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Verbot von Sexarbeit: Was soll die Kriminalisierung bringen?

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Ein Sexkaufverbot wird in dem Unionspapier als Option genannt, falls die neuen Vorschriften nicht greifen.
Ein Sexkaufverbot wird in dem Unionspapier als Option genannt, falls die neuen Vorschriften nicht greifen. © Symbolfoto: peter-juelich.com

Schwedens „Nordisches Modell“ gilt weltweit als Vorbild - doch vielerorts zeigt sich, wie hoch die Kosten der Kriminalisierung für Sexarbeiter:innen sind.

Stockholm - Als der Stockholmer Reichstag 1998 die Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienstleistungen verhandelte, wetterten die Konservativen dagegen: Das sei realitätsfern, eine unlösbare Aufgabe für die Justiz und für Prostituierte das Gegenteil von Schutz. Zwei Jahrzehnte sind seit der Einführung des ersten nationalen Sexkauf-Verbots der Welt vergangen, und jetzt reichen den „Moderaten“ – der schwedischen Schwesterpartei der CDU – die bislang üblichen Geldstrafen nicht mehr.

Schweden: Kosnervative fordern Haftstrafen im Zusammenhang mit Sexarbeit

Sie verlangen Haftstrafen immer dann, wenn jemand beim Sexkauf mit Opfern von Trafficking, Kuppelei oder in „sonstwie schutzloser Position“ erwischt wird. Dieser konservative Sinneswandel wirft ein Schlaglicht auf den breiten Konsens in Schwedens Gesellschaft zum Sexkauf-Verbot. Polizeiberichte über Razzien in und um vermutete Bordell-Wohnungen sind Alltag, aber an dem Pranger will niemand stehen. Wie beim Stockholmer Einsatz „Dorsch“ (schwedischer Slang für „Freier“) im vergangenen Sommer, als die Polizei 42 Kund:innen dinghaft machte. 27 davon sollen sich sogleich bei der staatlichen Beratungsstelle für Käufer sexueller Dienste angemeldet haben. Das hat in Schweden denselben Klang wie anderswo Drogenberatung oder Hilfe bei Spielsucht.

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Der Vorstoß der Union beim Thema Prostitution zielt am Ende auf ein Sexkaufverbot, das wenig bringt und kontraproduktiv wirkt. Ein Kommentar.

Einer der Erwischten war Ex-Meisterboxer, TV-Koch, „Let’s Dance“-Juror und Bestsellerautor Paolo Roberto – oberste Promi-Kategorie. Dass ihn der 150 Euro teure Kontakt mit einer jungen Frau aus Osteuropa ein einkommensabhängiges Bußgeld von umgerechnet 2500 Euro eingebracht hat, war das geringste Problem. Es nützte auch nichts, dass Roberto sein Handeln nach den entsprechenden Schlagzeilen auf Facebook reuig selbst anprangerte als „das Widerlichste, Schmutzigste, was man einem Menschen antun kann“. Binnen weniger Tage verschwanden seine Bücher aus dem Handel, seine italienische Delikatessenserie aus allen Supermärkten.

Jeder zehnte Schwede hat nach einer Umfrage von 2020 bezahlten Sex gehabt

Während die Ächtung von Menschen, die Sex kaufen, im öffentlichen Diskurs Schwedens ungefähr so verankert ist wie anderswo die von Pädophilie, ist die Frage nach der faktischen Eindämmung der Prostitution schwerer zu beantworten. Dass es bei landesweit 200 bis 250 Sexarbeiter:innen kaum noch einen Straßenstrich gibt, gilt als Effekt des Sexkauf-Verbots – es ist zu einfach, in flagranti erwischt zu werden. Aber bei Zahlen über die generelle Ausbreitung von bezahltem Sex oder wie viele Personen aus armen Ländern dafür eingeschleust werden, sind die offiziellen Auskünfte erstaunlich vage. „Obwohl sich die Escort-Annoncen im Internet seit 2000 erheblich ausweiten, deutet nichts darauf hin, dass die Zahl der beteiligten Personen zugenommen hat,“ heißt es von der Gleichstellungsbehörde.

Laufhäuser im Frankfurter Bahnhofsviertel.
Laufhäuser im Frankfurter Bahnhofsviertel. © Horacio Villalobos/Getty Images

Jeder zehnte Schwede hat nach einer Umfrage von 2020 bezahlten Sex gehabt, 80 Prozent davon bei Auslandsreisen etwa nach Deutschland. Justizminister Morgan Johansson will deshalb die Strafverfolgung jenseits der Grenze einführen: Denn „wer Sex im Ausland kauft, trägt zum Menschenhandel bei“.

Menschenhandel als rasant wachsendes Problem hat inzwischen einige Länder dazu bewogen, das schwedische Verbot in Erwägung zu ziehen. Norwegen und Dänemark machen das schon so ähnlich und so wird das Sexkaufverbot als „Nordisches Modell“ und „wirksames Mittel zur Eindämmung von Prostitution“ positioniert.

Rechtslage in Deutschland

In Deutschland galt Prostitution bis 2002 als sittenwidrig, die Folge war eine rechtlose Stellung der Sexarbeiter:innen. Das änderte sich mit einem rot-grünen Gesetz. Es wollte auch den Zugang zur Sozialversicherung erleichtern, die Möglichkeit wird jedoch kaum genutzt. Das Ziel, die Menschen sozial besser abzusichern, wurde verfehlt.

Das Gewerbe ist mittlerweile stärker reguliert. Im Juli 2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz der großen Koalition in Kraft. Die zentralen Punkte sind: Sexarbeiter:innen müssen sich registrieren und gesundheitlich beraten lassen. Wer ein Bordell, eine Escort-Agentur oder ähnliches betreiben will, braucht eine Konzession. Flatrate-Bordelle und sogenannte Gangbang-Partys sind verboten. Kondome sind Pflicht.

Die Union will dieses Gesetz nachschärfen – unter anderem mit Forderungen, die sie gegenüber der Koalitionspartnerin SPD seinerzeit nicht durchsetzen konnte. Das im Februar veröffentlichte Papier der Bundestagsfraktion enthält ein Prostitutionsverbot für Menschen unter 21 Jahren und schwangere Frauen. Freier, die dagegen verstoßen, machen sich strafbar. Kommunen sollen mehr Sperrbezirke ausweisen, „Verrichtungsboxen“ werden verboten. Angestrebt werden auch mehr polizeiliche Kontrollen im Milieu und restriktivere Regeln für Werbung (etwa auf Plakaten und Bussen). Das Verbot von Wucherpreisen für Zimmer in Bordellen soll stärker durchgesetzt werden. Freierforen, in denen verbotene Praktiken angepriesen oder Straftaten gebilligt werden, sollen effektiver kontrolliert werden.

Ein Sexkaufverbot wird in dem Unionspapier als Option genannt, falls die neuen Vorschriften nicht greifen. Für das sogenannte Nordische Modell, dass Freier und Zuhälter bestraft, machen sich auch vereinzelt SPD-Abgeordnete stark. In einem gemeinsamen Brief mit Unionspolitiker:innen forderten sie die Regierungen der Bundesländer auf, die wegen Corona geschlossenen Bordelle nicht wieder zu öffnen. dac

Sexarbeiterinnen stellen sich gegen Kriminalisierung

Doch in der Wissenschaft zweifeln immer mehr an dessen Wirksamkeit. Denn obwohl Schweden die Kriminalisierung von Sexkauf als Erfolg ansieht, werden andernorts negative Folgen der Gesetzgebung deutlich.

Beispiel Frankreich: Das Land führte 2016 nach einer großen öffentlichen Debatte ähnliche Verbote ein. Die Auswirkungen für die Sexarbeitenden waren laut einer Umfrage finanziert durch den Europäischen Forschungsrat brutal: mehr Gewalt und mehr Armut. Von den rund 500 befragten Sexarbeitenden, unter ihnen viele Migrant:innen, waren so gut wie alle gegen das Gesetz.

Viele der „respektvolleren“ Sexkund:innen hätten sich aus Sorge vor Strafen zurückgezogen, berichten sie. Die dadurch fallenden Preise hätten bei mehr als drei Vierteln das Einkommen stark gedrückt. Rund 42 Prozent der Sexarbeiter:innen seien nun deutlich mehr Gewalt ausgesetzt, ähnlich viele fänden es zunehmend schwerer, die Verwendung eines Kondoms einzufordern. HIV-positive Sexarbeiter:innen seien durch die Armut aus den teuren Städten vertrieben worden, eine ärztliche Behandlung sei kaum noch möglich. Rund 70 Prozent der Befragten konnte auch keine Verbesserung der Beziehung zur Polizei erkennen. Im Gegenteil: Viele der migrantischen Sexarbeiter:innen fühlten sich gezwungen, ihre verbliebenen Kund:innen anzuzeigen – aus Sorge vor Abschiebung.

Menschenrechtsorganisationen: Gewerbe entkriminalisieren, um Sexarbeiter:innen zu schützen

Frankreich hat zum Schutz seiner Sexarbeiter:innen auch Ausstiegsprogramme eingeführt, aber wer daran teilnimmt, muss die Sexarbeit aufgeben, und viele wissen nicht, wie sie den Ausstieg dann finanzieren sollen. Zudem berichten einige Hilfe-Organisationen von struktureller Diskriminierung gegen Migrant:innen, die verdächtigt werden, sich so Aufenthaltsgenehmigungen besorgen zu wollen.

Sowohl bei Menschenrechtsorganisationen als auch in der Forschung setzt sich deshalb die Überzeugung durch, wer Sexarbeiter:innen schützen wolle, müsse ihr Gewerbe entkriminalisieren. Das vertritt auch Nicola Mai, Leiter des Forschungsprojekts „Sexhum“, in dessen Rahmen die EU-Umfrage in Frankreich organisiert wurde. Basierend auf deren Ergebnissen empfehlen die beteiligten Fachleute finanzielle Ressourcen für den sicheren Zugang zu Gesundheitsdiensten, Wohnraum, Arbeit, Bildung und Versicherung. Auch müsse Migrant:innen die Sexarbeit erlaubt werden – zum Beispiel mit einer Arbeitserlaubnis, die den Begriff selbst nicht explizit erwähnt, um die Betroffenen vor weiterer Ausbeutung zu schützen.

Migrantische Sexarbeiter:innen häufig am stärksten von Gewalt und Ausbeutung betroffen

Beispiel Australien: Dort ist Sexarbeit vielerorts legal. Laut Mai gibt es zwar auch Ausbeutung, aber den Prostituierten fällt es leichter, ihre Arbeitgeber:innen zu wechseln, da sie Illegalität nicht fürchten müssen. Entscheidend sei auch, dass Migrant:innen Sexarbeit erlaubt ist und sie nicht konstant in Angst vor Haft und Abschiebung leben müssten.

Mit Blick auf andere Länder, die eine Art „Nordisches Modell“ erwägen, warnte Mai in einem Vortrag der Universität Essex auch vor Vermischung von Sexarbeit und Menschenhandel zu einem Problem. Tatsächlich seien migrantische Sexarbeiter:innen häufig am stärksten von Gewalt und Ausbeutung betroffen. Doch mehrere Studien zeigten, dass gerade diese Gruppe durch Vorgehen gegen Menschenhandel kaum geschützt werde. Ähnlich beschreibt es auch die Autorin Kamala Kempadoo in dem Buch „Trafficking and Prostitution Reconsidered“: „Migrantische Sexarbeiter:innen werden als Opfer gesehen, aber wie Kriminelle behandelt.“ (Thomas Borchert, Valerie Eiseler)

Weitere Nachrichten, Analysen und Kommentare im Online-Dossier Prostitution

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