehme an dem Gremium, das ja fast ausschließlich durch Wissenschaftler besetzt ist, immer teil. Wir tauschen uns regelmäßig aus und stimmen die Maßnahmen miteinander ab – genau wie mit den Bundesländern. Das Expertengremium setzt die Überschriften, wir bringen vieles davon dann mit den Ländern und den Ministerien in die praktische Umsetzung.

Sprechen Sie öfter mit dem Bundeskanzler oder mit dem Gesundheitsminister?

Oh, das kann ich gar nicht auf Anhieb sagen, da müsste ich im Kalender nachzählen (lacht). Anfangs habe ich fast täglich mit beiden gesprochen. Auch heute ist das manchmal noch so. Einmal die Woche berate ich mich aber ganz bestimmt mit Bundeskanzler Scholz und auch regelmäßig mit Gesundheitsminister Lauterbach.

Hat sich nach ein paar Monaten eine Art Alltagsroutine im Krisenstab etabliert?

Nein, als erstes werfe ich morgens meist den Plan über den Haufen, den ich mir am Tag vorher gemacht habe. Das Virus überrascht uns leider auch jetzt noch immer wieder. Gerade auch deshalb ist es mir wichtig, nicht nur in Konferenzen zu sitzen, sondern auch vor Ort in den Ländern zu schauen, wo es hakt.

Was haben Sie vor Ort erlebt?

Beeindruckt haben mich zum Beispiel Gesundheitsfachkräfte in Bremen, die nicht müde werden, die Menschen über die Vorteile des Impfens aufzuklären. Auch die Impflotsen in Rheinland-Pfalz machen mehr als einen tollen Job. Aber ich habe auch Gesundheitsämter am Limit erlebt, deren Beschäftigte dankbar waren, als Soldaten zur Entlastung kamen und bei der Kontaktnachverfolgung halfen.

Wie geht es den Menschen an der Corona-Front?

Wie wir alle sind die Pflegekräfte, Ärzte, die Mitarbeiter in Gesundheitsämtern und alle anderen Helfenden vor Ort pandemiemüde. Trotzdem erlebe ich eine hohe Professionalität und einen ungebrochenen Willen, sich weiterhin mit vollem Einsatz dem Virus entgegenzustellen. Davor habe ich echt großen Respekt.

Wo sehen Sie gerade die größten Herausforderungen im Kampf gegen das Virus?

Die hohen Inzidenzen belasten derzeit auch wieder die kritischen Infrastrukturen, da es enorme Personalengpässe gibt. Die größte Herausforderung ist aber die Vorbereitung auf den Herbst. Dabei bleibt die Impfung unser schärfstes Schwert im Kampf gegen die nächste Welle der Pandemie. Möglichst jeder sollte sich impfen und vor allem auch boostern lassen. Rund 14 Millionen Menschen sind derzeit leider nur zweifach geimpft.

Manche warten vielleicht auf einen angepassten Impfstoff ...

Das ist die falsche Strategie. Jeder, der jetzt eine dritte beziehungsweise auch die vierte Impfung in Anspruch nehmen kann, sollte das unbedingt tun. Und wenn es irgendwann Impfstoffe gibt, die gegen andere Varianten helfen, dann kann man sich noch einmal impfen lassen. Aber es ist doch alles besser, als jetzt Corona zu bekommen und womöglich im Krankenhaus zu landen.

Fast ein Viertel der Deutschen ist ungeimpft. Warum hat es auch Ihr Corona-Krisenstab nicht geschafft, daran etwas zu ändern?

Wir tun alles, um die Impfquote in die Höhe zu treiben. Wir schaffen niedrigschwellige Impfangebote und sorgen für ausreichend Impfstoffe. Jeder kann sich schon seit längerer Zeit fast überall unkompliziert impfen lassen. Wir klären auf und stellen alle nötigen Informationen transparent bereit. Aber zwingen können wir niemanden. Und eines ist auch klar: Eine erhebliche Anzahl derer, die sich nicht impfen lassen, tut das auf Kosten all derer, die dann immer wieder Einschränkungen auf sich nehmen müssen.

Sind Sie enttäuscht, dass Novavax – als Alternative zu den mRNA-Impfstoffen – doch keinen Durchbruch gebracht hat?

Ich hatte etwas anderes erwartet. Ich hatte gehofft, dass Menschen, die die mRNA-Impfstoffe ablehnen auf den sogenannten Totimpfstoff setzen. Trotzdem wurde er nicht so gut angenommen. Es fällt mir schwer, das nachzuvollziehen.

Erst waren die Covid-19-Impfstoffe knapp, jetzt droht vielen Dosen der Verfall. Warum haben Sie es nicht geschafft, diese Fehlkalkulation zu vermeiden?

Sie haben Recht – noch im Dezember herrschte akuter Mangel. Gleichzeitig wollten sich um Weihnachten herum unglaublich viele Menschen impfen lassen. Dass die Nachfrage in Deutschland so stark nachlassen wird, war weder zu erwarten, noch war es wahrscheinlich. Nun muss es darum gehen, die überzähligen Dosen anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, die bislang kaum Zugang zu Impfstoffen hatten. Wir arbeiten hart daran, dass Impfdosen nicht ungenutzt verfallen und das gelingt zurzeit auch.

Für die Impfung gibt es inzwischen diverse Anlaufstellen. Welche Infrastruktur wird Deutschland sicher durch die kommenden Monate bringen?

Mit Arztpraxen und Impfzentren haben wir ein dichtes Netz an Impfstellen. Auch gerade die Apotheken sind ein wichtiger und niedrigschwelliger Baustein. Diesen Mix brauchen wir auch für den Herbst. Es wäre ein Fehler, diese Infrastruktur vorschnell aufzugeben.

Ein Krisenstab agiert per Definition immer in einem Ausnahmezustand. Wie lange besteht der noch?

Keiner kann sagen, wie lange uns die Pandemie noch so beschäftigen wird. Klar ist aber: Wir stehen bereit, so lange man uns braucht.

Tina Haase, Leiterin des Berliner Büros, und Hauptstadtkorrespondentin Stephanie Schersch (rechts) trafen Generalmajor Carsten Breuer im Kanzleramt.

Tina Haase, Leiterin des Berliner Büros, und Hauptstadtkorrespondentin Stephanie Schersch (rechts) trafen Generalmajor Carsten Breuer im Kanzleramt.