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Erscheinung:15.01.2021 Das Alter darf eine Rolle spielen

Die BaFin hat geprüft, ob Kfz-Versicherer in Deutschland ihre älteren Kundinnen und Kunden bei den Beiträgen diskriminieren. Ergebnis: Die Unternehmen gestalten ihre Tarife gesetzeskonform.

Bei älteren Versicherungsnehmern und Autofahrern kann schnell der Eindruck entstehen, dass sie zu Unrecht höhere Prämien in der Autoversicherung zahlen müssen als andere Altersgruppen. Denn wenn sie in Internet-Vergleichsrechnern ihr Alter eingeben, andere Faktoren aber außen vor lassen, steigen die Prämien.

In der Tat ist es gängige Praxis unter Kraftfahrtversicherern, die Tarife unter anderem nach dem Alter der Versicherungsnehmer zu staffeln. Einige Unternehmen machen zudem Unterschiede beim Alter der Nutzer (Fahrer). Beides dürfen sie auch – wenn sie die gesetzlichen Vorgaben beachten. Tun sie das? Und was kommt heraus, wenn man die durchschnittlichen Prämien unterschiedlicher Altersgruppen vergleicht? Diesen Fragen ist die Aufsicht in einer Marktuntersuchung nachgegangen.

Marktuntersuchung der BaFin

Die BaFin hat sich dazu die jährliche Empfehlung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) angesehen. Sie sieht eine altersabhängige Tarifierung auch für private Pkw vor. Trotz ihres unverbindlichen Charakters hat die Empfehlung eine Signalwirkung für den Markt, da sich die Versicherungsunternehmen an ihr orientieren. Die altersabhängige Tarifierung betrifft sowohl die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung als auch die Fahrzeugteilversicherung (Teilkasko) und die Fahrzeugvollversicherung (Vollkasko). Während die Haftpflicht- und die Vollkasko-Policen für jüngere Nutzer und ältere Versicherungsnehmer Zuschläge vorsehen, erhebt die Teilkasko-Versicherung nur für jüngere Nutzer einen Zuschlag. Die BaFin hat mit dem GDV die statistischen Unterlagen erörtert, mit denen der Verband seine Tarifempfehlung ermittelt, und die Unterlagen kritisch gesichtet.

Untersucht hat die BaFin aber auch die Beitragsgestaltung von 40 Unternehmen bzw. Versicherungsgruppen mit Sitz in Deutschland und vier Niederlassungen von Versicherern mit Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum. Das entsprach einer Marktabdeckung von mehr als 75 Prozent aller in Deutschland generierten Versicherungsbeiträge und abgeschlossenen Versicherungsverträge in der Kraftfahrtversicherung. Von den Unternehmen wollte die BaFin vor allem wissen, welche Methoden sie bei der altersabhängigen Tarifierung verwenden. Sie analysierte die Angaben der Versicherer, prüfte aber auch stichprobenartig vor Ort. Eine Analyse relevanter Kennziffern und durchschnittlicher Prämien ergänzte das Bild.

Voraussetzungen für altersabhängige Tarifierung

Eine Altersdifferenzierung ist immer dann zulässig, wenn sie auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht (siehe Infokasten „Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“).

Auf einen Blick

Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist es, „Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1 AGG).

Für Versicherungsunternehmen sind darüber hinaus die Vorgaben des § 20 Absatz 2 Satz 2 AGG relevant: „Eine unterschiedliche Behandlung wegen […] des Alters […] ist im Falle des § 19 Absatz 1 Nr. 2 [Benachteiligung u.a. aufgrund des Alters bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben] nur zulässig, wenn diese auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.“

Im Versicherungswesen bilden die Schadenverläufe aus der Vergangenheit die Grundlage der Tarifierung. Versicherungsmathematiker setzen die Schadenaufwendungen zur Anzahl der Risiken ins Verhältnis, woraus sich der Schadenbedarf ergibt (siehe Infokasten „Schlüsselbegriffe der Tarifierung“).

Definitionen:Schlüsselbegriffe der Tarifierung

Das Risiko entspricht dem versicherten Fahrzeug. Die Haftpflicht zahlt, wenn damit andere geschädigt werden; Teil- und Vollkasko ersetzen Schäden am eigenen Auto.

Der Schadenaufwand bezeichnet die Summe aller Schadenzahlungen und Schadenrückstellungen für eingetretene Schäden. Er berücksichtigt damit alle bereits erfolgten und künftigen Zahlungen, die zum Ausgleich des Schadens notwendig sind.

Beim Schadenbedarf handelt es sich um den durchschnittlichen Schadenaufwand je versichertem Risiko in einem Jahr. In der Kraftfahrzeugversicherung ist es der Quotient aus der Summe des Schadenaufwands im entsprechenden Kalenderjahr und der Zahl der Risiken.

Die Schadenquote ist der Quotient aus dem Schadenaufwand und den Beiträgen. Sie misst, welchen Anteil der Prämien ein Versicherer für die Versicherungsleistungen aufwendet.

Risikoadäquate Kalkulation

Die Marktuntersuchung hat bestätigt: Um herauszufinden, welche Risiken typischerweise mit welchem Schadenverlauf einhergehen, analysieren die Unternehmen bestimmte Tarifmerkmale wie Alter, Wohnort und Kilometerleistung näher. Allerdings ergeben sich bereits aus relativ wenigen Tarifmerkmalen sehr viele Kombinationsmöglichkeiten, im Fachjargon „Tarifzellen“ genannt. Das kann dazu führen, dass einzelne Tarifzellen nur schwach mit Risiken besetzt sind. Und selbst durchschnittlich besetzte Tarifzellen sind nicht dagegen gefeit, dass Großschäden ihren Schadenverlauf zufallsbedingt verzerren. Um ihre Ergebnisse zu stabilisieren und Zufallsschwankungen auszugleichen, setzen die Versicherer mathematische Methoden ein und berücksichtigen den Schadenverlauf benachbarter Tarifzellen mit. Dies sind zulässige, in der Versicherungsmathematik anerkannte Verfahren. Dass Versicherer sie also auch im Kraftfahrttarif anwenden, dem in Deutschland am stärksten differenzierten Tarif in der Schaden- und Unfallversicherung, ist aus Sicht der BaFin nicht zu beanstanden.

Ihre eigenen Datensätze gleichen die Unternehmen häufig mit den Daten des GDV ab, der bei seiner Kalkulation auf die Datensätze aller Mitgliedsunternehmen zurückgreift, also eines Großteils des deutschen Kraftfahrtversicherungsmarkts. Die Datenbasis ist dadurch sehr stabil und besonders aussagekräftig. Die Datenqualität stellt der GDV sicher, indem er prüft, ob die Angaben inhaltlich richtig sind. Zusätzlich lässt er sie stichprobenartig durch einen unabhängigen Treuhänder kontrollieren. Der unabhängige Treuhänder prüft zudem die Prozessabläufe beim GDV rund um die Typ- und Regionalstatistiken. Die Software, mit der der GDV die Typ- und Regionalklassen erstellt, setzt er auch ein, um die altersabhängigen Zu- und Abschläge zu ermitteln.

Häufiger Einwand

Oft wenden Beschwerdeführer gegen die altersabhängige Tarifierung ein, dass ältere Versicherungsnehmer einen geringen Anteil am gesamten Verkehr haben, und folgern daraus, dass Senioren weniger zahlen müssten als die übrigen Versicherungsnehmer.

Auf eine geringere Verkehrsteilnahme älterer Menschen kommt es allerdings nur dann an, wenn Kilometertarife dies berücksichtigen. Ansonsten ist es gemäß Äquivalenzprinzip entscheidend, wie sich die Schadenhäufigkeit und der Schadenbedarf der einzelnen Risikogruppen entwickeln. Da beides mit höherem Alter wieder zunimmt, hat die BaFin gegen die Praxis der Versicherer, entsprechende Zuschläge zu erheben, nichts einzuwenden. Hierin spiegelt sich vielmehr das nachweislich höhere, mit dem Alter einhergehende versicherungstechnische Risiko wider.

Das geht auch aus der Jahresgemeinschaftsstatistik (JGS) über den Schadenverlauf in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung hervor (siehe BaFinJournal Dezember 2020). Die JGS wird seit 1994 vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) geführt und von der BaFin veröffentlicht. Die Statistik differenziert seit 2012 nach Altersklassen. Schon zuvor unterschied sie zwischen Nutzern unter und über 23 Jahren.
Ältere Fahrerinnen und Fahrer profitieren aber davon, dass Versicherer ihre Tarife stark ausdifferenzieren. Aufgrund ihres Alters können sie höhere Schadenfreiheitsklassen erreichen als Jüngere. Auch eine geringere Jahreskilometerleistung reduziert die Versicherungsprämie.

Vergleich der Durchschnittsprämien

Die BaFin hat herausgefunden, dass die 63- bis 67-jährigen Versicherten durchschnittlich die geringsten Prämien aller Altersgruppen zahlen – trotz bestimmter Alterszuschläge. Über 82-Jährige zahlen zudem im Durchschnitt nur etwa halb so viel wie 18-Jährige, die nicht von hohen Schadenfreiheitsklassen profitieren können. Und: Je älter Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer werden, desto günstiger wird der Tarif in der Teilkasko-Versicherung – am günstigsten ist die Klasse „82 Jahre und älter“.

Bei ihrer Analyse der nach Altersgruppen differenzierten Schadenquoten ist der BaFin zudem aufgefallen, dass viele Unternehmen das versicherungsmathematisch zulässige Zuschlagspotential für Seniorinnen und Senioren nicht voll ausschöpfen. Die Zuschläge für das Alter fallen in der Realität geringer aus, als es aufgrund der Datengrundlage theoretisch angemessen wäre.

Unterschiede zum Solidarprinzip

Die Tarifierungsmethoden der Versicherer unterscheiden sich vom Solidarprinzip in der Sozialversicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung beispielsweise staffelt Beiträge nach dem Einkommen der Versicherten. Im privaten Versicherungswesen gilt dagegen das versicherungstechnische Äquivalenzprinzip. Es erfordert, dass die erwarteten Prämienzahlungen mit den erwarteten Versicherungsleistungen übereinstimmen. Dieses Gleichgewicht zwischen Leistung (Prämie) und Gegenleistung (Gefahrtragung) ist ein wesentlicher Baustein, ohne den Kraftfahrtversicherer die Erfüllbarkeit ihrer Verpflichtungen aus den Versicherungsverträgen nicht gewährleisten könnten. Kundinnen und Kunden entrichten ihre Prämie ausschließlich dafür, dass der Versicherer die Gefahr der finanziellen Folgen eines Schadens während der - in der Regel einjährigen – Vertragslaufzeit trägt. Mit ihren Prämien sparen Versicherungsnehmer hingegen keinerlei Kapital an.

Fazit

Wenn Kfz-Versicherer altersabhängig tarifieren, befolgen sie dieselben Prinzipien wie bei allen weiteren in der Autoversicherung üblichen Tarifmerkmalen. Aus versicherungsmathematischer Sicht liegt insofern keine Besonderheit vor.

Die BaFin ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die altersabhängige Tarifierung in der Kraftfahrtversicherung auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht. Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Vorschrift des § 20 Absatz 2 Satz 2 AGG haben sich nicht ergeben.

Wer in Tarifrechnern nur an der Stellschraube „Alter“ dreht, erhält daher ein unzutreffendes Bild über die tatsächliche Versicherungsprämie. Wer ein realistischeres Bild erhalten möchte, sollte auch die Schadenfreiheitsklasse und gegebenenfalls die Kilometerklasse anpassen.

Hinweis

Der Beitrag gibt den Sachstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im BaFinJournal wieder und wird nicht nachträglich aktualisiert. Bitte beachten Sie die Allgemeinen Nutzungsbedingungen.

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