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„Es ist positiv, dass sich die Sorgfaltspflichten auf die gesamte Lieferkette erstrecken sollen“

Lissa Bettzieche und Franca Maurer © DIMR/Barbara Dietl

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Derzeit wird heftig über den Entwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes debattiert. Warum wir in Deutschland ein solches Gesetz unbedingt brauchen, erklären Lissa Bettzieche und Franca Maurer im Interview.

Am 1. Mai feiern wir den Tag der Arbeit. Was würde ein menschenrechtsbasiertes Sorgfaltspflichtengesetz für Arbeitnehmer_innen in Deutschland und weltweit verändern?

Lissa Bettzieche: Ein menschenrechtsbasiertes Sorgfaltspflichtengesetz bringt uns einen Schritt weiter in Richtung „Fairer Handel made in Germany“. Hier geht es um die Achtung von Menschenrechten entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette: von der Kautschukplantage in der Demokratischen Republik Kongo bis zum Werk eines Autoherstellers in Deutschland, ja bis zum Autohändler. Betroffen sind zum Beispiel Kinder, die unter ausbeuterischen und gesundheitsgefährdenden Bedingungen mineralische Rohstoffe wie Kobalt für die Autoindustrie abbauen. Leider gibt es weltweit diese menschenunwürdigen und lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen, sie stecken auch in deutschen Produkten. Auch in Deutschland gibt es menschenrechtliche Herausforderungen und Menschenrechtsverletzungen, wie gravierende Formen von Arbeitsausbeutung in einzelnen Branchen. Dazu zählen etwa die fleischverarbeitende Industrie und die Landwirtschaft. Viele deutsche Unternehmen nehmen unterdessen ihre Sorgfaltspflicht ernst und haben Umweltstandards und menschenrechtliche Standards in ihr Risikomanagement und in ihre Geschäftsabläufe integriert. Ein Sorgfaltspflichtengesetz, das auf diesen positiven Entwicklungen aufbaut, hilft beim Schutz von Arbeitnehmer_innen in Deutschland wie auch entlang der Lieferketten.

Derzeit wird heftig über den Entwurf eines Sorgfaltspflichtengesetzes debattiert. Warum braucht Deutschland überhaupt ein solches Gesetz?

Franca Maurer: Wie die Erhebungen der Bundesregierung zum Stand der Umsetzung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten bei deutschen Unternehmen gezeigt haben, hat die Freiwilligkeit keinen ausreichenden Impuls zur Umsetzung gesetzt. Daher muss Deutschland, wie im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) und im Koalitionsvertrag vorgesehen, auch gesetzlich, regulierend, tätig werden. Deutschland braucht also ein Sorgfaltspflichtengesetz, um seiner menschenrechtlichen Schutzpflicht nachzukommen. Denn die Bundesregierung hat sich im NAP zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien bekannt. Die völkerrechtliche Verpflichtung ergibt sich aus den UN-Menschenrechtsverträgen, wie dem UN-Sozialpakt. Das Sorgfaltspflichtengesetz verpflichtet deutsche Unternehmen die Risikobereiche ihrer Lieferketten zu analysieren und mögliche Menschenrechtsverletzungen entlang ihrer Liefer- und Wertschöpfungskette zu vermeiden.

Bettzieche: Weniger als 20 Prozent der deutschen Unternehmen setzen die menschenrechtliche Sorgfalt um - so das Ergebnis der bereits erwähnten repräsentativen Erhebung der Bundesregierung vom Sommer 2020. Es ist deshalb angemessen, ein deutsches Sorgfaltspflichtengesetz zu verabschieden. Die im Gesetzentwurf vorgesehene Behörde soll die tatsächliche Umsetzung durch Unternehmen überprüfen und mit Bußgeldern durchsetzen. Der Gesetzesentwurf verfügt hier also über ein scharfes Schwert.

Blendet ein Sorgfaltspflichtengesetz nur für deutsche Unternehmen nicht die globalen Verflechtungen der Unternehmen aus? Müssen hier nicht alle Länder weltweit mitziehen?

Maurer: Das ist ein wichtiger Punkt: Natürlich geht es perspektivisch darum, dass alle Unternehmen weltweit die Menschenrechte achten. Neben den nationalstaatlichen Regulierungen gibt es aktuell die Dynamik auf Ebene der EU und der Vereinten Nationen. Deutschland ist mit der Regulierung von Sorgfaltsplichten also im Trend - und gerade kein ‚Ausreißer‘. Das Verfahren auf EU-Ebene beginnt voraussichtlich im Juni, wenn die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine Regulierung vorlegt. Allerdings dauert es noch ein paar Jahre, bis auf EU-Ebene eine Regulierung steht. Dann sind noch die Umsetzungsfristen für EU-Maßnahmen hinzuzurechnen. Ich frage mich, wie lange wollen wir in Deutschland mit der Regulierung warten angesichts von Menschenrechtsverletzungen, die auch im Einflussbereich von deutschen Unternehmen stattfinden? Die Umsetzung der deutschen gesetzlichen Vorgaben wird es den Unternehmen auf alle Fälle leichter machen, später dann die europäischen Regeln umzusetzen.

Bettzieche: Sinnvoll wäre es zudem, auch die ausländischen Unternehmen zu erfassen, die Geschäftstätigkeiten in Deutschland nachgehen oder die Betriebsstätten hier haben, auch wenn der Unternehmenssitz im Ausland liegt. Deshalb regen wir an, den Anwendungsbereich des Gesetzes zu erweitern, indem an die Geschäftstätigkeit oder auch an die Betriebsstätte in Deutschland angeknüpft wird. Dadurch würden beispielsweise auch große Versandhändler mit Lagern in Deutschland erfasst sein. Eine weitere Möglichkeit wäre die Aufnahme von Tochterunternehmen im Ausland in den Anwendungsbereich des Gesetzes. Dies könnte im aktuellen parlamentarischen Verfahren des Gesetzentwurfes nachgebessert werden.

Viele deutsche Unternehmen setzen bereits freiwillig menschenrechtliche Standards um und sind international Vorreiter – schafft das Gesetz nicht unnötig Bürokratie?

Bettzieche: Die Einhaltung eines Gesetzes muss kontrolliert werden. Unternehmen werden durch das Gesetz verpflichtet, ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachzukommen und sich daraus ergebende Verfahren wie die Risikoanalyse durchzuführen, diese Verfahren zu dokumentieren und darüber zu berichten. Im Fokus steht also die Integration der menschenrechtlichen Sorgfalt in die maßgeblichen Geschäftsabläufe. Und darüber soll einmal im Jahr auch berichtet werden. Dafür ist ein Kontrollmechanismus, das heißt eine Behörde notwendig.

Welche Pflichten haben Unternehmen nach dem Gesetzesentwurf? Kritische Stimmen sagen, das Gesetz überfordere die Unternehmen, stimmen Sie dem zu?

Maurer: Unternehmen müssen ein Risikomanagementsystem einrichten und kontinuierlich die im Gesetzentwurf unter „Sorgfaltspflichten“ in § 3 Absatz 1 aufgezählten Verfahrensschritte umsetzen. Welche Menschenrechte und Umweltvorschriften hierbei vom Unternehmen zu beachten und zu adressieren sind, benennt der Entwurf konkret und abschließend. Bei der Umsetzung der einzelnen Verfahrensschritte, also Risikoanalyse, Prävention und Abhilfe, wird den Unternehmen ein weiter Spielraum eingeräumt. Das Unternehmen kann flexibel und abhängig vom branchen- oder länderspezifischen Kontext handeln. Der Gesetzesentwurf sieht auch vor, dass das Unternehmen die schwerwiegenderen Risiken prioritär in den Blick nehmen kann. Wir finden, dass der Gesetzesentwurf dadurch sicherstellt, dass die Unternehmen nicht überfordert werden. Unternehmen müssen insbesondere auch nicht garantieren, dass ihre Lieferkette frei von sämtlichen menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken ist, sondern sie angemessene Verfahren haben, diese zu erkennen und zu adressieren. Der Entwurf spricht hier deshalb von Bemühenspflichten.

Wissen denn Unternehmen nun, welche Anforderungen das Gesetz an sie stellt? Ist es ausreichend konkret?

Maurer: Unternehmen und Wirtschaftsverbände haben Bedenken geäußert, dass das Gesetz nicht bestimmt genug sei. Die Kritik wendet sich zum Beispiel gegen das Kriterium der Angemessenheit oder den Umfang der menschenrechtlichen Risiken. Aus unserer Sicht ist zwar die Sorge nachvollziehbar, da das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bußgelder bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten verhängen kann. Aber letztlich sind die Einwände unbegründet. Das Gesetz muss naturgemäß einen Spagat schaffen: einerseits müssen die Pflichten möglichst konkret und damit handhabbar, andererseits aber auch auf die höchst unterschiedlichen Geschäftstätigkeiten, Branchen und Länder anwendbar sein.

Schafft das Gesetz diesen Spagat?

Maurer: Wir meinen ja. Im Gesetzestext werden an vielen Stellen Beispiele aufgeführt und die Begründung enthält detaillierte Erläuterungen. Außerdem können sich die Unternehmen auf verschiedene Hilfsmittel bei der Auslegung stützen. Der Gesetzestext macht beispielsweise oft bei der Beschreibung der Sorgfaltspflichten vom Begriff „Angemessenheit“ Gebrauch. Das ist ein im deutschen Recht bekannter und bewährter Begriff. Unternehmen können hier auf eine umfangreiche Rechtspraxis rückgreifen. Dieser Begriff schafft gerade auch einen Spielraum, der den Unternehmen letztlich zugute kommt. Es darf zudem auch nicht vergessen werden, dass viele der betroffenen Unternehmen teilweise selbst über Rechtsabteilungen verfügen oder sich hier, wie auch in vielen anderen Rechtsbereichen, Rechtsrat einholen können.

Ein heiß diskutierter Punkt ist die Einbeziehung der gesamten Lieferkette, das heißt auch der sogenannten mittelbaren Zulieferer. Löst das Gesetz diesen Punkt aus Ihrer Sicht zufriedenstellend?

Bettzieche: Wir bewerten es als positiv, dass sich die Sorgfaltspflichten auf die gesamte Lieferkette erstrecken sollen. Denn gerade in der tieferen Lieferkette liegen die schwerwiegenderen Risiken für Menschenrechte und Umwelt, die es zu verhindern gilt. Leider macht der Gesetzesentwurf eine erhebliche Einschränkung. Denn das Unternehmen muss die mittelbaren Zulieferer bei den wichtigen Schritten Risikoanalyse, Prävention und Abhilfe nur berücksichtigen, wenn es „substantiierte Kenntnis“ – so der Wortlaut – über eine mögliche Verletzung erlangt. Unsere Befürchtung ist, dass in der späteren Praxis diese Bestimmung als hohe Voraussetzung verstanden wird, dass die Pflichten ins Leere laufen könnten. Wir bauen hier auf die Begründung zum Gesetzesentwurf. Dort steht, dass auch Menschenrechtsberichte und Informationen unterschiedlicher Akteure wie Menschenrechtsorganisationen oder Gewerkschaften „substantiierte Kenntnis“ verschaffen können. Damit wäre es für das Unternehmen schwierig, die Augen zu verschließen, wenn beispielsweise eine Nichtregierungsorganisation dem Unternehmen Berichte zu einer Produktionsregion zuschickt. Nur wenn diese Möglichkeiten bestehen, kommt das Gesetz den Betroffenen, also etwa dem Kind, das unter ausbeuterischen und gefährlichen Bedingungen arbeitet, wirklich zugute.

Das parlamentarische Verfahren läuft, im Juni soll das Sorgfaltspflichtengesetz beschlossen werden. Entspricht das Gesetz – wenn es nicht noch stark verändert wird - den menschenrechtlichen Anforderungen? Ist gar kein Gesetz besser als ein halbherziges Gesetz?

Bettzieche: Nein, gar kein Gesetz wäre wegen der beschriebenen Wirkung des Gesetzes keine gute Lösung. Der aktuelle Entwurf ist ein Einstieg in die Regulierung unternehmerischer Tätigkeiten mit einigen Schwachstellen. Eine Bewertung als halbherzig wäre aber übertrieben. Er enthält auch viele Teile, die gut gelungen sind, wie das Verfahren für die behördliche Durchsetzung, denn die Wirkung eines Gesetzes hängt ja sehr von der Durchsetzung ab. In seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf vom März 2021 hat das Institut konkrete Verbesserungsvorschläge gemacht, wie das Gesetz menschenrechtlichen Anforderungen noch besser entsprechen könnte. Wir hoffen, dass diese Vorschläge im parlamentarischen Verfahren Berücksichtigung finden.

Maurer: Wichtig wäre auch, dass sich die Bundesregierung auf EU-Ebene für eine gute Regulierung einsetzt, die in allen EU-Mitgliedstaaten eine wirkungsvolle Risikoanalyse entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette, und auch eine zivilrechtliche Haftung vorsehen würde. Das hat auch das Europäische Parlament vorgeschlagen. Käme es jetzt es in Deutschland nicht zur Verabschiedung des Sorgfaltspflichtengesetzes oder zu einer zu schwachen Version, dann würde der EU-Prozess sehr belastet und Deutschland könnte dann vermutlich sogar zu einer Bremse für die Umsetzung in der EU werden. Gerade eine europäische Regelung könnte mithelfen, gleiche Wettbewerbsbedingungen, ein sogenanntes level playing field, über den nationalen Rahmen hinaus zu schaffen. Daher sollte sich die Bundesregierung im nächsten Schritt auf Ebene der EU für eine robuste Regulierung unternehmerischer Sorgfaltspflichten im Sinne der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte einsetzen und auch die Schaffung eines UN-Abkommens weiter vorantreiben.

(B. Hildebrand)

Lissa Bettzieche und Franca Maurer sind Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Abteilung Menschenrechtspolitik International des Instituts. Die Juristinnen begleiten das Gesetzgebungsverfahren zum Sorgfaltspflichtengesetz.
 

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