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Dramatischer Fachkräftemangel "Viele sehen uns immer noch als Basteltanten" – eine Erzieherin erklärt die Personalnot in Kitas

Eine Kita-Mitarbeiterin liest Kindern ein Buch vor
Fachkräftemangel in Kitas: Erzieher werden in Deutschland händeringend gesucht
© Arno Burgi / DPA
Wegen extremen Fachkräftemangels bleiben manche Kitas in Deutschland tagelang geschlossen. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Wir haben mit einer Erzieherin über die dramatische Situation und Lösungen für das Problem gesprochen.

"Eigentlich bräuchten wir 100.000 Leute sofort, um vernünftig zu arbeiten", hat Hauptvorstandsmitglied Björn Köhler von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gerade erklärt. Und auch in der Politik ist das Problem von Kinderbetreuung schnell benannt: extremer Personalmangel. Doch warum werden Erzieher so händeringend gesucht? Der stern hat mit Sabrina, einer Erzieherin aus Niedersachsen gesprochen. Sie sagt: "Ich kann die dramatische Lage auf jeden Fall bestätigen." Und sie weiß, wovon sie redet. Sie ist stellvertretende Leiterin einer Kita mit insgesamt mehr als 120 Kindern und arbeitet auch im Gruppendienst mit. In Sabrinas Einrichtung wird es spätestens ab August 2020 wohl fünf offene Stellen geben.

"Wenig Gehalt? Gar kein Gehalt!"

Was macht den Job so unattraktiv? Die Hauptgründe für den dramatischen Fachkräftemangel sind für die 31-jährige Erzieherin klar: 1. Die schulische Ausbildung wird nicht vergütet und 2. der Verdienst von pädagogischen Fachkräften in Kitas ist zu gering. "In den Medien wird immer von wenig Gehalt in der Ausbildung gesprochen. Wenig Gehalt? Gar kein Gehalt!", erklärt die Pädagogin aus Niedersachsen. Und das ist ein großes Problem. So dauert die Ausbildung in Niedersachsen insgesamt vier Jahre, in anderen Bundesländern sind es sogar fünf. Nur wer kann es sich leisten, eine unbezahlte Ausbildung zu beginnen? Und dann auch noch für so einen langen Zeitraum? "Entweder man hat wohlhabende Eltern oder kümmert sich um Bafög. Doch auch das wird wahrscheinlich nicht zum Leben reichen."

Hat man es dann doch bis zum Ausbildungsabschluss geschafft, tun sich schon die nächsten Probleme auf. Nicht alle Fachkräfte werden nämlich nach Tarif bezahlt. Nur selten gebe es Leistungszulagen, erklärt Sabrina. Zudem machten die hohen Anforderungen – in Kombination mit der geringen Bezahlung – den Beruf insgesamt "nicht gerade attraktiv".

Erzieher: Mehr als "Basteltanten mit Kaffeebecher in der Hand"

Dabei leisten Erzieher extrem wichtige Arbeit. Sie sind Experten für Bildung, Erziehung und Betreuung. Sie sind es, die im so wichtigen Kindesalter dabei helfen, die richtigen Weichen zu stellen. "Die Kita ist die erste Stufe im Bildungssystem, auf die alles andere aufbaut", erklärt die Erzieherin. Trotzdem bleibe die gesellschaftliche Anerkennung aus. "Viele sehen uns immer noch als Basteltante mit Kaffeebecher in der Hand." Es schmerzt Pädagogen, dass Teile der Gesellschaft ein solches Bild vor Augen haben – auch weil seit Jahren die Anforderungen an Kita-Mitarbeiter steigen. "Wir müssen immer mehr leisten, neben der Tätigkeit am Kind. Dazu gehören viele dokumentarische Arbeiten über die einzelnen Kinder, Elterngespräche und Beratung. Oft müssen wir auch das auffangen, was zu Hause bei den Kindern zu kurz kommt oder komplett verloren geht", sagt die stellvertretende Kita-Leiterin. Und ist die Köchin mal erkrankt, müssten auch noch deren Aufgaben nebenbei erledigt werden.

Kein Wunder also, dass viele von der Arbeit in Kitas abgeschreckt sind. Leidtragende sind neben den Erziehern häufig auch die Eltern. In der Einrichtung in Niedersachsen musste deshalb gerade die vorgesehene Betreuungszeit verkürzt werden. Weil eine Krippengruppe unterbesetzt war und das vorhandene Personal zur Aufrechterhaltung der Gruppe eingesetzt wird, müssen einige Eltern nun auf Ganztagsbetreuung verzichten. Mit dem vorhandenen Personal sei die Situation derzeit einfach nicht zu meistern. "Viele meiner Kollegen machen unzählige Überstunden oder arbeiten unterbesetzt", fasst Pädagogin Sabrina ihren Alltag zusammen. Die hohe Arbeitsbelastung mache sich auch im Team bemerkbar. Immer mehr Kollegen würden krank. Das müsse immer häufiger von den ohnehin schon unterbesetzten Kollegen aufgefangen und mitgetragen werden.

Kita-Mitarbeiterin zur Personalnot: "Wieso hat die Politik so lange nichts unternommen?"

Befasst man sich eingehend mit dem Thema "Personalmangel in Kitas", wird schnell klar: Die Liste der Probleme ist lang. Sehr lang. Bleibt die Frage: Wer trägt eigentlich die Schuld an der Misere? Hat die Politik versagt? Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat angekündigt, die Länder von Sommer 2019 an bis 2022 mit rund 300 Millionen Euro zu unterstützen. Mit dieser Maßnahme sollen unter anderem mehr Kita-Fachkräfte gewonnen werden. Auch die längst überfällige Vergütung der Ausbildung will Giffey durchsetzen. Für die Kita-Mitarbeiterin aus Niedersachsen kommen diese Vorstöße zu spät: "Durch den Anspruch auf einen Kitaplatz und den Ausbau von Krippen haben wir schon vor Jahren den heutigen Fachkräftemangel kommen sehen. Und natürlich fragen wir uns, wieso die Politik so lange nichts dagegen unternommen hat."

Trotzdem machen die Vorhaben von SPD-Politikerin Giffey zur Bekämpfung des dramatischen Fachkräftemangels auch Hoffnung. Nur dann, wenn die Erzieherausbildung angemessen vergütet und auf höchstem Standard angeboten werde, könne gewährleistet werden, dass neue und gute Erzieher in deutschen Kitas eingestellt werden können, sagt Sabrina aus Niedersachsen. "Denn für unsere Kleinsten brauchen wir das – und die Besten."

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